Einkaufscenter in Friedrichshain.
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Gertrud Hassfurth war seit 1953 Fischhändlerin in der Ringbahnhalle am Bahnhof Frankfurter Allee. 1955 wurde sie Leiterin der Fischverkaufsstelle. Neben Dutzenden von Kilo Salaten und Marinaden gingen hier täglich hunderte Kilo Frisch- und Räucherfisch über den Tisch. Am 8. März 1973 erhielt das 10-köpfige Kollektiv von Gertrud Hassfurth zur Würdigung ihrer Leistungen die Clara-Zetkin-Medaille überreicht. Die Ringbahnhalle war allerdings in keinem preiswürdigen Zustand. 1915 als Kino geplant, vermittelte sie ihren Besuchern zwar den Charakter einer alten Markthalle, doch war sie weder erhaltenswürdig noch erweiterungsfähig. 1987 schrieb Roland Korn, seinerzeit „Chefarchitekt Berlins“ einen Wettbewerb zum Neubau aus. In den 90er Jahren sollte eine 2.500 m² große Halle entstehen.
Neue Pläne sahen 1990 eine 5.500 m² Halle vor. Nun unter der Beteiligung von privaten Unternehmern. Aber diese waren ohne Kapital. So die Fisch- und Spezialitätenhandels GmbH, die ihre drei Angestellten vom Fischstand auf Kurzarbeit Null setzen musste. Am 13. Mai 1991 verhandelte Dr. Reinhard Meyer, Kopf des Stadtplanungsamtes von Friedrichshain, mit einem Konsortium, das auf dem Gelände einen Büro- und Konsumtempel von 130 m Höhe mit 32 Stockwerken bauen mochte. Das Konsortium aus dem Bauunternehmen Philipp Holzmann, der amerikanischen SOM und der ECE Projektmanagement brachte 5.000 künftige Arbeitsplätze ins Spiel. Der für die ECE tätige Architekt Wolfgang Keilholz sagte, dieses gläserne Center wäre ein Wahrzeichen, in dem man sich preisgünstig einkleiden und versorgen könne. Der damalige Senatsbaudirektor Hans Stimmann lehnte zwar Hochhausarchitekturen ab, meinte aber hier an der Frankfurter Allee wäre ein „Stadtzeichen” nötig. Selbst Bezirksbürgermeister Helios Mendiburu glaubte, „die Versorgung der Bevölkerung mit den Waren des täglichen Bedarfs würde sich verbessern”. 1993 verließen die letzten Händler die alte Halle. Fünf wurden Mieter im Neubau mit 16.500 m² Fläche. Für diesen wurde am 8. Juni 1994 der Grundstein gelegt und am 5. Oktober 1995 eines der ersten neuen Einkaufscenter in Berlin eröffnet.
Milde Gaben
Friedrichshain war 1990 mit Ladenflächen unterversorgt. Diese Lücke öffnete laut Standortanalyse der ECE Projektmanagement, einer Tochterfirma des Hamburger Otto-Versands, die Chance für den Bau einer „Shoppingmall“. Dank ihrer finanziellen Möglichkeiten, etwa der Konzern eigenen CUBA Vermögensgesellschaft, hält die ECE vom ersten Schritt bis zum Betrieb und Vermietung alles in einer Hand. Das Gelände um den Bahnhof Frankfurter Allee war für die ECE ideal. Es gehörte zur Reichsbahn und war ohne Rückübertragungsansprüche. Zudem lebten 728.000 Menschen im Einzugsgebiet. Die Gelegenheit, Einkaufen als Freizeitbeschäftigung zu propagieren. Warnend hob der niederländische Architekturtheoretiker Rem Kohlhaas seine Stimme: „Alle Bereiche des urbanen Lebens werden vom System des Kaufens und Verkaufens verdrängt“. Der Philosoph Gerhard Schulze sah dagegen eher eine „unmittelbare Form auf der Suche nach Glück“. Für die ECE mit einem Geschäftsumfang über 30 Mrd. Euro in 2016 und über 235.000 m² Verkaufsfläche in Berlin, dienen Shopping-Center der wirtschaftlichen Stadterneuerung unter ihrer Regie. Im Fall des ehemaligen Wochenmarktes an der Ringbahnhalle, er wurde vom Ringcenter 1 verdrängt, ging öffentlicher Raum in die Verfügung der ECE über. Hier übt sie per Hausrecht soziale Kontrolle aus. Laut Industrie- und Handelskammer vitalisieren die Shopping-Center jedoch mit ihrem „Mix von Wohnen, Arbeiten und Einkaufen“ die Stadtteile. 1997 erzielte das Ringcenter 1 einen Umsatz von 140 Millionen Mark. Autofahrer mögen die 1.000 Parkplätze im Center 2. Einem Staubsauger gleich zog das Center die Kaufkraft auf sich. Für den „Boulevard“ blieben nur Angebotsnischen übrig. Nach Einschätzung von Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer vom Gesamtverband des Berliner Einzelhandels war 1995 mit einer Verkaufsfläche von rund 100.000 m² in Friedrichshain „Westberliner Niveau“ erreicht.
