Demonstration in der Rigaer Strasse, Friedrichshain, Berlin. Dieses Haus ist nicht die Rigaer 94, auch wenn der dpa-Fotograf dies glaubte und die Zeitungen seine Bildunterschrift druckten. Foto: Silvio Weiß

Un-Ordnung | Zur Berichterstattung über die Rigaer Straße

Was in Erinnerung bleibt.

Unsere Recherche

Unser eigener Eindruck:

9. Juli, 21 Uhr. Die Demo geht los. Ich treffe Bekannte, alle freuen sich: Schön, dass wir so viele sind! Die Demo richtet sich gegen Verdrängung und Gentrifizierung in Friedrichshain. Dass sie zu einer Demo gegen die Polizeipräsenz in der Rigaer Straße werden würde, war bei der Anmeldung noch nicht abzusehen, denn diese geschah vor dem 22.6., dem Tag, an dem die Rigaer Straße 94 (illegal, wie sich später zeigte) teilgeräumt wurde. Darum gibt es nicht nur Sprechchöre gegen Zwangsräumungen, Mietensteigerung, für das Häuserbesetzen und immer wieder „Wir bleiben alle!“, sondern auch „Bullenschweine raus aus der Rigaer!“ Nun ja, es ist eine Demo und kein Schweigemarsch. Ein paar 1.000 Leute ziehen durch den Friedrichshainer Südkiez, durch die Mainzer und Scharnweber Straße, über die Frankfurter Allee: laut, aber friedlich, die Polizei treffen wir nur an Kreuzungen, die sie absperrt. Im Nordkiez ist die Stimmung angespannter, Sprechchöre gegen die Polizei sind öfter zu hören als vorher. In der Rigaer Straße ziehen wir an einigen Hausprojekten vorbei, die die Demo mit Transparenten und Musik begrüßen. Am Haus mit der Nr. 94 kommen wir nicht vorbei. Die Demo macht einen Umweg über die Eldenaer Straße und bewegt sich die Liebigstraße hinunter in Richtung „Dorfplatz“, als sie das erste Mal stockt. Polizei in voller Montur bremst von vorn, taucht auf einmal in kleinen Gruppen links und rechts auf, marschiert von hinten auf. Was soll das jetzt? Soll die Demo eingekesselt werden? Einige sind besorgt, andere fühlen sich provoziert, zu Gerangel kommt es an einigen Ecken, wo die Polizei versucht, Leute aus der Demo heraus festzunehmen. Hätte die Polizei weiterhin so dezent agiert wie vorher, wäre alles friedlich geblieben, da sind sich alle einig, mit denen ich spreche. Über den Lautsprecherwagen wird zu Ruhe aufgerufen. Nach einer Weile geht es weiter.

Ich verlasse die Demo, treffe aber später noch einige Bekannte, die bis zum Schluss mitgelaufen sind. Natürlich ist die Demo Gesprächsthema. Das gewaltige Polizeiaufgebot wird als gewaltig übertrieben bezeichnet. Da ist man sich einig. Alles entspannt eigentlich, erzählen alle übereinstimmend, ein paar Rangeleien, meist dann, wenn die Polizei versuchte, Leute aus der Demo heraus zu verhaften. Am Ende ist die Demo dann im Partygetümmel der Warschauer Straße zerfasert. Anke Wagner

Ähnliche Beobachtungen machten ein Journalist der Berliner Woche in einem Live-Blog, die Polizei via Twitter und, ebenso der Live-Blog der Berliner Morgenpost. Ein Journalist begleitet die Demo bis zur Warschauer Straße, wo sie gegen 24 Uhr von den Veranstaltern beendet wird. Er berichtet von aggressiven Sprechchören, hier und dort von einem Handgemenge und Flaschenwürfen: „Polizeisprecher Winfried Wenzel sagt, dass im Handgemenge einige Polizisten leicht verletzt worden sind. Genaue Zahlen gibt es allerdings noch nicht.“ (23.04 Uhr) „Jetzt ziehen auch die Polizeikräfte ab. Die Warschauer Straße wird nun vor allem von Partygängern bevölkert.“ So endet der Blog um 0.35 Uhr.

Der Tatsache, dass wir als Bewohner und Anrainer der Rigaer Straße die Ereignisse mitunter ganz anders erlebt haben als von der Berliner Polizei und der Presse dargelegt, versuchten wir auf den Grund zu gehen.

Wir fragten bei verschiedene Redaktionen und der Polizei Berlin nach.

Sämtliche Angeschriebene erklärten wir, bevor wir zu unseren konkreten Fragen kamen,
folgendes:

Wir sind ein kleines Stadtteilmagazin, das monatlich erscheint, interessante Personen aus dem Bezirk vorstellt und zeithistorische Themen für einen breiten Leserkreis aufbereitet.
Weil unser Verein in der Rigaer Straße residiert, wurden wir nolens volens in die Ereignisse um die Rigaer Straße 94 mit einbezogen. Zu unserem Erschrecken haben sich unsere Wahrnehmungen in Berichten und Kommentaren von Berliner Zeitungen nur selten wiedergefunden. Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschlossen, bei einigen Kommentatoren konkret nachzufragen, woher ihre Ansichten rühren.

Hans H. Nibbrig, Berliner Morgenpost
Sehr geehrter Herr Nibbrig, (…) Auf der Grundlage eines Live-Blogs, also von Berichterstattung vor Ort, schreiben Sie:

“Die Solidaritätsdemo für die Rigaer 94 war die gewalttätigste seit fünf Jahren. 123 Polizisten wurden verletzt, etliche Autos brannten. Traurige Bilanz: 123 verletzte Polizisten und insgesamt 86 vorläufige Festnahmen. Bei einer Demonstration von Linksautonomen ist es am Sonnabend in Berlin zu den befürchteten Krawallen gekommen.”
Ihr Korrespondent (oder Korrespondentin) schreibt allerdings:

“9. Jul. 2016 23:04 Uhr
Polizeisprecher Winfried Wenzel sagt, dass im Handgemenge einige Polizisten leicht verletzt worden sind. Genaue Zahlen gibt es allerdings noch nicht.”

“9. Jul. 2016 23:26 Uhr
Nach Informationen der Berliner Morgenpost sollen etwa 20 Polizisten bei der Demo verletzt worden sein.”
Beides ist auf der gleichen Seite weiterhin zu lesen.

Unsere Fragen lauten:

1. Warum vertrauen Sie dem Bericht ihrer eigenen Korrespondenten vor Ort weniger als der Pressemeldung der Polizei bzw. warum erwähnen Sie nicht, dass es Differenzen zwischen der eigenen Recherche Ihrer Zeitung und der Bilanz der Polizei gibt? (Auch die Polizei selbst berichtet in ihren Twittermeldungen vom Verlauf der Demo zweimal von mehreren verletzten Beamten und an anderer Stelle in genauen Zahlen von vier verletzten Polizeibeamten.)

2. Warum beziehen Sie bereits in der Artikelüberschrift die Zahl der verletzten Polizisten und die Feststellung, dass Auto gebrannt haben, auf die Demonstration, obwohl sogar in der Darstellung der Polizei der Zusammenhang zwischen Sachbeschädigungen im Laufe der Nacht (also nach dem Ende der Demonstation) nur vermutet wird?

3. Sie schrieben weiterhin:
“Doch bereits kurz nach dem Beginn der Demonstration griffen Randalierer auf der Warschauer Straße die Polizei mit Steinen und Böllern an.”
Aus der Berichterstattung Ihres Korrespondenten vor Ort sowie der Polizei lässt sich feststellen, dass die Demonstration kurz nach ihrem Beginn nicht an der Warschauer Straße vorbeikam, sondern etwa zwei Stunden später dort endete. Aus welcher Quelle stammt die Ortsangabe Warschauer Straße in Ihrem Beitrag?

4. Sie schrieben außerdem:
“Gegen 22.15 Uhr drohte die Lage außer Kontrolle zu geraten. An mehreren Stellen kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den meist vermummten Randalierern und den Polizisten. Unter anderem, als die Beamten versuchten, einzelne Chaoten festzunehmen. Die Polizisten mussten dabei Reizgas einsetzen.” Woher stammen Ihre Informationen? Weder durch die Polizeimeldung noch die Beobachtungen Ihres Korrespondenten vor Ort lässt sich dieser Eindruck begründen.

