Haupbahnhof | Quelle: Bundesarchiv

Unfreiwillige Besitzerwechsel am Ostbahnhof

Der Hauptbahnhof | Quelle: Bundesarchiv
Sauber aufgeräumt erschien der Hauptbahnhof nach dem Krieg. Quelle: Bundesarchiv

Eine Kontinuität in der deutschen Geschichte.

Von

Herr Schumacher, ein ehrbarer Kaufmann, war böse. Kurzerhand hatte ihn am 13. Januar 1881 die Stadtverordnetenversammlung um sein 12 Quadratmeter großes Grundstück an der Breslauer Straße 2 enteignet. Die Stadtverordneten standen unter massiven Druck. Die Holzmarktstraße mußte verbreitert werden. Von Jahr zu Jahr war sie zum verkehrstechnischen Nadelöhr geworden. Um Kapital für notwendige Grundstücke zu gewinnen, ging die Stadtverordnetenversammlung 1875 daran, Holzlagerplätze, aus dem städtischen Besitz abzustoßen, die an der Breslauer-, Ecke Andreasstraße lagen. Vom Gewinn erwarb die Stadt, neue Flächen an der Breslauer Straße für 65,- Mark pro Quadratmeter. Dort sollten im Juni 1880, auf 1.370 Quadratmeter Häuser abgebrochen werden. Nur Kaufmann Schumacher, im Besitz besagter 12 Qudratmeter, kam mit „unbilligen Ansprüchen“. Was die Stadtverordneten darunter verstanden, ist nicht überliefert. Allerdings, im Februar 1882, gingen an der Breslauer Straße andere Grundstücke für 90 Mark je Qudratmeter in den Verkauf. Aufgrund rechtlicher Sachverhalte standen dem Herrn Schumacher jetzt 120 Mark für den Quadratmeter zu. Dazu gehörte ihm auch noch an der Breslauer Straße 4, ein 10 Quadratmeter großes Grundstück. 3.300 Mark, wollten die Stadtverordneten im März 1884 dafür zahlen. Eine zur Straße hin geschlossene Häuserfront war hier geplant. Schumacher sagte, nach Abbruch eines alten Hauses, stünden 13,79 Quadratmeter zur Disposition. Umgehend setzte daraufhin die Stadt, die Enteignungs-Entschädigung und auch das Angebot für die 10 Quadratmeter aus. Mit der Aussicht, gar kein Geld zu bekommen, willigte Schumacher zunächst ein. Doch er verhandelte weiter. Bis er das Recht erhielt, den geplanten Fassadenbau zu vollenden. Hier, in der unmittelbaren Nähe vom Schlesischen Bahnhof, strich er gute Wohn- und Gewerbemieten ein.

Ortsunkenntnis

Justizkanzleiassistent Feige war dem Kaufmann Bronner auf der Spur. Josef Bronner lebte 1931 entweder in Wien oder in der Charlottenburger Mommsenstraße 22. Seit 1929 gehörte dem Ehepaar Bronner in der Straße Am Ostbahnhof die Nummer 14, ein Vorderhaus mit linkem Seitenflügel, abgesondertem Klosett auf dem Hof und einem Stall mit Remise, in der Größe von 4×4 Quadratmetern. Frau Lotte Bronner verzog 1933 in die Niederlande. 1942 lebte sie mit „unbekanntem Aufenthalt“, in den USA, so ermittelte Herr Feige. Er wusste, dass damit ihr Vermögen an das NS-Reich gefallen war. Weiter ermittelte er: „Herr Bronner ist nach Sambor verzogen“. Sambor war eine polnische Kreisstadt in der Woiwodschaft Lwów. Am 11. September 1939 befand sie sich vorübergehend in deutschen Händen, wurde dann im Rahmen des NS-Sowjet-Paktes am 28. September 1939 Teil der Ukrainischen SSR. Der sowjetische Geheimdienst deportierte darauf reiche polnische Juden oder richtete sie als „Feinde des Volkes“ hin. Mit dem Einmarsch deutscher Wehrmachtstruppen am 29. Juni 1941, kamen nationalistische ukrainische Einsatzgruppen in Sambor zum Einsatz. Diese an vielen Hinrichtungen beteiligte OUN-Miliz bildete auch die „Schutzmannschaft“ des dortigen Ghettos. Vom August bis Dezember 1942 wurden Tausende Menschen ohne Essen und Wasser in Holocaustzüge eingepfercht und in Vernichtungslager abtransportiert. Im Januar 1943 ermordeten Ukrainer und Deutsche 1.500 Juden. Im März 1943 folgten weitere Massenmorde. Körperlich starke Juden hatten dabei ihre eigenen Massengräber zu graben. Zur gleichen Zeit ermittelte Herr Feige, dass Herr Bronner „mit unbekanntem Aufenthalt verzogen sei“ und vermutete: „wahrscheinlich hält er sich im feindlichen Ausland auf“. Das Grundstück der Eheleute galt jetzt als herrenlos und wurde für 48.000 Reichsmark zur Versteigerung ausgeschrieben. Kurzzeitig stieg der Betrag auf 58.000 Reichsmark. Am 11. März 1943 erhielt Bäckermeister Ludwig Gehm den Zuschlag für 39.810,98 Reichsmark und übernahm am 4. Mai 1943 die Nummer 14.