Ausblick
„Ein guter Betreiber passt sein Center kontinuierlich den Anforderungen an“, weiß Alexander Otto von der ECE und ist mit über fünfhunderttausend Euro Förderer der Stiftung „Lebendige Stadt“. Diese möchte „Impulse zur Stadtentwicklung“ geben. So am 15. September 2016 im Hyatt Regency Hotel in Düsseldorf, wo ein Kongress unter dem Motto „Die Stadt als Marke“ stattfand. Unter der Agenda „Identitätsstiftung und Markenbildung haben für Städte große Bedeutung“ wurden Fragen „Wie nehme ich die eigenen Bürger bei der Vermarktung ihrer Stadt mit?“ diskutiert.
Strategische Fragen sind nicht nur für ECE interessant. 2004 wurde zwischen der Anschutz Entertainment Group und dem Senat ein Vertrag über die Errichtung von 27.000 Quadratmetern Ladenfläche auf dem Gelände vereinbart, auf dem heute die Mercedes Benz Arena, das Gebäude der Zalando AG, das Holiday Inn und der Bürokomplex „Arena Boulevard“ stehen. Zwar rief Hans-Christian Ströbele 2013: „Wir sehen hier das O2-Land und dort das Mercedes-Land. Aber wir sagen, das ist unser Land!“
Dessen ungeachtet geht die „Forum Invest“ mit 84 Millionen Euro an die Umsetzung der Vereinbarung. Die „Forum Invest“ sammelt in Luxemburg Kapital für einträgliche Investitionen. Fanden sich in den frühen 1990er Jahren keine Mieter für einen 130 Meter hohen Büroturm in Friedrichshain, so verspricht das Projekt „East Side Mall“ heute erfolgreicher zu werden. Das künftige Gebäude wird 190 x 110 m groß. Eine etwa 50 m lange Plattform soll das Center mit dem S- und U-Bahn-Knotenpunkt Warschauer Straße verbinden und sehr wahrscheinlich einen erheblichen Teil von Kunden für die Warschauer Straße abfangen.
Der Fischstand in der Ringbahnhalle war für uns Kinder immer ein Gruselerlebnis, da die Karpfen lebendig ins Papier gelegt und dann erschlagen wurden. Am besten war der Eisverkauf am Eingang. Das Ringcenter hat ja gar kein Seelenleben und ein weiteres Einkaufscenter braucht kein Mensch in Friedrichshain. Danke für den gut recherchierten Artikel.
Danke für das interessante Foto von der ehemaligen Ringbahnhalle. Hiner der Halle richtet sich der Blick auf das Wohnhaus Rigaer Straße / Ecke Pettenkofer Straße. Dort gibt es Dachgeschoßwohnungen mit Terrasse, in denen mein Onkel Heinrich Paul Ackermann, Besitzer von vielen Buttergeschäften in Friedrichshain und Lichtenberg, in den dreißiger Jahren wohnte. Ich hoffe, doch einmal etwas über meinen Onkel bei Ihnen zu lesen. Mit freundlichen Grüßen