Läufer in der Tamara-Danz-Straße

Schwimmt der Nebel durch die kalte Stadt

Tamara-Danz-Straße, Quelle: FHXB-Museum
Tristesse in Beton in der Tamara-Danz-Straße: Wäre dies ein Farbfoto, wäre es nicht viel bunter, bis auf den Regenschirm vielleicht. / Quelle: FHXB-Museum /

Die Tamara-Danz-Straße.

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Der „Casino Club“, ein Hort elektronischer Tanz-Musik, siedelte sich 2002 auf dem ehemaligen Güterbahnhofsgelände am Ostbahnhof an. Hier war man nur Minuten von der angesagten „Maria am Ufer“ entfernt. Wer in der „Maria“ keinen Einlass fand, ging ins „Casino“ und auf den Sonntagnachmittag-Open-Air-Partys trafen sich die Veteranen früher Technojahre mit ihren Familien. Vor allem aber gab es hier keine Nachbarn, die sich über Lärm beschwerten. 2004 endete für das „Casino“ das Glück der Brache. Im November 2005 entschied der Senat „nicht mehr genutzte Verkehrsinfrastrukturflächen“, wie das  20.500 Quadratmeter große Areal des ehemaligen Güterbahnhofs für „neue Entwicklungen zu erschließen“.

Wenn das große Geld winkt

Mitbestimmend für diese „Leitbildentwicklung“ waren Investitionsabsichten der „Anschutz Entertainment Group“. Philip Frederick Anschutz, Kopf der Anschutz Entertainment Group, winkte mit 165 Millionen Euro, um hier eine 17.000 Zuschauerplätzen fassende Veranstaltungshalle zu bauen. Dem maximal profit­orientierten Mainstream wurde die Tür geöffnet. Angesichts der Investitions­summen spielten lokalhistorische wie regional-wirtschaftliche Aspekte keine Rolle. Diese Planungen hatten massive Proteste wie „MediaSpree versenken“ und Bürgerentscheide gegen die Bebauung des nahen Friedrichshain-Kreuzberger Spreeufers zur Folge.
Es ging nicht nur um einen Veranstaltungsort, sondern um die Konzeption für einen komplett neuen Stadtteil, vergleichbar mit den Londoner Docklands, wo entlang des innerstädtischen Themseufers exklusive Wohnbauten und Firmensitze der Medienbranche auf einstigen Industrieflächen „entwickelt“ wurden.

Läufer in der Tamara-Danz-Straße
Wendet man den Blick in Richtung Mercedes Benz Arena, sieht es im Grunde genauso aus. / Quelle: FHXB-Museum /

