Berlin fährt mit Holz.
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Mancher mag denken: „Mein Auto fährt auch ohne Wald!“. In Zeiten, in denen Kraftfahrer nach faulen Eiern rochen, war das anders. Wer seinerzeit ans Steuer von einem Lastwagen wollte, hatte die Kurse der Fahrschule Lehmann in der Frankfurter Allee zu besuchen. Hier wurde gelehrt, immer wenn ein Zischeln oder Muffeln vom Motor zu hören ist, zeigt der bald erste Aussetzer. Den Aussetzern folgen ein Gurgeln und dann das Schweigen des Motors. Bei Lehmann lernten angehende „Generatorfahrer“, wie sie die „Schnüfelklappe“ vom Generator öffnen konnten und, um Gasnester auszulösen, mit dem Schürhaken im „Badeofen“ herum zu stochern hatten. Verpufften die Gasnester nämlich, dann verdunkelte Asche nicht nur das Haupt des Fahrers.
Flüssig und Fest
Schon im ersten Weltkrieg fehlte in der Heimat das Benzin und erste Versuche wurden unternommen, Kohle zur Benzinherstellung zu verflüssigen. Aber Kohle war noch wichtiger als Benzin. Die Idee kam auf, Gas, das von schwelendem Holz abgegeben wird und nach faulen Eiern riecht, zum Antrieb von Automotoren zu nutzen. Auf dem Hof des Kraftwagenbetriebswerks am Markgrafendamm wurden im Januar 1938 Lastwagen für den Betrieb mit Holzvergaserantrieb getestet. Lediglich die Generatoren des Marktführers „Imbert“ schienen praxistauglich. Mit Blick auf die Unabhängigkeit von Erdöl-Exporten beschäftigte sich die Firma seit 1934 mit diesen Antrieben, bei dem auf Streichholzschachtelgröße geschreddertes luftgetrocknetes Buchen- und Kiefernholz in die Gaserzeuger kam. Das waren Kohlebadeöfen ähnliche Stahlzylinder, die seitlich des Fahrerhauses befestigt waren. Ein Ventilator brachte das Holz zum Glühen. Nach einer Stunde konnten die Wagen angelassen werden. Der Aufwand, mit Holzeinschlag, Aufbereitung für den Generator, bei täglicher Wartung wie Reinigung der Generatoren und einem Drittel weniger Motorleistung, machte die Holzvergaser unwirtschaftlich.
Holz im Tank
Bereits am 1. November 1933 war das Kraftwagenbetriebswerk am Markgrafendamm eingerichtet worden, um Reisebusse und Lastwagen zu betreuen. Ab 1939/40 wurden zivile Motorfahrzeuge auf Holzgas umgestellt. 1939 standen 161 Fahrzeuge in den Garagen und 1943 waren neben 300 deutschen Arbeitern auch 43 Zwangsarbeiter hier tätig. Im Frühjahr 1945 völlig zerstört, musste das Werk aufgegeben werden. Die Technik der Holzvergaser lebte dagegen wieder auf.
Nach Kriegsende blieb Benzin stark rationiert. 3.400 Generator-Fahrzeuge fuhren 1948 in Berlin. Um die Generatoren in Gang zu bekommen, war Holzkohle nötig. In der Rigaer Straße wurde dafür Holz aus Ruinen in Meilern verkohlt. Willy Geisler aus der Dolziger Straße 19/20 übernahm als Händler die Aufbereitung von „Tankholz“ für Generatoren. 1948 blieben zwei Probleme: Ersatzteile und das Holz. Zum 5. Mai 1948 wurde eine Internationale Generatortagung einberufen, die zur Weiterentwicklung der Fahrzeuggeneratoren führte: 1952 legte August Schulze, als „Aktivist ausgezeichnet“, mit einem Holzvergaser-LKW ohne Reparatur 100.000 km zurück.
Einen Bonus von 9.600 Kubikmeter Holz ließ die SED-Leitung Friedrichshain bereits 1946 ihren Einwohnern zukommen. Ausgenommen waren jene, die dem „neuen demokratischen Deutschland feindlich gegenüberstehen“. „Zu wenig für die anderen“, sagte die sowjetische Militärbehörde.
Holzeinschlag Neuendorf
Sie startete am 29. September 1947 auf Initiative des FDGB eine Holzeinschlagsaktion im Wald bei Neuendorf. Problematisch war: zunächst fehlten Äxte, Bügelsägen, Schrotsägen und Waschschüsseln. Mehr noch: hier lag ein Schießplatz der Roten Armee. 35.000 Raummeter (Kubikmeter) Holz, sollten eingeschlagen werden. Da 135 LKW zum Bau des Ehrenmals im Treptower Park abgezogen wurden, blieben im Oktober 1947 etliche Stämme liegen. Gleise einer Waldeisenbahn zum Ostbahnhof wurden verlegt. Neben anderen war die Firma Kurt Dahms aus der Barnimstraße 48 für sieben Mark pro Raummeter mit der Einbringung von Brennholz beauftragt. Dahms hatte für den Lohn, die Unterkunft der Arbeiter und deren Verpflegung aufzukommen. 180 Personen waren vor Ort, jeder im Barackenlager bekam ein Holzdeputat. Nicht nur deshalb leerte sich bald das Lager. Weder gab es Betten, nur wenig Sanitätsmaterial, noch bestand die Möglichkeit Kleidung zu waschen oder Schuhe zu reparieren. Der Sanitäter besaß keinen Ausweis, mit dem er das Lager betreten durfte. Überall gab es Rattenbefall. Regen fiel durch die Dächer, Dachpappe traf nie ein und durch die Seitenwände der Baracken wehte der Wind. Herbert U. aus der Knorrpromenade erkrankte gar an spitaler Kinderlähmung und kam ins Seuchenkrankenhaus Neuruppin.
Kopfwechsel
Immerhin trafen 1.000 Raummeter des geschlagenen Holzes, „Kloben und Knüppel gemischt“, am Ostbahnhof ein. Zu wenig für Generalmajor Kotikow. Er vermutete „Sabotage“ und enthob am 25. Oktober 1947 den SPD-Bezirksbürgermeister von Friedrichshain Wilhelm Mardus, seines Amtes. Seit den Wahlen im Oktober 1946 gehörten acht Bürgermeister des sowjetischen Sektors der SPD an. Die „Holzaktion“ war ein Versuch, der SPD Unfähigkeit zu unterstellen. Alle Bezirksbürgermeister und der Magistrat protestierten. Am 21. Januar 1948 wählte die Bezirksverordnetenversammlung Heinz Griesch von der SPD zum Bürgermeister.
Verteilung
Angesichts des zunehmenden politischen Konflikts zwischen West und Ost sollte die „Internationale Generatortagung auf alle Fälle den beteiligten Kreisen die Bedeutung Berlins als Hauptstadt eines einheitlichen Deutschlands ins Bewußtsein bringen“, hieß es einem internen Ostberliner Bericht, der resümierte, dass dies in einer Linie zur „Volkskongressbewegung“ stünde, die ein „Volksbegehren zur deutschen Einheit“ anstrebte. In der Realität verbot die Russische Militärkommandantur schon 1946 Holz-Transporte aus ihrem Gebiet. Um an Tankholz zu kommen, wurden im Tegeler Forst bis zu 200 Jahre alte Bäume gefällt. Wer kein Holz im Vergaser hatte, schüttete Koks oder Torf in den Generator. Benzin war selten und teuer, die „Generatoren“ gehörten deshalb lange zum Friedrichshainer Straßenbild.