Die Betreiberinnen des Imbiss Schmackofatz Elke Plagemann und Nicole Axt.
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Würde jemand behaupten, Friedrichshain wäre 1989, als die Mauer fiel, von kulinarischer Vielfalt geprägt gewesen, keiner nähme ihn ernst. Zurecht. Nach all den Jahren ist jedoch die deutsche Küche zwischen dem ewigen Einerlei aus billigen Asia-, Döner-, Sushi-, Burger-, Pizza- und anderen Angeboten kaum noch vertreten. Im Gegenteil, sie ist selten und daher zu etwas ganz Besonderem geworden. Zurückgezogen von der Hauptmagistrale Frankfurter Allee haben sich in der Dolziger Straße gleich zwei solcher raren Etablissements erhalten, wovon einer der Imbiss Schmackofatz in der Nummer 35 ist.
Mit guter Laune gekocht
Das Wetter ist wunderbar, erste Mittagsgäste sitzen bereits draußen in den Korbstühlen vor dem Laden unter der Markise und lassen sich’s schmecken. Der Laden selbst ist recht klein, eine Glastheke trennt ihn zum Koch- und Zubereitungsbereich. Was es alles zu essen gibt, kann man gleich sehen.
Zwei Frauen stehen hinter dem Verkaufstisch, als ich den Laden betrete. Es ist sehr warm, und das nicht nur wegen des sommerlichen Wetters. Auf dem Gasherd köchelt ein großer Topf mit Möhrensuppe. Elke Plagemann, eine kleine resolute Frau, im besten Alter, wie man heute sagt, schnippelt versiert Zutaten klein und schiebt sie vom Brett in den Topf hinein. Ihre Tochter Nicole Axt, eine lebendige, freundliche junge Frau, räumt Geschirr zusammen und wäscht ab. Diese Arbeiten werden nicht unterbrochen, als ich mit dem Interview beginne, auch werden weiter die Kunden bedient und mit manchen wird ein Pläuschchen gehalten. Man kennt sich, zeigt sich Bilder und kommentiert sie ausgiebig. Der Ton ist sehr freundlich, und ein bisschen kommt einem das Gefühl auf, als bereiteten Freunde in guter Laune gemeinsam ein Mahl vor. Jeder Griff, ob Schnippeln, Dosieren, Spülen, Bratkartoffeln zubereiten und so weiter, geht beiden flott von der Hand.
Wo hat sie das Kochen gelernt, frage ich Frau Plagemann. „Bei meiner Mutter. Wir waren eine große Familie mit vier Kindern. Für die musste sie kochen. Später sind dann auch noch die Enkel dazugekommen. Es waren immer viele Leute da.“ So ist die Großmutter immer im Geiste dabei, geboren und aufgewachsen in Friedrichshain, genauso wie ihre Tochter und Enkelin. Eine richtige Friedrichshainer Dynastie.
Gelernt hat Frau Plagemann allerdings Verkäuferin. Als Facharbeiterin war sie lange Zeit in der Kaufhalle in der Paul-Junius-Straße in Lichtenberg beschäftigt. Später half sie in den 1990er Jahren als Köchin dabei, den Fleischerladen Domke in der Warschauer Straße aufzubauen. „Ein anderer Teil unserer Familie“, erklärt Nicole Axt. Man kennt auch die wenigen noch existierenden alten Bäcker- und Fleischerläden in der Gegend. Es ist ein kleines Netzwerk.
Bekannt sein ist wichtig
Das Geschäft besteht seit 2010, davor war es eine Kneipe. Frau Plagemann arbeitete im Imbiss zunächst als Angestellte, bis sie ihn 2015 übernahm. Den Namen Schmackofatz hatten sich Nicole und ihr Bruder für den ersten Laden ausgedacht, den Frau Plagemann führte. Der befand sich in der Eberswalder Straße in Prenzlauer Berg, von wo sie aufgrund der steigenden Mieten fortziehen musste. „Unseren Namen hat dort später ein anderer Laden übernommen“, erklärt Nicole Axt und fügt erklärend hinzu: „Dort verkaufen sie jetzt Hundefutter.“ So kommt es, dass in einer hochpreisigen Umgebung ein guter Name auf den Hund kommen kann.
Fünfzig bis sechzig Portionen gehen jeden Tag über den Ladentisch. Das ist nicht gerade wenig. Die Kunden sind vor allem Leute, die hier in der Gegend wohnen oder arbeiten. „Manche, die uns kennen, kommen auch extra von woanders her.“ Als würde das Schicksal sofort den Beweis liefern wollen, betritt ein junger Mann, der etwas abseits wohnt, das Geschäft. Er wird als alter Bekannter begrüßt und beklagt sich über die Baustellen in der Umgebung. Es entspannt sich ein Gespräch über diese unliebsamen Behinderungen. Auch Touristen besuchen den Imbiss, vor allem Leute, die hier in der Nähe untergekommen sind. „Leider gibt es wenig Laufkundschaft“, klagt Frau Axt. „Zwei Straßen näher an der Frankfurter, und es sähe schon anders aus.“ Aber das Geschäft trägt sich. „Inzwischen hat sich’s rumgesprochen“, ergänzt Frau Plagemann. „Es hat sich rumgesprochen, weil deutsche Küche kaum noch angeboten wird.“ Das war am Anfang noch nicht so.
