Was in Erinnerung bleibt.
Unsere Recherche
Unser eigener Eindruck:
9. Juli, 21 Uhr. Die Demo geht los. Ich treffe Bekannte, alle freuen sich: Schön, dass wir so viele sind! Die Demo richtet sich gegen Verdrängung und Gentrifizierung in Friedrichshain. Dass sie zu einer Demo gegen die Polizeipräsenz in der Rigaer Straße werden würde, war bei der Anmeldung noch nicht abzusehen, denn diese geschah vor dem 22.6., dem Tag, an dem die Rigaer Straße 94 (illegal, wie sich später zeigte) teilgeräumt wurde. Darum gibt es nicht nur Sprechchöre gegen Zwangsräumungen, Mietensteigerung, für das Häuserbesetzen und immer wieder „Wir bleiben alle!“, sondern auch „Bullenschweine raus aus der Rigaer!“ Nun ja, es ist eine Demo und kein Schweigemarsch. Ein paar 1.000 Leute ziehen durch den Friedrichshainer Südkiez, durch die Mainzer und Scharnweber Straße, über die Frankfurter Allee: laut, aber friedlich, die Polizei treffen wir nur an Kreuzungen, die sie absperrt. Im Nordkiez ist die Stimmung angespannter, Sprechchöre gegen die Polizei sind öfter zu hören als vorher. In der Rigaer Straße ziehen wir an einigen Hausprojekten vorbei, die die Demo mit Transparenten und Musik begrüßen. Am Haus mit der Nr. 94 kommen wir nicht vorbei. Die Demo macht einen Umweg über die Eldenaer Straße und bewegt sich die Liebigstraße hinunter in Richtung „Dorfplatz“, als sie das erste Mal stockt. Polizei in voller Montur bremst von vorn, taucht auf einmal in kleinen Gruppen links und rechts auf, marschiert von hinten auf. Was soll das jetzt? Soll die Demo eingekesselt werden? Einige sind besorgt, andere fühlen sich provoziert, zu Gerangel kommt es an einigen Ecken, wo die Polizei versucht, Leute aus der Demo heraus festzunehmen. Hätte die Polizei weiterhin so dezent agiert wie vorher, wäre alles friedlich geblieben, da sind sich alle einig, mit denen ich spreche. Über den Lautsprecherwagen wird zu Ruhe aufgerufen. Nach einer Weile geht es weiter.
Ich verlasse die Demo, treffe aber später noch einige Bekannte, die bis zum Schluss mitgelaufen sind. Natürlich ist die Demo Gesprächsthema. Das gewaltige Polizeiaufgebot wird als gewaltig übertrieben bezeichnet. Da ist man sich einig. Alles entspannt eigentlich, erzählen alle übereinstimmend, ein paar Rangeleien, meist dann, wenn die Polizei versuchte, Leute aus der Demo heraus zu verhaften. Am Ende ist die Demo dann im Partygetümmel der Warschauer Straße zerfasert. Anke Wagner
Ähnliche Beobachtungen machten ein Journalist der Berliner Woche in einem Live-Blog, die Polizei via Twitter und, ebenso der Live-Blog der Berliner Morgenpost. Ein Journalist begleitet die Demo bis zur Warschauer Straße, wo sie gegen 24 Uhr von den Veranstaltern beendet wird. Er berichtet von aggressiven Sprechchören, hier und dort von einem Handgemenge und Flaschenwürfen: „Polizeisprecher Winfried Wenzel sagt, dass im Handgemenge einige Polizisten leicht verletzt worden sind. Genaue Zahlen gibt es allerdings noch nicht.“ (23.04 Uhr) „Jetzt ziehen auch die Polizeikräfte ab. Die Warschauer Straße wird nun vor allem von Partygängern bevölkert.“ So endet der Blog um 0.35 Uhr.
Der Tatsache, dass wir als Bewohner und Anrainer der Rigaer Straße die Ereignisse mitunter ganz anders erlebt haben als von der Berliner Polizei und der Presse dargelegt, versuchten wir auf den Grund zu gehen.
Wir fragten bei verschiedene Redaktionen und der Polizei Berlin nach.
Sämtliche Angeschriebene erklärten wir, bevor wir zu unseren konkreten Fragen kamen,
folgendes:
Wir sind ein kleines Stadtteilmagazin, das monatlich erscheint, interessante Personen aus dem Bezirk vorstellt und zeithistorische Themen für einen breiten Leserkreis aufbereitet.
Weil unser Verein in der Rigaer Straße residiert, wurden wir nolens volens in die Ereignisse um die Rigaer Straße 94 mit einbezogen. Zu unserem Erschrecken haben sich unsere Wahrnehmungen in Berichten und Kommentaren von Berliner Zeitungen nur selten wiedergefunden. Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschlossen, bei einigen Kommentatoren konkret nachzufragen, woher ihre Ansichten rühren.