Haupbahnhof | Quelle: Bundesarchiv
Nichts störte die glatte Fassade des Hauptbahnhofes. Quelle: Bundesarchiv

Festes statt flüssiges Brot

Fritze Ziesmann war froh. Er hatte seine Kneipe durch den Krieg gebracht, und Kundschaft war hier Am Schlesischen Bahnhof 4 zahlreich. Aber Anfang Januar 1946 trudelte ein Schreiben ein: „Gemäß Befehl Nr. 124, vom 30. Oktober 1945, ist Ihr gesamtes Vermögen für beschlagnahmt erklärt, zur Vermeidung zwecklosen Schriftwechsels weisen wir darauf hin, daß ein Widerspruch gegen Maßnahmen auf Grund des Befehls Nr. 124 nicht möglich ist.“ Die sowjetische Kommandantur benötigte Schankraum, Vereinszimmer, Küche und Hinterzimmer für eine Verpflegungsstelle mit Brotausgabe. Doch Anfang November 1946, waren die Sowjets wieder draußen. Nur wie: der Fußboden war teilweise herausgerissen, zum Keller fehlte die Klappe, Fenster- und Scherengitter waren ausgebaut und das Klosett total verstopft. Am 10. März 1947 kam das Bauamt zur Besichtigung. Das Ergebnis war: „Die Räume wurden überprüft. Diese befinden sich nach der Freigabe in einem sehr schlechten Zustand.“ Ziesmann investierte 2.670,- Mark, um alles wiederherzustellen. Alles war vergeblich. 1950 musste er dem Bauamt mitteilen: „Der bauliche Zustand des Grundstücks ist so reparaturbedürftig, daß die Einträge, die aus den Mieten zufließen, allein schon zur Beseitigung der äußersten Notstände zu verwenden sind.“ Er gab die Kneipe auf. Unberücksichtigt war und blieb, dass dieses „Reichseigene“ Grundstück ehemaliges jüdisches Vermögen war. Einst war es im Besitz von Dr. Leopold Katz und Alexander Stern. Ersterer soll 1943 in Budapest und Alexander Stern 1946 in Haifa gelebt haben. Doch ob 1946 oder 1950, das Bauamt vermeldete: „Die Erstbesitzer haben sich bisher nicht gemeldet!“ 1952 ging das ganze Grundstück in den „volkseigenen Besitz“ über. Sämtliche hier genannten Häuser wurden während des II. Weltkrieges zerstört und in den Fünfziger oder späteren Jahren im Zuge der Umgestaltung der neuen Umgebung vom Ostbahnhof abgerissen. Verschollen sind die näheren Lebensdaten, Fotos und persönlichen Dokumente von Dr. Leopold Katz, Alexander Stern oder dem Ehepaar Bronner.

Was sagst Du dazu?

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert