Tänzerinnen auf dem Starlauer Fischzug, Quelle: Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 1928, Fotograf unbekannt

Caspartheater, Dampfpferde, Schlägereien und Politik

, Karussell auf dem Stralauer Fischzug, Quelle: Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 1928, Fotograf unbekannt
Ab 1898 wurden große dampfangetriebene Karussells transportabel und waren Standard auf dem Fischzugsfest. / Quelle: Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 1928, Fotograf unbekannt /

Rund um den Fischzug auf Stralau.

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Zwar mahnte Turnvater Jahn: „Nicht Fraß und Quas, sondern Leben und Weben soll auf dem Volksfeste walten!“, doch suchten die Berliner des frühen 19. Jahrhunderts Abwechslung vom tristen Alltag auf dem „Wurmfest“ der Seidenweber, dem „Läusefest“ der Kammmacher oder auf dem größten Volksfest, dem „Stralauer Fischzug“. Laut Matrikel der Kirche auf Stralau, wurden am 24. August 1574 „Fischereizüge“ veranstaltet. Der Pfarrer erhielt einen Teil des Ertrags. Der ursprüngliche Sinn des Fischzuges war, eine Überfischung der Spree zu verhindern. Aus Anlass des dem Apostel Bartholomäus geweihten Tages endete am 24. August die Schon- und Laichzeit für Fische. Nun konnte reichhaltiger gekocht werden, was mit Prozessionen und Fischessen gefeiert wurde.

Zaubertricks und Attraktionen auf dem Volksfest, Quelle: Der Stralauer Fischzug Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 1928 Fotograf unbekannt
Die zersägte Jungfrau war eine von vielen Attraktionen auf dem Volksfest / Quelle: Der Stralauer Fischzug Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 1928 Fotograf unbekannt /

Holz bei den Fischen

Wegen vieler Schaulustiger verwandelten sich die Prozessionen in Festumzüge. Diesen 1780 wollte Prinz Ferdinand, der jüngste Bruder Friedrichs des Großen, „nach neun Uhr Morgens“ beiwohnen und bat den Magistrat um einen späteren Beginn. Heitere Gesellen mieteten „große Wagen zu fünfzehn bis sechzehn Personen“, nahmen „ihre der Küche geraubten Liebsten mit“, setzen als „Kutscher zwei der ältesten Kollegen in bunter morgenländischer Tracht“ ein. Vor Ort „kochten die schneeweißen Liebsten dünnen Kaffee, wanden Kränze aus blauen und roten Kornblumen“ und waren „gar nicht so spröde, wie sie aussahen.“ Wenn es abends hieß: „Holz muß et jeben“, wandten sich die Bürger mit der Bemerkung ab: „der Berliner Geselle kennt ohne Prügel kein Vergnügen“. Vergnügen bereiteten Karikaturen, in denen man sich über Honoratioren lustig machte oder freudig die wilhelminische „öffentliche Ordnung“ außer Kraft setzte. Das führte am 23. August 1873 zum Verbot des „Fischzuges“. Aber am 23. August 1879 wurde in „Wulff`s Salon“ in Friedrichsberg ein Ball zum Fischzug gegeben und mit der Auflage, bis 23 Uhr zu schließen, konnte das Volksfest „Fischzug“ auf Stralau fortgesetzt werden. Im Herbst 1889 lockten zwei „Caspartheater“ die Kinder, dazu fünfzehn Erfrischungszelte und viele Spielbuden, in denen die Erwachsenen mit Karten oder acht Würfeln um Geld spielten. 1890 waren Affen-, Hunde- und Zaubertheater und sogar ein zweiköpfiges Kind zu bestaunen. Sensationen waren Dampfpferde, Schiffs-Karusselle und „Sudanesen-Karawanen“, die unter „fürchterlichem Wutgeheul“ Kampfspiele mit Schwertern aufführten. Die bürgerliche Presse wütete: „dieser Rummel ist ein Ort des Lasters, Brutstätte der Gemeinheit, des Verbrechens“, dort gespielte Schlagermelodien wären „orientalisch“ und „vom jüdischen Geist verseucht“.

, Liliputaner auf dem Fischzug, Quelle: Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 1928, Fotograf unbekannt
Über Jahre war die Schaubude „Im Reiche der Zwerge “Stammgast auf dem Fischzug. / Quelle: Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 1928, Fotograf unbekannt /

Neustart

Das alte Fest ging aus Konkurrenzgründen 1892 ein. Der „Verein zur Erhaltung des historischen Fischzuges von Stralau e. V.“  erweckte am 24. August 1923 die Tradition zu neuem Leben. Eine Attraktion war der Zaubertrick „Das Verschwinden und Wiedererscheinen einer Dame“ des „Illusionisten Mr. Ertoldi“ oder die „Spinne mit menschlichen Kopf“ und das geflügelte, dicht behaarte „Marsweib Kora-Nora“. 1931 gehörte eine Kuh mit fünf und ein Kalb mit drei Beinen zum Inventar des Fischzuges. Wachsam war die Polizei gegenüber „Spielkundigen“ von „Geschicklichkeitsspielen“, wie dem Drehrad oder dem Schießautomaten, die für „Spielunkundige“ zu „Glücksspielen“ wurden. Überschlagschaukeln, mit denen „infolge eigenen Kraftantriebes vollständige Kreisbewegungen möglich“ waren, standen im Verdacht, wegen der „außergewöhnlichen Kopfstellung“ Blutstürze auszulösen. Einer jungen Frau waren 110 Volt Gleichstrom durch den Körper geschossen, als sie  am 27. August 1930 auf feuchtem Boden stehend mit einem Fuß auf die Eisenplatte der Fahrbahn vom Autoscooter  (seinerzeit die „Radioautobahn“) trat. Angesichts der provisorischen Aufbauten der  Schaustellergeschäfte forderte ein Prüfingenieur Jubermann, bei Installationen Lebens- und Feuersgefahren zu vermeiden.

Rummel mit Hau den Lukas, Quelle: Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 1928, Fotograf unbekannt
„Hau den Lukas“, war bei jungen Männern immer beliebt.
/ Quelle: Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 1928, Fotograf unbekannt /

Neue Regeln

Seit 1933 gehörten die Schausteller zur Wirtschaftsgruppe Ambulantes Gewerbe.  Weil sie nur „der Schaulust dienten und bei Jugendlichen dem deutschen Sport abträgliche Vorstellungen erwecken würden“ waren Rummel-Ringkämpfe  jetzt verboten. Der Fischzug sollte in „Anlehnung an ehrwürdige Traditionen dem Heimatsinn und der Volksverbundenheit neue Impulse geben.“ Dennoch war 1935 das Fahrgeschäft „Loch Ness“ mit von der Partie und 1938 neben Raketen-, Geister-, Wellenflug- und Achterbahn ein Panoptikum und eine Liliput-Schau zu erleben. Selbst dressierte Gänse durfte man bewundern. Der Fischzug dauerte nun von Mai bis September. Ab 1939 wurde mit Einbruch der Dunkelheit geschlossen. Wegen der Brandbombengefahr hatten die Schausteller 50 bis 60 Meter Abstand zwischen den Geschäften zu halten. Für Jahre endete im August 1944 der Fischzug.
Julius Lehmann, der letzte Fischer auf Stralau, warb für eine Fortführung und  am 2. Juli 1950 startete der auf „Alt Berlin“ getrimmte neue Fischzug. Von politischer Ebene hieß es: „Anhand der revolutionären Traditionen Berlins entspricht der Stralauer Fischzug mit seinen alten Inhalten nicht mehr den gesellschaftlichen Erfordernissen“.

Andere Regeln

Politische Inhalte sollten im Mittelpunkt stehen. Deshalb sprach 1954, am „Tag des Friedens“, Robert Havemann auf dem Fest. Zwischen August und September 1956 kam eine halbe Million Besucher, davon ein fünftel aus Westberlin. Schon am Vormittag des ersten Tages ging der HO Bier und Bockwurst aus. Zeitgleich schenkte eine private Zeltgaststätte 30 Fass Bier aus. 1958 lieferten sich zivile Kampfgruppen Schlägereien mit Jugendlichen aus beiden Stadtteilen. Wegen zu viel politischer Propaganda beklagten die Schausteller um 1960 schlechte Geschäfte.
Trotz aufwendiger folkloristischer Umzüge hielt der Besucherschwund an und lebte erst auf, als die Veranstaltung aus logistischen Gründen nach Treptow verlagert wurde. Das Wasserfest 1987 war hier ein Höhepunkt, aber der Fischzug eine Legende.

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