Verantwortung
Dass es den Museumsmachern nicht nur um die reine Freunde am Spiel geht, sondern auch um die Orientierung in realen Lebenswelten, beweist die gegenwärtige Sonderausstellung: „Die Digitale Küche – mit Essen spielt man (nicht)“, die bis zum 29. März 2020 im Museum zu sehen ist. Darin werden sowohl Überlebens-Spiele gezeigt, in denen die Figuren Nahrung finden und am Feuer zubereiten müssen, aber auch solche, bei denen man Rezepte sammeln und erlernen muss. Es gibt auch Spiele, bei denen es um das Essverhalten und die gesellschaftlichen Vorstellungen von Körperidealen geht. Mascha Tobe überreicht mir ein paar Kataloge: „Es hat sich erwiesen, dass Hintergrundwissen immer noch am besten über solche Kataloge vermittelt wird.“ Ich frohlocke: auch Skeptiker können diese Old-School-Publikationen anfassen, lesen und richtig etwas lernen dabei. Als Medium hat das Spiel neben Buch, Comic, Radio, Fernsehen, Theater, Kino und weitere längst einen gesellschaftlichen Stellenwert erreicht. Das heißt, es vermittelt auch Geschichtsbilder. „In den Grafiken eines amerikanischen Spiels, das in der Antike handelt, wurden den klassischen Skulpturen alle Geschlechtsteile verdeckt. Spielende könnten nun glauben es sei tatsächlich so gewesen“, erläutert Mascha Tobe. Regt dies vielleicht noch zum Schmunzeln an, ist die Situation bei Spielen, die im Zweiten Weltkrieg handeln, ernsthafter. „Da werden bestimmte Realitäten, nämlich das Leben in der Diktatur und der Holocaust, einfach ausgeblendet. Ein paar Berliner entwickelten mit ‘Through the Darkest of Times – Durch die dunkelsten Zeiten’ ein Strategiespiel, das sich dem Widerstand gegen die NS-Diktatur widmet.“ Die Entwickler bestanden darauf, statt Phantasiesymbole reale NS-Symbole zu zeigen, was im Gegensatz zu Kunstwerken noch nie in Spielen gestattet wurde, bis auf eine Ausnahme. Doch wegen seiner staatsbürgerlichen Aufklärung und der Abwehr demokratiefeindlicher Bestrebungen ist es das erste Computerspiel aus Deutschland, in dem Hitlergruß und NS-Symbole gezeigt werden dürfen.
Längst emanzipiert
Dass die Entwicklung von Spielecomputern eine Angelegenheit gewissenloser Geschäftemacher ist, die aus der Verrohung der Menschheit Kapital schlagen, war auch im Westen eine weitverbreitete Ansicht. Wer sich den Besuch des Museums gönnt, erfährt dagegen sehr viel über die Findigkeit von Ingenieuren, Grafikern, Gamern, vor allem von jungen Leuten, für die das Spiel und die Entwicklung von Spielen ein Feld des Ausprobierens ist. Übrigens gab es auch in der DDR eine überaus aktive Gamer-Szene, die einerseits staatlich gefördert, andererseits aber auch von der Staatssicherheit argwöhnisch beobachtet wurde. Die Besucherzahlen sind beachtlich. Allein in diesem Jahr kamen 130.000. „Wir müssten eigentlich einmal eine Aufstellung der Länder vornehmen, aus denen noch niemand hier war“, sagt die Kuratorin. Spielewelten wirken sich längst auch auf das reale Leben aus: „Meine Krankenkasse belohnt mich mit einem Bonussystem, wenn ich eine präventive gesundheitsfördernde Maßnahme ergreife.“ Der Besuch von Sport- und Bewegungskursen wird honoriert. Man muss Computerspiele nicht mögen, aber man sollte lernen, dass sie ein Teil unserer Wirklichkeit geworden sind. Hierzu tragen das Computerspielemuseum und die Kuratorin Mascha Tobe engagiert bei.