Diese E-Mail blieb ohne Antwort.

Andreas Kopietz, Berliner Zeitung
Sehr geehrter Herr Kopietz, (…) Sie haben in Ihrem Kommentar „Rigaer Straße. Warum Verhandlungen mit Linksautonomen sinnlos sind“ in der Berliner Zeitung vom 6. Juli 2016  folgendes festgestellt:

„Und mit wem von den Gewaltfreien und Verhandlungsbereiten will Müller reden? Die Freunde der Rigaer Straße beweisen in jeder Brandnacht, wie kompromisslos sie sind. Viele, die nicht unmittelbar brandstiften, Scheiben zertrümmern, Polizisten von Dächern mit Steinen bewerfen und Volksvertreter bedrohen, hegen offene Sympathie mit den Straftätern.“

1. Meinen Sie nicht, dass eine Differenzierung zwischen kriminellen Gewalttätern und friedlichen Einwohnern und Bewohnern ehemaliger Besetzerprojekte sinnvoll ist?

2. Haben Sie Versuche unternommen, auf einen oder mehrere der Bewohner der Rigaer Straße und Bewohner von ehemalig besetzten Häusern zuzugehen, um über die Konflikte vor Ort zu sprechen? Welche Erfahrung haben Sie dabei gemacht?

3. Inzwischen sind Gespräche zwischen Konfliktteilnehmern begonnen worden. Halten sie diese für sinnvoll?

4. Wären Sie dazu bereit, in einem Kommentar Gespräche, die dazu führen können, den Konflikt zu entschärfen, als eine positive Entwicklung zu bezeichnen?

Diese E-Mail blieb ohne Antwort.

Ulrich Zawatka-Gerlach, Tagesspiegel
Sehr geehrter Herr Zawatka-Gerlach, (…) Sie haben am 21. Juli in Ihrem Kommentar “Senator Henkel zeigte klare Kante” im Tagesspiegel über die Sondersitzung folgende Sätze geschrieben:

„Wie isoliert man diese Kriminellen von freundlich-naiven Mitbewohnern und braven antikapitalistischen Jugendorganisationen, die sich gegen klammheimliche Sympathie nicht immer wehren? Vor allem dann, wenn die Polizei ungeschickt und martialisch vorgeht. Und wie kommt man den Kriminellen bei? Die Ermittlungsquote gegen „linke“ Gewalt ist in Berlin erschreckend niedrig.“

Leider geht aus diesen Sätzen nicht ganz klar hervor, welche Äußerungen von Ihnen und welche von Frank Henkel stammen. Wir möchten Sie bitten, folgende Fragen zu beantworten:

1. Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass Innensenator Henkels Differenzierung zwischen Kriminellen und anderen Anwohnern der Rigaer Straße bzw. politischen Akteuren erstmalig öffentlich vorgenommen hat?

2. Bitte äußern Sie sich dazu, ob die Bezeichnung der Nichtkriminellen als „freundlich-naive Mitbewohner und brave antikapitalistische Jugendorganisationen, die sich gegen klammheimliche Sympathie nicht immer wehren“ Ihre Worte sind oder die des Innensenators.

3. Können Sie die Ansicht teilen, dass sich Nachbarn, Anwohner und auch Projektbewohner, die in diesem Konflikt involviert sind und konstruktiv nach Lösungen suchen, durch diese Bezeichnung nicht ernst genommen und herabgesetzt fühlen?

4. Erkennen Sie eine Strategie, wie der Innensenator das Ziel der Isolierung der Kriminellen erreichen wollte und will?

5. Wie beurteilen Sie Frank Henkels Abrücken von der Polizei, deren durch das Recht offenbar nicht gedeckte Aktionen er bis zur Sitzung des Innenausschusses nicht nur voll und ganz unterstützte sondern sie auch angeordnet hat?

Diese E-Mail blieb ohne Antwort.

Götz Aly, Berliner Zeitung
Sehr geehrter Herr Aly, (…) Sie haben ihrem Kommentar “Großer Terror – kleiner Terror” unter dem Eindruck der gewalttätigen Demonstration am 9. Juli 2016 in der Berliner Zeitung die Gewalttaten mancher Demonstranten mit denen von Islamisten und vom rechtsradikalen NSU gleichgesetzt.