Tamara und der Laubfrosch

Jeder Stadtteil benötigt Straßen und diese brauchen Namen. Wegen der vielen Männernamen für die Straßen der Stadt sollte es der einer Frau sein, am besten eine, die mit Friedrichshain, DDR, Kultur und Musik verbunden ist. Die Wahl fiel auf Tamara Danz, einst Sängerin der Band Silly. Sieben Mal war sie „Rocksängerin des Jahres“ in der DDR. Drei Mal hatte Silly die „LP des Jahres“ aufgenommen. Ein Erfolg, der nach der Wende blieb.
Speziell diesen Erfolg sah Tamara Danz kurz vor ihrem Tod kritisch: „Ob Silly, Sputniks, Küchenlieder oder Oktoberklub auf einer Platte; Hauptsache, die Sehnsucht nach einer Zeit, in der alles geregelt war, wird bedient“. Immerhin, eine ihrer Stationen war für drei Jahre der linientreue Oktoberklub, um hier den, wie es hieß: „Alltag zu besingen wie er ist“.
Ihr Vater war als Außenhändler in Rumänien und Bulgarien tätig, bis er wegen kritischer Bemerkungen suspendiert wurde. Tochter Tamara absolvierte an der Friedrichshainer Musikschule eine Ausbildung in Tanzmusik und Gesang und traf 1978 auf die „Familie Silly“, die 1980 ihren Gruppennamen auf Silly verkürzte. 1983 traf der melancholische Song und das Album „Mont Klamott“ – gemeint war der Volkspark Friedrichshain – nicht nur in der DDR den Hörnerv vieler Fans und brachte zahlreiche Ehrungen und Plattenverkäufe ein. Silly durfte lange sechs Wochen auf Sowjetunion-Tour gehen. Ihre Texte waren zu verstehen, Tamara sprach fließend russisch.
Für Silly blieb der Westen verschlossen. Zwischen dem Westberliner Musikpromoter Jim Rakete und der Band war „unter der Hand“ ausgemacht, die LP „Zwischen unbefahr’nen Gleisen“ im Westen erscheinen zu lassen. Doch der DDR-Zoll nahm Jim Rakete Song und Textmaterial ab. Nach DDR-Gesetzen hatte sich Silly strafbar gemacht. Dem Ruhm von Tamara Danz schadete dies jedoch nicht.
Im Gegensatz zu den Jugendlichen der Beat­jahre genoss sie viele Freiheiten in Bezug auf Kleidung und Auftreten. Sie wurde sogar zum Empfang zu Erich Honecker geladen, der auf sie „nicht größer wie’n Laubfrosch“ wirkte. Um politische Reformen in der DDR zu fordern, unterschrieb sie am 18. September 1989, eine offiziell verbotene „Resolution der Rockgruppen und Liedermacher“ und las sie bei jedem Konzert vor. Zu spät, sagten viele Oppositionelle, und waren misstrauisch, weil Gruppen wie Silly von der Partei gefördert wurden.
Tamara Danz blieben nicht mehr viele Jahre vergönnt. Am 2. Juli 1996 starb sie 43-jährig an Krebs. Mit der Mahnung „authentisch und glaubwürdig zu bleiben“, leitete am 16. November 2006 Franz Schulz, damals Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, eine kleine Feier zur Benennung der Tamara-Danz-Straße ein. Ihre Freundin Tamara wäre eine „der aufrichtigsten Personen“ gewesen, ergänzte die Journalistin Abini Zöllner und viele Zuhörer hatten Tränen in den Augen, als Songs wie „Bataillon d’amour“ oder „Asyl im Paradies“ erklangen.

Monokultur

Bunte Broschüren warben unter der Marke „MediaSpree“ 2006 zur Ansiedlung von kapitalstarken Investoren auf der alten Güterbahnhofs­fläche und dem Friedrichshainer Spreeufer. Die vollständige Privatisierung war eingeleitet. Eine allenfalls symbolische Beteiligung der Bevölkerung an den Prozessen und Entscheidungen mochte kosmetische Korrekturen erreichen, aber nichts verhindern. Riesige LED-Panels wurden aufgestellt, die zur massiven Lichtverschmutzung entlang des Spreeufers beitrugen, die East Side Galery wurde für eine Dampferanlegestelle durchbrochen. Mittlerweile sind die LED-Panels auf zehnprozentige Helligkeit gedimmt, grob-plakativ widmet sich ein privater Veranstalter der örtlichen Mauergeschichte. Gelegentlich proben die Fans vom Eishockey-Verein „Berliner Eisbären“ den Aufstand gegen die umfassende Kommerzialisierung der „MediaSpree“. Mit Postern „Ohne Fans keine Stimmung“ protestierten sie gegen die Bahnhofshallen­atmosphäre der riesigen O2- (heute Mercedes-Benz-)Arena und gegen hohe Eintrittspreise mit einem Banner, auf dem „Nur der Euro zählt“ geschrieben stand. Dabei riefen sie: „Eishockey muss bezahlbar bleiben“.
„Ostrockfestivals“ sind heute fast Geschichte, und den meisten Besuchern der Mercedes-Benz-Arena wird der Name einer Straße, die an gesichtslosen, auf schnellen Verschleiß projektierten Nutzbauten vorbeiführt, kaum noch etwas sagen.

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