Wieder eine gefragte Spezialität
Warum eigentlich wird kaum noch deutsche Küche angeboten? In den ersten Jahren nach Maueröffnung gab es einen großen Bedarf an exotischen Speisen, wie Döner oder asiatische Küche. „Manche der alteingesessenen Anbieter konnten auch nicht wegen der hohen hygienischen Auflagen mithalten, die dann eingeführt wurden“, ergänzt Frau Plagemann. „Für manche war der Umbau so teuer, dass sie lieber aufgegeben haben.“ Was nicht zur Sprache kommt, aber ein wichtiger Grund sein mag, ist, dass die Zugbereitung von Hausmannkost Arbeit macht und gekonnt sein muss. Inzwischen ist sie aber wieder gefragt – wenn auch noch nicht vollständig rehabilitiert – und das nicht nur unter Alt-Berlinern. Was essen die Kunden am liebsten? Frau Plagemann denkt nicht lange nach: „Süßsaure Eier, Kapernklops oder Gulasch mit Nudeln.“
Vielleicht sind es ja auch die Namen, von denen sich Unwissende abschrecken lassen: Kapernklops und süßsaure Eier, das klingt nicht so spannend und lässt auch nicht erahnen, welche Fertigkeiten hinter ihrer Zubereitung stecken. Apropos Namen. Quetschkartoffeln haben in Berlin mindestens fünf Namen. Kriegen Sie die zusammen?
Fünf bis sechs unterschiedliche Gerichte werden täglich angeboten, alle zu sehr günstigen Imbisspreisen. Das Meiste davon kennen Berliner aus der Kindheit: Paprikaschote mit Reis, Schweinebraten mit Rotkohl, Bratkartoffeln mit Ei, Hamburger Schnitzel, Hühnerbrustfilet mit Champignons aber auch Eintöpfe – und die unvermeidliche Bulette. Garniert wird mit Salat und Saurer Gurke. Ein Mediterraner Einfluss ist unverkennbar bei Spaghetti mit Schinkenstreifen und Käsesahnesoße. Wird auch mal experimentiert? „Klar“, erwidert Frau Plagemann. „Dann gibt’s Rindfleisch mit Meerrettichsoße oder Vegetarische Nudelpfanne.“
Selbstständig sein ist mühevoll
Wie wohl generell bei Selbstständigen, ist auch für Frau Plagemann der Achtstundentag Utopie. Geöffnet wird morgens um 7 Uhr. „Ich hab es auch schon mal mit um sechs probiert, aber das rentiert sich nicht.“ Dann wird Frühstück angeboten, Rührei, Bauernfrühstück, belegte Schrippen und vieles andere. Geöffnet ist bis um 17 Uhr. „Manchmal auch länger, je nachdem, wie es mit den Gästen ist. Wenn einer noch was essen will, dann kommt eben noch mal was in die Pfanne.“ Anders als manche Selbstständige, die sich keinen Urlaub leisten (und dennoch nicht besser arbeiten) achtet Elke Plagemann auf ihre Erholung. Im Juni geht es für vierzehn Tage in die Sommerferien und über die Feiertage zu Weihnachten ist auch geschlossen.
Was ist ihr Lieblingsessen, frage ich Frau Plagemann. „Rinderroulade!“ kommt es prompt, und sie ergänzt: „Sie werden es nicht glauben, aber wenn ich hier den ganzen Tag koche, dann bereite ich mir zu Hause was Eigenes zu.“ Manchmal, so erfahre ich, geht es dann auch zum Italiener.
Wie erleben sie eigentlich die Veränderungen im Kiez? „Es ist schade, dass man hier keine günstige Wohnung mehr findet“, bedauert Frau Axt „ Ich bin inzwischen auch mit meiner Familie rausgezogen. Eigentlich habe ich mich hier immer sehr wohl gefühlt.“
Ist auch mal etwas Aufregendes im Laden passiert? Frau Plagemann denkt nach. „Einmal wurde ins Geschäft eingebrochen. Die haben alles durchsucht, aber nichts gestohlen.“ Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: „Was denn auch?“ Ein Ärgernis war es trotzdem, denn die Polizei musste geholt werden und alles wurde aufgehalten. Was wünschen sie sich für die Zukunft, möchte ich wissen. „Dass es noch lange so weiter geht und die Kraft dafür da ist“, ruft Nicole Axt spontan und ihre Mutter stimmt zu. „Hauptsache es macht Spaß!“, resümieren sie.
Da mischt sich im allerfeinsten Berlinisch ein Kunde an der Theke ein, der zugehört hat: „Jenau!“, kommentiert er: „Det Schönste is imma der Feijeraahmd!“
Eigentlich müsste das ganze Interview auf Berlinisch abgedruckt sein, in dem Dialekt, in dem es geführt wurde und den auch die Kundschaft hier spricht. Ein bisschen fühlt man sich in frühere Zeiten versetzt: „Hier jib’s nich nur wie bei Muttan; hier wird ooch so jequatscht!“
Leider gilt der Berliner Dialekt bei vielen als schlechtes Deutsch und leider wird deutsche Küche in der Stadt als wenig anspruchsvoll angesehen. Zu Unrecht. Andere Länder pflegen ihre regionale Küche, lassen sie gesetzlich schützen und fördern ihre Dialekte. In Mecklenburg wird Platt sogar an Schulen gelehrt. Warum das alles in Berlin nicht möglich sein kann, dafür gibt es keine plausible Erklärung. Was Elke Plagemann und Nicole Axt täglich machen, ist nicht nur solide Gastwirtschaft, sondern auch Kulturarbeit. Davon kann es nicht genug geben.