Gutes für die Jugend in der Barnimstraße
von
Die 1906 geborene Wanda Ruth Nadolny war eine, die anzupacken pflegte. Nach dem Krieg organisierte sie Nähstuben und Volksküchen. Um die Kinder aus den Ruinen zu locken, half sie einen Spielplatz in der Höchsten Straße einzurichten. Sie initiierte den Bau von Kindergärten und einer Kleinsportanlage. Als Abgeordnete hatte sie stets ein Ohr für die Nöte von Familien. Im April 1957 kam Wanda Nadolny über den Demokratischen Frauenbund Deutschlands in den Rat des Stadtbezirks und wurde in der Ständigen Kommission Wohnungswesen tätig. Ihr Herz aber gehörte der Jugend.
Mit der Anodenwumme auf wilder Jagd
Wer als Kind Bombenkrieg und Straßenkämpfe überlebt und die Anarchie von Schwarzmärkten erlebt hatte, war skeptisch gegenüber „der Ordnung“. Das kleine Berliner Wirtschaftswunder brachte im Laufe der 1950er Jahre Geld in die Taschen von Jugendlichen. Die setzten es in Kofferradios („Anodenwummen“), Mopeds, Schallplatten und Konzertbesuche um. Am 9. April 1956 kamen 4.000 Besucher in den Sportpalast um das „Max-Greger-Sextett“ zu hören. Doch es spielte nur eine Ersatzband. Wütend warfen Besucher Blumentöpfe auf die Bühne, bis die Musiker flüchteten. Am Wedding geriet eine Gruppe von Motorradfans in schwere Ausschreitungen mit der Polizei. Mittwochs spielte im „Plänterwald“ die „Rumba Kapelle“. Hier „tanzen die Mädchen bis zur Ekstase, aber anständig aussehende Tänzer erhalten den Korb“, schrieb ein betrübter FDJler an die Kreisleitung. Im „Lichtspieltheater Welt” in der Boxhagener Straße lästerten junge Zuschauer laut über die Filme. 1960 verübte die „Alexmeute“ vom Barnimkiez kleine Einbrüche.
Wanda hat Verständnis
Statt zu drohen, kam Frau Nadolny mit der „Meute“ ins Gespräch. Sie gewann das Vertrauen vom Tonangeber „Mäki“. Der wollte mit seinen Leuten lieber „unter sich“ bleiben, als in den „Klub der Jugend und Sportler“ zu gehen. Wanda schlug vor, eine alte Kneipe in der Barnim- Ecke Büschingstraße zum FDJ-unabhängigen Jugendklub umzubauen. Weil sich „Mäki“, die „Meute“ und zwei Freunde von Wanda, Jochen Golz und „Micki“ Fettbach mit freiwilliger Arbeit einbrachten, gelang das. Den ersten Konflikt mit dem Referat Jugendfragen löste ein Elvis Presley-Poster aus, den zweiten mit der „nationalen Front“ Pin-Up-Fotos hinter der Bar.
Wanda empfahl, die Wände mit eigenen Zeichnungen zu schmücken. Der von den Besuchern gewählte Name „C18“ stieß auf Ablehnung bei der SED-Kreisleitung. Weil dieser Westberliner Jazzclub bei den Klubgästen sehr beliebt war, stimmte Wanda dennoch zu. Zum Problem wurden die Finanzen. Da „es kein FDJ-Klub sei“, lehnten die FDJ und andere Organe ihre Hilfe ab. Erst als Wanda im „Neuen Deutschland“ über den Klub schrieb („Wir von der Barnimstraße“) – was eine rege Diskussion auslöste – kam Bewegung in die Angelegenheit. Als Hans Zielinski, Westberliner Korrespondent der „Welt“, am 6. Februar 1961 einen Artikel unter dem Titel „Die Rebellen aus der Barnimstraße“ veröffentlichte, wo er sich über die Engstirnigkeit der FDJ lustig machte, kam eine Welle der Hilfsbereitschaft in Gang. So spendeten Hilde Schneller, Ehegattin vom Widerstandkämpfer Ernst Schneller oder Wolfgang Langhoff vom Deutschen Theater jeweils 100 Mark.
Der „C18″ sah nun viele Besucher, selbst Bezirksbürgermeister Höding war Gast.
Wanda hilft
Wanda Nadolnys Initiative war der Versuch, die „Entstehung von Kriminalität von vornherein aus[zu]schließen“, so ihr Argument gegenüber skeptischen Genossen der FDJ-Kreisleitung.
Im unzivilen Leben führte Frau Nadolny den Titel „Oberstleutnant der VP“. Sie kam 1945 Polizei und wurde im Juli 1946 persönliche Sekretärin des Vizepräsidenten der „Deutschen Verwaltung des Innern“ Erich Mielke. Nach den ersten Gesprächen mit „Mäki“, dem Grenzgänger, wandte sie sich an die Abteilung V des MfS. Die Folge: Ganz zufällig traf kurz danach „Mäki“ auf Jochen Golz alias „Kurt“. „Mäki“ berichtete: Jochen sei ein Netter, könne helfen, und weil er „in der Kernforschung“ arbeite, rede er nicht über seinen Job. Spenden kamen. Klavier, Billardtisch, Radio, Tischtennisplatte, von der „Nationalen Front“ – inoffiziell. Ein „Patenbetrieb“, der offiziell keine Unterstützung leistete, gab Geld und Baumaterial. Mit den Spitzen der örtlichen FDJ-Leitung war vereinbart, sich zurückhaltend zu verhalten. Gleiches galt für die Volkspolizei. Wie viele andere Leitungskräfte wurde Bürgermeister Höding nicht eingeweiht.
Als wegen der vielen Besucher die Beschwerden der Nachbarn zunahmen, schlug Wanda vor, Klubkarten auszugeben. „Mäki“ legte Listen an, die Golz an die MfS Abteilung XII weitergab, die registrierte: Von 60 Besuchern waren 12 vorbestraft. Hier setzte das MfS an, um Kandidaten „zur Absicherung ihrer Arbeitsstellen“ anzuwerben.
Eine Wochenendfahrt bot Gelegenheit, einen weiteren Freund von „Kurt“ vorzustellen, der dann als Techniker im Klub mitmachte. Sein Ziel: Die Westkontakte der „Meute“. Er kam von der HVA, der Auslandsspionage des MfS, wie „Micki“ alias „Heinz“ Fettbach. Über inoffizielle Kontakte wurden Redner zu Vorträgen eingeladen oder Film- und Musikabende veranstaltet. Nur zuverlässige MfS-Personen sollten auf die Besucher einwirken. Als Nadolny mit Jochen „Kurt“ Golz eine Klubordnung einführte, verschwand der Name „C18“ und die Einrichtung wurde zum „ersten Jugendklub der Nationalen Front“.
Ein Ruf, der blieb
DDR-weit bekannt wurde der „Rebellenklub“ über die DEFA, Fernsehfunk und Rundfunk. Bis zur Schließung 1965 war er ein Treff von oppositionellen und randständigen Jugendlichen und das erste von späteren MfS-Projekten gegen unbotmäßige Jugendliche.