Werkzeuge aus der Krautstraße.
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Für Gustav war es ein Alptraum: Vater Kärgers Stolz, die Weberei, stand vor der Pleite. Schuld waren die leistungsfähigen englischen Textilmaschinen. Gustav beschloss: Ich gründe eine Maschinenfabrik! Und begann eine Metalldrehbank selber zu bauen. Zu horrenden Preisen kamen diese aus den USA oder England nach Berlin. Ihm fehlte jedoch das Geld für einen Antriebsriemen aus Leder. In der Silvesternacht 1870 nutzte er den Strickstrumpf seiner Frau anstelle des Lederriemens und plötzlich lief die Maschine!
Gewichte und mehr
Mit präzisen Gewichten für Waagen aller Art brachte Kärger seine am Grünen Weg 79 gelegene Werkstatt ins Gespräch. Julius Pintsch, Gründer der bekannten Beleuchtungsfirma, wurde aufmerksam. Pintsch ließ sich alle Funktionen der neuen Drehbank vorführen, um dann sechs Stück davon zu bestellen. Im Keller der Markusstraße 35 eröffnete Kärger am 1. Oktober 1872 seine „Fabrik für Werkzeug-Maschinen“. Mit seinen Drehbänken ließen sich Achsen, Wellen und Schrauben preiswert und schnell herstellen. Führend auf diesem Gebiet war die amerikanische Firma Pratt & Whitney. Um dieses Monopol zu brechen, entwickelte Kärger 1876 eine Revolverdrehbank. Den Patronen in einem Trommelrevolver ähnlich, montierte Kärger alle Meißel, Schneidstähle oder Bohrer auf einer Halterung, die an das drehend gelagerte Werkstück herangeführt wurde. Arbeitsgänge konnten sogar automatisch ablaufen. Nebenher konstruierte Kärger Fräs- und andere Maschinen. Eine Ausbildung zum Ingenieur hatte er nicht. Dafür arbeitete er in der Produktion seiner Maschinen mit, um zu lernen, wie diese Prozesse zu optimieren sind. 17 Personen zählte seine Fabrik, als er sie am 1. Oktober 1882 in die Blumenstraße 67 verlegte. 40 Produkte standen 1886 im Firmenkatalog. Nicht nur Deutschland, Europa, sondern auch die USA wurden beliefert. Kärger hatte sein wichtigstes Ziel erreicht.
Sozial
1888 erwarb Kärger ein Grundstück in der Krautstraße 52. 1891 belief sich die Belegschaft auf 216 Personen. 1893 wurde ein 110-Volt- Gleichstromdynamo von Siemens aufgestellt, der den Gewerbehof mit Elektrizität versorgte. Im Mittelgebäude war eine Kantine mit Kegelbahn eingerichtet, daneben lag ein Garten. Von den Großeltern der Mitarbeiter beaufsichtigt, durften hier die Kinder der Beschäftigten spielen. Kärger war mit Paul Singer, August Bebel und Wilhelm Liebknecht eng befreundet und führte den 9-Stundentag, wie den bezahlten 1. Mai ein. Überstunden und Sonntagsarbeit wurden selbstverständlich verlangt, aber bezahlt. Wer verunfallte, bekam eine Rente von 30,- Mark, selbst wenn er erst einen Monat in der Firma war. Starb ein Mitarbeiter, erhielt seine Frau bis zu 400 Mark Unterstützung. Pensionen von monatlich 150,– wurden ausgezahlt und 25 Jahre Firmenzugehörigkeit mit 1.000,– Mark belohnt.