1. Sehen Sie in diesen Gesetzesverletzern tatsächlich vorsätzliche Mörder und glauben Sie, dass diese Mörder sich von Beiträgen auf Indymedia inspiriern lassen?

2. Glauben Sie wirklich, dass gewaltverherrlichende Einträge in Internet-Plattformen wie Indymedia tatsächlich die Meinung aller Demonstranten widerspiegelt?

3. Erkennen Sie keine Unterschiede zwischen Kriminellen und friedlichen Anwohnern der Rigaer Straße, so auch Einwohnern ehemalig besetzter Häuser?

4. Wären Sie dazu bereit, die inzwischen angelaufenen Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien in der Rigaer Straße in einem Ihrer nächsten Kommentare zu begrüßen?

Weiter schrieben sie:

“Wir müssen das Gewaltmonopol des Staates schützen. Darüber sollten in Berlin nicht nur linksradikale Gruppen nachdenken, sondern auch einige Politiker der Grünen, der Linken und der SPD.”

6. Bitte legen Sie konkret an einem Beispiel dar, in dem Politiker der Grünen, der Linkspartei und Teile der SPD das Gewaltmonopol des Staates infrage stellen.

7. Wenn Sie den Eindruck haben sollten, dass der Konflikt und die Einsätze der Polizei vom Wahlkampf beeinflusst sind, kann man dann noch von einem staatlichen Gewaltmonopol sprechen?

Diese E-Mail blieb unbeantwortet.

Brigitte Fehrle, Berliner Zeitung
Sehr geehrte Frau Fehrle, (…)
1. Sie warfen in der Berliner Zeitung dem Innensenator Frank Henkel am 10. Juli unter dem Eindruck der gewalttätigen Demonstration, die am Vortag stattgefunden hatte, vor: „Er hat einen seit Jahrzehnten schlafenden Konflikt aufgerissen und ein Feuerwerk von Emotionen auf allen Seiten provoziert.
Worin besteht Ihrer Meinung nach der seit Jahrzehnten schwelende Konflikt?

2. Sie schrieben im selben Kommentar: „Die Kreuzberg-Friedrichshainer Grünen scheinen wie immer mit klammheimlicher Freude und Sympathie für die Radikalen der Eskalation zuzuschauen.“
Woran machen Sie diese klammheimliche Freude fest?

3. In Ihrem Kommentar am 13. Juli äußerten Sie sich nach dem Gerichtsurteil, das die Teilräumung in der Rigaer Straße 94 als ohne Rechtsgrundlage verwarf: „Nun sind sie erschaffen: die Opfer staatlicher Gewalt, die von Polizeiwillkür Gepeinigten, die zu Unrecht Drangsalierten.
Meinen Sie nicht, dass die Benachteiligten der für den Wahlkampf missbrauchten staatlichen Gewalt als Opfer anzusehen sind? Sehen Sie nicht, dass sich völlig Unbeteiligte und auf gewaltfreie Lösung bestehende Anwohner von der Polizei gepeinigt und drangsaliert fühlten?

4. Im selben Kommentar heißt es weiter: „Für die linksradikale Szene in Friedrichshain ist das ein voller Erfolg.“
Wer oder was macht Ihrer Meinung nach die linksradikale Szene aus? Können Sie sich vorstellen, dass dieser Szene ausgesprochen inhomogen ist und zum weit überwiegenden Teil gewaltfrei agiert?

5. Können Sie sich vorstellen, konstruktive Gespräche zwischen allen Betroffenen des Konflikts als ein hoffnungsvolles Zeichen zu kommentieren?

Diese E-Mail blieb unbeantwortet.

Frederik Bombosch, Berliner Zeitung
Sehr geehrter Herr Bombosch, (…) Sie schrieben in der Berliner Zeitung am 25. Juli folgenden Satz: “Regelmäßig brennen dort Autos, werden Polizisten attackiert und andere Wohnhäuser beschmiert oder gar beschossen, …

1. Um eine Regelmäßigkeit festzustellen, sollten Sie zu jeden Ereignis jeweils wenigstens drei Beispiele nennen und definieren, worin die Regelmäßigkeit besteht. Dies interessiert uns insbesondere für die Behauptung des regelmäßigen Beschuss von Häusern.

2. Können Sie sich vorstellen, dass Sie in einem Beitrag über die mentale Aufrüstung durch Sprache Ihre oben zitierte Behauptung zurücknehmen?

Sehr geehrter Herr Moldt,

vielen Dank für Ihre freundliche Anfrage, die mich aber zugegebenermaßen etwas ratlos zurücklässt. Auch ich bin Anwohner der Rigaer Straße, und das nicht erst seit gestern, sondern seit sechzehn Jahren. Offensichtlich haben wir eine sehr unterschiedliche Wahrnehmung unseres gemeinsamen Umfelds.

Zu Ihrer ersten Frage: Über die Frequenz von Autobränden im Umfeld der Rigaer Straße müssen wir sicherlich nicht diskutieren. Und – mit Verlaub: über die Regelmäßigkeit von Schmierereien an vermeintlichen Luxusbauten auch nicht, oder? Der Beschuss eines Hauses war zum Glück – nach meiner Kenntnis – bislang ein einmaliges Ereignis, steht aber in einer langen Reihe mit anderem Vandalismus, der sich gegen in jüngerer Zeit gebaute Wohnhäuser richtet. Möglicherweise kennen Sie den hier verlinkten Text aus der taz bereits,wenn nicht, empfehle ich ihn Ihnen zur Lektüre: Neubau im Kugelhagel.

Zu Ihrer zweiten Frage: Selbstverständlich nehmen ich diesen Satz nicht zurück. Gern können wir aber ein Gespräch führen über die Rigaer Straße und über die Berichterstattung dazu.

Mit freundlichen Grüßen
Frederik Bombosch

Sehr geehrter Herr Bombosch,

vielen Dank für Ihre prompte Antwort und die Zusendung des Beitrags in der TAZ. Ich habe gerade auch Ihren Beitrag in der Berliner Zeitung vom 8. Dezember 2015 gelesen. So sehr ich Ihre Empörung nachvollziehen kann (ich an Ihrer Stelle wäre auch sehr sauer), bleibe ich dabei, dass Sie keine präzise Schilderung vorgenommen haben. Wut ist kein guter Ratgeber, das merke ich auch an mir. Ich bin 1983 in die Rigaer Straße gezogen und wohne seit 25 Jahren in der Schreiner.
Sie machen genau das, was die Gewalttäter erwarten: reden Ihren Kiez schlecht und liefern dem Innensenator Gründe, die Polizei für seinen Wahlkampf anzustellen. Es gibt Leute, die ein großes Interesse daran haben, diesen Konflikt am Kochen zu halten und das sind beileibe nicht nur die egomanen Brandstifter. Und dabei geht es, wie ich fürchte, gar nicht so sehr um ein ehemalig besetztes Haus.
Gern würde ich mich mit Ihnen darüber unterhalten. Ich kann Ihnen ein bisschen von meiner Erfahrung berichten, wenn Sie wollen. Meine Nummer ist ….. Bitte erst nach 9:00 Uhr, weil ich davor immer sehr eingebunden bin.

Viele Grüße

Dirk Moldt

Diese Mail blieb unbeantwortet.

Claudia Fuchs, Berliner Zeitung
Sehr geehrte Frau Fuchs, (…) Sie haben in Ihrem Beitrag: „Rigaer Straße 70/73. Anwohner demonstrieren gegen Luxuswohnungen im Samariterviertel“ in der Beliner Zeitung vom 16. Juli 2016 einen Anwohner zitiert und in seinen Äußerungen aufkommenden Ärger festgestellt.

Zitat:
„Wer hier kaufe, sagte Fischer, der kaufe auch Ärger. Wie der aussehen kann, ist derzeit am langen Holzzaun der CG Gruppe zu sehen, der seit einigen Tagen steht und das Gelände schützt: Er ist vollgeklebt mit Plakaten mit dem Slogan „Die Rigaer Straße hat keinen Bock auf das neue Carré Sama Riga“. Zudem heißt es auf einem großen Bauschild, das definitiv nicht vom Investor stammt: „CG Gruppe informiert: Wir scheissen auf den Kiez. Es zählt nur der Profit.“

Können Sie uns bitte konkret und knapp beschreiben, welcher Ärger durch den Inhalt der Plakate: „Die Rigaer Straße hat keinen Bock auf das neue Carré Sama Riga“ und: „CG Gruppe informiert: Wir scheißen auf den Kiez. Es zählt nur der Profit“ vorauszusehen ist?

Sehr geehrter Herr Moldt,

gern beantworte ich Ihnen Ihre Fragen, die sich aus dem (leider viel zu kurzen) Artikel über die Demonstration von Anwohnern gegen das Bauvorhaben Sama Riga ergeben haben. Sie fragen mich, welcher Ärger durch die Plakate und das Schild (das inzwischen entfernt wurde) vorauszusehen ist? Vorauszusehen? Keine Ahnung, ich will ja nicht spekulieren. Ist auch nicht meine Aufgabe, ich bin Journalistin.

Herr Fischer hatte mir im Gespräch (und später auch auf der Demonstration) gesagt: „Wer hier kauft, kauft Ärger“. Den Satz fand ich interessant, und so fand ich angesichts der Plakate und des Schildes Indizien für den Ärger. Mehr hab ich nicht gemeint – und deshalb schrieb ich auch „wie der aussehen kann“. Darüber, wie der Ärger „noch“ aussehen kann, weiß ich nichts – wenn Sie das vielleicht meinen. In meinen Augen sind Plakate gegen ein Bauvorhaben am Bauzaun als „Ärger“ zu verstehen – ebenso wie das gefakte Bauschild. So kann der Ärger aussehen, und genau das meinte ich.

Da ich selten um solche Erläuterungen gebeten werden, möchte ich Sie gern zurückfragen: Was haben Sie denn verstanden – oder vielmehr: was glauben Sie, welche Intention ich mit meiner Formulierung hatte?

Mit freundlichen Grüßen

Claudia Fuchs

 

Sehr geehrte Frau Fuchs,

vielen Dank für Ihre schnelle Antwort. Unter dem Eindruck der mitunter sehr pauschal über den Konflikt berichtenden Presse habe ich Ihren Satz als eine Erwartung weiterer gewalttätiger Auseinandersetzungen gelesen.
Wir werten in der Redaktion die Artikel und Antworten der Journalisten aus, sobald noch weitere Reaktionen bei uns eingegangen sind.
Vielen Dank noch einmal, dass Sie uns so freimütig geantwortet haben.

Mit freundlichen Grüßen

Dirk Moldt

 

Gern geschehen.
Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass der Satz “Wer hier kauft, kauft Ärger” natürlich nach mehr klingt als nach ein paar Plakaten. Aber das muss ich nicht erklären, das ergibt sich aus dem Zitat.
Ich für meinen Teil finde diese Aussage schon recht eindeutig.
Was genau werten Sie eigentlich aus – für wen? – und was machen Sie dann damit?

Sehr geehrte Frau Fuchs,

der Friedrichshainer Zeitzeiger ist eine kleine, monatlich erscheinende Stadtteilzeitung. Normalerweise befassen wir uns mit kleinen historischen Beiträgen und mit Interviews, in denen wir Friedrichshainerinnen und Friedrichshainer vorstellen, Künstler, Gewerbetreibende, interessante Leute eben. Wir sind ein Feierabendblatt, wenn man so will.
Angeregt durch eine als unausgewogen empfundene Berichterstattung über die Ereignisse in der Rigaer Straße, versuchen wir einfach herauszufinden, wo genau die neuralgischen Punkte liegen: Sprache, Wahrnehmung, selektive Rezeption von Nachrichten usw. Wir wissen noch nicht genau, wie wir die Untersuchung aufbereiten werden. Wahrscheinlich zusammenfassend im Zeitzeiger unter Hinweis auf eine Dokumentation auf unserer Homepage.
Wir haben uns vorgenommen, uns Zeit zu lassen, um uns nicht von Emotionen leiten zu lassen. Wie auch immer, es ist ein interessantes Thema und unter soziologischen Gesichtspunkten ein Highlight.

Viele Grüße

Dirk Moldt

Polizei Berlin
hre Anfrage vom 25.07.2016

Sehr geehrter Herr Dr. Moldt,

Ihre Anfrage beantworte ich Ihnen wie folgt

1. Wann, in welcher Form und Intensität erfolgte die Bedrohung des Anwalts des Hauseigentümers? Aus der Presse erfuhren wir von Drohanrufen, sowie, dass in der Nacht vor dem 12. Juli das Auto seines Nachbarn brannte.

Bitte haben Sie Verständnis, dass wir aus datenschutzrechtlichen Gründen und auf Grund der laufenden Ermittlungen keine Angaben zu einzelnen Personen geben können.

2. Warum fanden bei der Demonstration am 9. Juli keine konsequenten Taschenkontrollen wie früher bei den 1. Mai-Demonstrationen statt?

Im Vorfeld und zu Beginn der sogenannten Kiezdemo wurden durch Einsatzkräfte anlassbezogene Kontrollen durchgeführt. Nach Beginn des Aufzugs schlossen sich noch viele Personen der Demonstration an. Wenn ein Aufzug sich bereits in Bewegung gesetzt hat, sind diese Kontrollen nicht mehr möglich.

3. Warum wurde die Demonstration an einer schlecht gesicherten Baustelle vorbei geführt, wo die Demonstranten mit Steinen “munitionieren” konnten?

Vor Beginn der Versammlung wurden entlang der Aufzugsstrecke Kleinpflastersteine, Baucontainer sowie Bauschutt gesichert und im Einzelfall durch Einsatzkräfte aus dem Bereich entsorgt.

Darüber hinaus wurde vorab die Aufzugstrecke in Augenschein genommen, um sicherzustellen, dass vorhandene Baustellen umschlossen sind.

Aufgrund der vielen Baustellen in Berlin kann jedoch nicht verhindert werden, dass Aufzüge und Versammlungen in der Nähe von Baustellen stattfinden.

4. Warum wurde die Demonstration nicht aufgelöst, als es zu Gewalttätigkeiten kam?

5. Warum wurde nach der gewalttätigen Demonstration derselben Klientel in der Nacht zum Sonntag eine weitere Spontandemonstration gestattet?

Zu den Fragen 4 und 5:

Bei dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit handelt es sich um ein elementares Grundrecht, dass nur unter hohen Voraussetzungen eingeschränkt werden kann. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung die Gründe für die Auflösung einer Versammlung durch die Polizei in zahlreichen Urteilen konkretisiert.

Eine Versammlungsauflösung ist in diesem Zusammenhang das ultima ratio und mildere Maßnahmen sind stets vorzuziehen, insbesondere durch das Anordnen von beschränkenden Verfügungen.

Im vorliegenden Fall kam es phasenweise zu zahlreichen Stein- und Flaschenwürfen sowie zu anderen Straftaten durch Teilnehmer der „Kiezdemo“. Durch das konsequente Eingreifen der Polizeidienstkräfte konnte eine Lageberuhigung erreicht werden. Damit war eine Versammlungsauflösung nicht notwendig.

6. Die Zahl von 123 verletzten Polizisten ist enorm hoch. Sämtliche von uns ausgewerteten Berichte von Augenzeugen, Demonstrationsteilnehmer, Journalisten sowie Tweets sprachen nach der Beendigung der Demonstration durch die Anmelderin von mehreren verletzten Polizisten aber nicht von so einer hohen Anzahl.

An welche Stelle der Demonstration kam es zu einer so massenhaften Verletzung von Polizeibeamten?

Im gesamten Verlauf der Aufzugsstrecke kam es wiederholt zu Angriffen auf die eingesetzten Polizisten. Ein Großteil der Verletzungen wurde durch Flaschen- und Steinwürfe verursacht.

Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die Ereignisse in der Liebigstraße gegen 22 Uhr. Hier wurden Einsatzkräfte wiederholt von Personen aus dem Aufzug heraus angegriffen.

Zum Teil wurden Flaschen und Steine aus geringer Distanz auf die Einsatzkräfte geworfen.

Allein in diesem Bereich wurden 59 Polizeidienstkräfte verletzt.

Mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag

Thomas Neuendorf

Stellvertretender Pressesprecher Polizei Berlin

 

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