Alternatives Wohnen in Friedrichshain in DDR-Zeiten.
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Dass Menschen, die sich sympathisch sind oder die bestimmt Ansichten teilen, gern zusammen leben – jenseits von Familienstrukturen –, ist ein uraltes Menschheitsphänomen, das schon vor Jahrtausenden Klöster entstehen ließ. Vor elf Jahren initiierten die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg eine Gedenktafel in Erinnerung an ein Ereignis, das bei anderen nur ratloses Achselzucken hervorrief. Bekannt wurde nämlich, dass in der Samariterstraße 36 im Jahr 1969, also inzischen vor genau 50 Jahren, die Kommune 1 Ost gegründet worden war. Bei Kommune 1 denkt man unwillkürlich an das berühmte Foto mit den nackten jungen Leuten an der Wand, denkt an Berichte über stundenlange Debatten, freien Sex und naive, bisweilen sympathische aber auch äußerst groteske Vorstellungen von einer besseren Welt. Auch die West-1968er waren einmal jung gewesen. Doch von der Existenz einer Ost-Kommune 1 hatten bis 2008 nur sehr wenige etwas gehört. Erika Berthold, Frank Havemann, Franziska und Gert Groszer, Kinder von bisweilen kritischen aber doch in der DDR etablierten Intellektuellen, zogen 1969 in eine Wohnung in der Samariterstraße 36 zusammen, weil sie zusammen leben wollten. Natürlich ging es den jungen Leuten auch darum, die DDR zu verbessern, zu diskutieren und auch traditionelle Rollenklischees kritisch zu hinterfragen. Aber auch der Spaß stand oben an, zumindest am Anfang. Von den Skandalen der Kommune I West und ihrer Kultur der Provokation waren die Friedrichshainer weit entfernt. Dennoch, die Wohnung in der Samariterstraße wurde zu einem Anlaufpunkt neugieriger interessierter junger Leute. Da schien etwas Neues anzufangen. Ein Teil der jungen Leute hatte sich an den Protesten gegen den Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag 1968 beteiligt und war dafür bestraft worden.
Eine andere Tradition
Die noch einmal fünfzehn bis zwanzig Jahre jüngeren Hippiepunks, die ab Anfang der 1980er Jahre in den Friedrichshain kamen, können wegen der ereignisreichen Jahre 1982/83 für die DDR-Friedens-Umwelt und Menschenrechtsbewegung als 1983er bezeichnet werden. Diese jungen Leute nutzten ein über Jahre entstandenes System, mit dem schlecht vermietbarer Wohnraum, – Dutzende Wohnungen im Bezirk – in Altbaugebieten reaktiviert werden konnte. Die umständlichen und vor allem langwierigen Regularien zum legalen Erwerb von Wohnraum missachtend, besetzten sie leerstehenden Wohnungen und betrieben fast immer erfolgreich ihre Legalisierungsstrategie. Diese 1983er hatten eine merkwürdige Zwitterstellung. Ein Bisschen gehörten sie noch zu den 1968ern, denn sie lehnten die elterliche Gesellschaft als spießig und verlogen ab. Aber Liedermacher, lange Bärte, ewig dauernde Psycho-Musiksounds, umständliches Theoretisieren und beschwichtigendes, melancholisches Gelaber war ihnen ein Graus. Längst trugen auch FDJ-Sekretäre langes Haar, einst Zeichen des Nonkonformismus. Im Unterschied zu den Kommunarden in der Samariterstraße im Jahr 1969 hatten die 1983er überhaupt keine Erwartung mehr in den SED-Staat, auch nicht an die Partei selbst und ihren politischen Mitläufern in den Blockparteien und anderen Massenorganisationen. Eigenständiges Agieren war angesagt. Bei den jungen kritischen Leuten hatte Punk viel verändert. Eine ganz neue Dynamik der Ungeduld und der Tat war zu verspüren: Zeit zu Handeln. Marxistische Theorie? Lachhaft, Schnee von Gestern! Derweil ging der weit überwiegende Teil der Friedrichshainer Einwohner seiner gewohnten Wege nach, arbeitete, feierte, lebte, aber versammelte sich auch auf SED-Geheiß zu Großkundgebungen und Demonstrationen in der Karl-Marx-Allee und las geduldig die Zeitungen, die sie darüber informierten, was gut und richtig war. Die jungen Leute hingegen, die von Auswärts nach Berlin gekommen waren, um in der Anonymität der Großstadt ein abenteuerliches Leben zu führen begannen, sich von allen Pflichten zu lösen, die sie als stumpfsinnig und einengend empfanden. Sie suchten nach alternativen Arbeitsmöglichkeiten, denn gearbeitet werden musste. Bis Mitte der 1980er Jahre wurde Arbeitsverweigerung von den Gerichten grundsätzlich als asozial angesehen und drakonisch bestraft. Irgend ein „Aussteigerjob“, etwa als Telegrammbote, Pförtner oder Hauswirtschaftspfleger bei der Volkssolidarität, ließ sich finden. Junge Männer dieser Szene entgingen dem Armeedienst, indem sie sich trotz des Risikos, verurteilt zu werden, zu Totalverweigerern erklärten. Weil die DDR international als Friedensstaat glänzen wollte, traute sie sich nicht, diese Verweigerer zur Armee einzuziehen und zu bestrafen. In Friedrichshain fanden die Verweigerer Ansprechpartner und Unterstützer, die in den legalisierten besetzten Wohnungen lebten.