Zeiten | Quelle: Detlef Krenz

Erfolg mit Fehlern

Zeiten | Quelle: Detlef Krenz
Es gab viel zu sehen und manches kritisch. / Quelle: Detlef Krenz /

Der 20ste Jahrestag.

Von

Manches war ärgerlich. Aus Leipzig kamen VP-Kräfte zur Verstärkung der Berliner VP und meckerten: für sie gab es entweder Erbseneintopf mit Fleischklops oder Blutwurst mit Sauerkraut, für die Berliner dagegen Wahlessen: Leber, Schnitzel, Gulasch, Linsen und anderes Feines. Darauf die Leipziger: „Wenn die Berliner Genossen nach Leipzig kommen, dann wissen wir, wie wir sie behandeln müssen.“ Anderes war noch ärgerlicher. In einigen Friedrichshainer Klassenzimmern waren Blumentöpfe so zusammengestellt worden, dass die blauen Blüten ein Hakenkreuz ergaben. Zwischen dem 25. und dem 26. September wurde ein Hakenkreuz in das DDR-Symbol gemalt, das als Außendekoration der Kaufhalle Persiusstraße diente. Schlimmer gar: in der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober kam es an der 26. Oberschule zu einer Prügelei zwischen dort untergebrachten FDJlern und „Rowdys“. Mochten diese Vorfälle lästig sein, es waren Marginalien gegenüber dem großen Ganzen anläßlich des 20. Gründungstages der DDR am 7. Oktober 1969.

Zeiten | Quelle: Detlef Krenz
Abseits der großen Festlichkeit war man ebenfalls fröhlich. / Quelle: Detlef Krenz /

Aufwand

Um 100 Tonnen Brot zu backen, wurden 10 Sonderschichten gefahren. Eingefroren lagen 50 Tonnen Schnittbrot vor. 40.000 Kästen Flaschenbier gingen in die Produktion. 157 Tonnen zerlegtes Fleisch kamen aus den Bezirken nach Berlin. 250 Tonnen lagerte das Fleischkombinat ein und verarbeitete 150 Tonnen in Sonderschichten. Der Milchhof ging daran, im Drei-Schicht-Betrieb täglich 150.000 Packungen Tetrapacks bereitzustellen. 40 Tonnen Orangen waren für das „Treffen der jungen Sozialisten“ heranzuschaff en. Der 20. Jahrestag hatte zum „absoluten politischen Höhepunkt in der massenpolitischen Arbeit in allen Bereichen des Staatsapparates sowie in den Produktionsbetrieben und Einrichtungen zu werden.“ Dafür wurde das Initiativprogramm „Schöner unsere Hauptstadt mach mit!“ gestartet. Kioske wurden angestrichen, Blumenschalen und Sitzbänke aufgestellt, Strauchbestände auf dem Traveplatz erneuert, Wildrasenflächen an der Palisadenstraße 86 wie der Rigaer Straße 57 von „Feierabendbrigaden“ angelegt. Durch Umbau von Läden zu Wohnraum wurden 50 Wohneinheiten gewonnen und die leerstehende „Rigaer Apotheke“ an der Samariterstraße 9 zur Staatlichen Arztpraxis für Allgemeinmedizin ausgebaut. Im Zuge der „Masseninitiative 20. Jahrestag der DDR“ erzielte die VP-Inspektion Friedrichshain das beste Ergebnis. Von 249 Jugendlichen wurden 67 „positiv verändert“, 66 in den Jugendwerkhof gesteckt und 96 in Erziehungsmaßnahmen gezwungen.

Trubel

110.000 „junge Sozialisten“ reisten an. Allein deren Beförderungskosten lagen bei 1.200.000 Mark. 150.000 Personen beförderte S-Bahn und BVB zur „Spalierbildung“ am 5. Oktober 1969. Das Funknetz der S-Bahn war in dem der BVB eingebunden, um am 7. Oktober einen Höchstleistungsfahrplan über 18 Stunden zu realisieren. Informations-Piktogramme waren an Verkehrsknotenpunkten die Wegweiser. Die Mitropa kam kaum mit der Bereitstellung von Waren nach. Am Ostkreuz fehlten Bouletten. Ein Mitarbeiter holte sie im Pappkarton aus Karlshorst. Dort kannte er eine billige Quelle. Da Limonade fehlte, kaufte sein Kollege eine Batterie Flaschenlimonade, füllte sie in einen Krug um und gab die Brause glasweise für teure 35 Pfennige ab. Die Mitropaküche vom Ostbahnhof war so schmutzig, sie hätte geschlossen werden müssen, nur, sie wurde gebraucht.

Zeiten | Quelle: Detlef Krenz
Stets wurde für Nachschub gesorgt. / Quelle: Detlef Krenz /

Erfolge

Während dieser Feiertage lag der Umsatz bei Damenoberbekleidung und der Herren um das Sechsfache über dem Üblichen. Gefragt waren Konverter zum Empfang des neuen II. DDR-TV-Programms. Allein am 6. Oktober wurden 700 Stück im Centrum-Warenhaus verkauft. 90 Prozent der Käufer kamen nicht aus Berlin. Der Broilerverkauf stieg beträchtlich. Große Mengen Broilerknochen lagen auf den Gehwegen und Rasenflächen. Die Reinigung zog sich bis die Morgenstunden hin. Über kleine und große Funktionäre ergoss sich ein Ordenssegen. So auch die Textilfacharbeiterin Regina Becker. Sie legte öffentlich den Finger auf eine offene Wunde, prangerte an, dass man die Ausrede „übermäßige Belastung durch Schichtarbeit” benutze, um Frauen „nicht zu Qualifizieren.“ Frau Becker wurde mit dem Karl-Marx Orden ausgezeichnet. Ein Zeichen sollte gesetzt werden. „Schaut her, die DDR ist jung und blickt nach vorn!“ Rentner jedoch hatten zum 20. Geburtstag mehr für sich erwartet. „Der Aufwand für Auszeichnungen muss zugunsten der Sorge um die alten Menschen reduziert werden“, wurde in der Palisadenstraße ein Funktionär belehrt. Reporter des „Spiegels“ und des „Sterns“ waren in den Straßen unterwegs. Der bekannte Fotoreporter Robert Lebeck wurde zeitweise bedroht. Zu seinem Kollegen sagte ein 21jähriger Peter: „Kein Mensch kann auf die Dauer in einer Gesellschaft leben, die er ablehnt. Irgendwann fängst du an, dich einzurichten. Zuerst findest du manches gar nicht mehr so übel, allmählich wirst du stolz darauf, was du geschaffen hast, du merkst, es geht dir besser und du arbeitest nicht nur für dich und deinen Lebensstandart, sondern auch ein bißchen für die Verbesserung der Gesellschaft. Manchmal muß man die Leute eben zu ihrem Glück zwingen. Wir haben ja noch nie die Demokratie nach eurer Fasson ausprobiert. Erst die Nazis dann die Kommunisten. Mit eurer Freiheit können wir hier nicht viel anfangen. Oder willst du mir erzählen, daß ein älterer Buchhalter, der aus Angst um seinen Posten vor seinem Chef buckelt, ein freier Mensch ist?“

Demonstration

Nach Abschluß der „Kampfdemonstration“ am 7. Oktober 1969 und dem Großen Zapfenstreich der NVA vor dem Kino Kosmos, war die „Tanzstraße“ ab Straußberger Platz eröffnet. Dabei kamen 23 Kofferradios in Verwahrung, 43 Personen wurden festgenommen und 102 „Arbeitsbummelanten“ in die Arbeitserziehung verbracht. „In negativen Kreisen Jugendlicher, vor allem solchen mit höherem Intelligenzgrad, spielen die Ereignisse in der CSSR und die Methoden der Konterrevolution immer noch eine nicht zu unterschätzende Rolle“, hieß es von der Volkspolizei dazu.

Was sagst Du dazu?

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert