Der Andreasplatz als Postkartenmotiv 1899 Bildquelle: FHXB-Museum /

Denk-mal am Andreasplatz

Der Andreasplatz als Postkartenmotiv 1899 Bildquelle: FHXB-Museum /
Der Andreasplatz als Postkartenmotiv 1899

Denk-mal am Andreasplatz

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Im harten Kontrast zur sozialen Wirklichkeit des Viertels um den Schlesischen Bahnhof stand die gelungene baukünstlerische Gestaltung des Andreasplatzes. Einst das Zentrum der Stralauer Vorstadt, erhielt er am 25. März 1865 seinen Namen. 1868 investierte die Stadtverordnetenversammlung 2.200 Taler, um den Platz mit Mosaikpflaster zu verschönern. Für Erfrischungen sorgte Kaufmann Miersch, der im April 1873 die Erlaubnis zum Betrieb einer Seltersbude erhielt. 1880 wurden hier schon 594 Marktstände gezählt. Für die Kinder gab es ab 1889 einen Spielplatz und über den „Spezialetat Nr. 65“ wurde der Platz 1890 durch die Aufstellung einer „Normaluhr“ aufgewertet.

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Eine Familie? Vater und Sohn sowie Mutter und Kind rahmten seit Mitte der 1890er Jahre die Bank am Andreasplatz. Inzwischen leben die Kunstwerke getrennt: Mutter und Tochter sind in den Volkspark Friedrichshain gezogen. / Bild: FHXB-Museum /
Eine Familie? Vater und Sohn sowie Mutter und Kind rahmten seit Mitte der 1890er Jahre die Bank am Andreasplatz. Inzwischen leben die Kunstwerke getrennt: Mutter und Tochter sind in den Volkspark Friedrichshain gezogen.

Ein Arbeiterdenkmal?

Der Höhepunkt der gartenarchitektonischen Gestaltung am Ort wurde jedoch Mitte der 1890er erreicht, als Edmund Gomansky mit „Mutter und Kind“ die Statue einer  Frauengestalt mit einem schlafendem Kind auf dem Schoß schuf. Wilhelm Haverkamp ergänzte mit seinem Entwurf „Arbeiter und Sohn“ das Ensemble. Hier wird ein Schmied mit seinem Sohn dargestellt, der Sohn greift nach dem Hammer, um die Nachfolge des Vaters anzudeuten. Ein idyllisches Wunschbild im krassen Gegensatz zur sozialen Wirklichkeit in der Industriemetropole Berlin. Für die Zeitgenossen versinnbildlichten die Bildwerke „eine Schönheit, die aus Kraft und Arbeitsfleiß emporblüht“, eine Huldigung an jene, denen der Ständestaat seinen Aufstieg zur Industrienation verdankte. Das „Arbeiterdenkmal“ wurde jedoch auch zur Metapher für „faule Arbeiter“.

Ein Ort zum Verweilen

Preußens Schönheit kam auch in einer mächtigen Sitzbank des Bildhauers Reinhold Felderhoff zum Ausdruck. Sie stand zwischen den Denkmalen und war aus rotem schwedischem Granit geschnitten. In die Lehne der Bank wurde in allegorischer Anspielung auf den preußischen Staat das bronzene Reliefmedaillon der Borussia eingefügt. Zusätzlich finanzierten die Stadtväter einen prächtigen Springbrunnen. Der Andreasplatz war ein beliebtes Postkartenmotiv, das bis heute ein romantisches Bild aus der Kaiserzeit vermittelt. Im zweiten Weltkrieg wurden Springbrunnen und Sitzbank zerstört.

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Soziale und politische Gewalt

Lange bestimmten Gewalt und Prostitution den Alltag am Andreasplatz. Am 29. März 1884 ermordete der Schuhmacher Franz Gronack am Andreasplatz 3 im Streit seine Frau, deren Schwester, seine Tochter und den zur Hilfe eilenden Tabakfabrikanten Schröter. Grausige Schlagzeilen gab es 1921 über Karl Grossmann, der am Andreasplatz einen Wurstimbiss unterhielt. Hier sprach er alleinstehende, oft zugereiste, in Berlin ihr Glück suchende Frauen an. Zwischen 1918 und 1921 wurden in der Umgebung vom Schlesischen Bahnhof 23 zerstückelte Frauenleichen aufgefunden. Karl Grossmann gehörte zu den Verdächtigen und konnte am 21. August 1921 auf frischer Tat festgenommen werden. Doch nur drei Morde wurden ihm nachgewiesen.
In den späten 20er und frühen 30er Jahren folgten tätliche Auseinandersetzungen zwischen dem 1931 gegründeten SA-Sturm am Andreasplatz und seinen Gegenern.

Widerstand gegen das NS-Regime

Am 19. Februar 1933 lieferten sich SA-Männer mit den Teilnehmern des letzten großen SPD-nahen „Reichsbanner“-Aufmarsches eine Straßenschlacht. Die Reichsbannermänner wurden in SA-Lokale verschleppt und dort misshandelt.
Zum Ende der NS-Diktatur traten junge Anwohner, wie Anselm Küchenmeister mit seinen Freunden Heinz Klingbeil und Horst Burscher in Aktion. Aufgrund ihrer Kriegserlebnisse schrieben sie an Häuserwände rund um den Andreasplatz, wie zum Beispiel an die Mauern des Kino „Concordia“ in der Andreasstraße 64: „Nieder mit Hitler! Schluss mit dem Krieg!“ Auf einem Ruinengrundstück versteckten sie den 19-jährigen desertierten Soldaten Anton Höckendorf.
Anselm war der Sohn von Anni und Walter Küchenmeister. Walter gehörte der Gruppe um Schulze-Boysen und Harnack an und wurde 1943 hingerichtet, im Mai 1944 verlor Anselm seine Mutter durch einen Bombenangriff. Durch Verrat flog die kleine Gruppe um Anselm Küchenmeister im Sommer 1944 auf, Anton Höckendorf kam in ein Strafbataillon, die anderen in Jugenderziehungs- und Arbeitslager. Alle überlebten das Kriegsende.

VEB Berliner Betonwerke am Andreasplatz 1954 / Foto: FHXB-Museum /
VEB Berliner Betonwerke am Andreasplatz 1954

Kriegszerstörungen

Viele der Zerstörungen am Andreasplatz gingen auf die letzten Kriegstage zurück. Am Morgen des 26. April 1945 waren Einheiten der 5. Roten Stoßarmee in das Gebiet vorgedrungen und lieferten sich mit SS-Einheiten erbitterte  Straßenkämpfe.
Für den ersten deutschen Nachkriegsfilm “Die Mörder sind unter uns” von Wolfgang Staudte suchten Motivscouts nach charakteristischen Zerstörungen und fanden diese am Andreasplatz. In den Juninächten des Jahres 1946 warfen Filmscheinwerfer gespenstische Schatten quer über Schuttberge und Geröllhänge. Viele Zaungäste verfolgten die spätnächtlichen Dreharbeiten.  Aus dem Dunkeln trat ein Pärchen vor die Filmkamera. Die junge Frau Susanne Wallner (Hildegard Knef) schwieg, aber ihr Begleiter Dr. Hans Mertens (Ernst Wilhelm Borcherd) sagte: “Golgatha!” Das war der Ort, an dem Jesus am Kreuz starb. Die letzten Worte des ehemaligen Hauptmanns Brückner (Arno Paulsen), eines an Kriegsverbrechen beteiligten Fabrikanten sollten für die schweigende Mehrheit im Nachkriegsdeutschland zur Regel werden: „Da war doch Krieg, was hab‘ ich heute damit zu tun? Was denn, ich bin doch unschuldig!“

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„Die Hohlblocksteinpresse des VEB Berliner Betonwerke am Andreasplatz läuft auf Hochtouren. Die Produktion dieser Steine entlastet unsere Ziegeleien und ermöglicht die Verwertung des Ziegelsplitts. Die Anwendung von Hohlblocksteinen sollte schon vor der Projektierung vorgesehen werden.“ steht als Erläuterung unter dieser Grafik. / Bild: FHXB-Museum /
„Die Hohlblocksteinpresse des VEB Berliner Betonwerke am Andreasplatz läuft auf Hochtouren. Die Produktion dieser Steine entlastet unsere Ziegeleien und ermöglicht die Verwertung des Ziegelsplitts. Die Anwendung von Hohlblocksteinen sollte schon vor der Projektierung vorgesehen werden.“ steht als Erläuterung unter dieser Grafik.

Neuaufbau

Das neue Schweizer Patent des Anka-Ziegelsteins war ein Glücksfall für die zerstörte Stadt. Unter Zusatz von nur zehn Prozent reiner Tonsubstanz entstehen die wärmeisolierenden Hohlsteine aus Ziegelbruch. Dieser war im zu 65% zerstörten Friedrichshain zur Genüge vorhanden. Einst vor den Toren Berlins hergestellt und auf „Kaffenkähnen“ ins Zentrum der Stadt geliefert, bildeten die Ziegel nun pulverisiert das Rohmaterial, aus dem das neue Nachkriegsberlin wuchs. 1947 wurde eine der ersten Großsplittanlagen auf dem Stralauer Platz aufgestellt. Der Ziegelsplitt gelangte von dort auf sechs schmalen Transportgleisen per „Trümmerbahn“ zur „Fertigwarenproduktion“ am Andreasplatz, wo bis Mitte der 50er Jahre neben einer Hohlblocksteinpresse auch eine Dachziegelformmaschine stand. Aus einem Kubikmeter Schutt konnten nach dem Anka-Verfahren 150 Hohlblockbausteine gewonnen werden. Die Steine fanden überall in den Neubauten der Friedrichshainer Nachkriegszeit Verwendung, wie etwa in den Bauten der Karl-Marx-Allee und deren Umgebung. Die Statue „Mutter und Kind“ wurde hinter das Schwimmstadion im Volkspark Friedrichshain versetzt.
Vom Wiederaufbau abgesehen, blieb der Andreasplatz eher vernachlässigt. Für Unruhe sorgten allenfalls die Schüler des Andreasgymnasiums, die 1961 einen „freiwilligen“ Ernteeinsatz verweigerten.

Mutter und Vater wieder vereint?

Die heutige neoliberale Aufbruchsstimmung am Berliner Wohnungsmarkt lässt den Platz aus seinem Dornröschenschlaf erwachen. Attraktivität verspricht die Nähe zum Stadtzentrum und zum Ostbahnhof. Die Maklerprosa preist den spröden 60er-Jahre-DDR-Charme und die über das “Arbeiterdenkmal” vermittelte Gründerzeitanmutung. Diese Statue soll mit privatem Kapital restauriert werden. An eine Rückführung der „Mutter und Kind“-Statue oder gar eine Wiederherstellung der ursprünglichen gartenarchitektonischen Situation mit Bank und Brunnenanlage ist aber nicht gedacht.
Eine passende Gelegenheit für eine entsprechende Bürgerinitiative zur Familienzusammenführung.

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