Gaslicht und mehr in Friedrichshain.
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Herr Macquer war entzückt: „Die Wirkung dieser Lampe ist besonders schön. Ihr helles, fast blendendes Licht übertrifft alle gebräuchlichen Lampen. Im Umkreis der Flamme konnte ich nicht den geringsten Geruch wahrnehmen. Ich hielt ein weißes Blatt Papier über die Flamme. Es blieb ohne von einer rußenden Flamme geschwärzt zu werden, vollkommen weiß.“
Herrn Macquers Begeisterung im Jahre 1783 kam nicht von ungefähr. Um die Stuben zu erhellen, wurden in den Küchen der „besseren Kreise“ in der Blumenstraße Talgkerzen aus Ochsen-, Schaf-, Ziegen- und Hirschfett gegossen. Bescheidenere Bürger nutzten Kienspäne. Die Kienspanhalter waren in Form von Tier- und Menschenköpfen aus Ton oder Eisen gefertigt. Beiden Lichtquellen war gemeinsam, dass sie rußten oder fürchterlich stanken. Das Luxusprodukt Bienenwachs war der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit vorbehalten.
Die Erfindung der Argandlampe, einer Öllampe mit Dochtregulierung, veränderte diese alte Ordnung. In Paris vorgestellt und in Berlin von der Firma Stobwasser als Sinumbralampe gefertigt, trat sie einen Siegeszug durch die bürgerlichen Salons der Blumenstraße an. Um das schwerflüssige Rüböl in den Docht zu pumpen, konstruierte Gustav Stobwasser die Uhrenlampe, in deren Fuß ein Federwerk eingebaut war. In seinem chemischen Labor destillierte er aus Steinund Braunkohlenteer das Solaröl. Dessen Eigenschaften kamen dem Petroleum nahe, das erst 50 Jahre später zum Standard wurde. Für die Glaszylinder und Lampenschirme entwickelte er mit der Solmsschen Glashütte in Baruth hitzebeständige Glassorten.
Draußen Dunkel
Wer seinerzeit abends unterwegs war, nahm eine Laterne mit, um nicht über Abfälle oder Schlimmeres zu stolpern. Zwar waren die Bürger verpflichtet, an jedem dritten Haus eine Laterne anzuhängen, die von einer Erleuchtungs-Invaliden-Compagnie gereinigt, überwacht, aber bei Vollmond und sowieso um Mitternacht gelöscht wurde.Das passte jedoch nicht mehr ins frühindustrielle Berlin, und 1826 erstrahlte die Prachtstraße Unter den Linden im Gaslicht. „Nicht in dürftigen Flämmchen, sondern in handbreiten Strömen schießt das blendende Licht hervor, das so rein ist, dass man in einer Entfernung von 20 – 25 Schritten einen Brief gut lesen kann“, stand am 21. September 1826 in der Vossischen Zeitung. Vorausgegangen waren Verhandlungen mit der britischen Imperial Continental Gas Association (ICGA), die das erste Berliner Gaswerk aufbaute. Selbst die Kohle wurde aus England geliefert. Da sich die ICGA kaum in die Karten blicken ließ, beschlossen die Berliner Stadtverordneten, sich aus dieser Abhängigkeit zu befreien. Sie veranlassten im September 1844 den Bau eines städtischen Gaswerkes am Stralauer Platz. Schnell waren 70 Kilometer Rohre verlegt. Davon profitierten Firmen und Geschäfte an der Großen Frankfurter Straße und der Schlesische Bahnhof, aber nicht die meisten Haushalte im Gebiet des heutigen Friedrichshain. Die hohen Preise für das Leuchtgas neben der diffizilen Technik verhinderten den Einzug der Gasbeleuchtung in die Privatwohnungen.
Schickes im Zimmer
1870 war Petroleum eher selten in Berlin, dennoch spezialisierte sich der Lampenhersteller Wild & Wessel auf die Produktion von Petroleumlampen, die im Lauf der 1870er-Jahre einen reißenden Absatz fanden und damit Kienspäne und selbst gezogene Kerzen aus den Wohnungen verbannten. In den 1880er Jahren war in öffentlichen Räumen das Leuchtgas der Favorit, im Privaten aber die reich verzierten und raffiniert konstruierten Petroleumlampen. Mit einer Erfindung des Gasglühlichtes veränderte sich die Gewichtung. Der von Carl Auer entwickelte und von der heißen Gasflamme bis zur Weißglut getriebene Auerstrumpf, ein von einer Thorium- und Ceroxid-Lösung durchtränktes Baumwollnetz, leuchtete heller und verbrauchte weniger Gas als die mit gefährlich offener Flamme arbeitenden bisherigen Brenner. 1892 bezog die Deutsche Gasglühgesellschaft-Aktiengesellschaft, später Osram, ihren Stammsitz an der Warschauer Straße. Neue Gaswerke gingen in den Betrieb, und 1905 wurde mit den Münzgaszählern das Leuchtgas für viele Friedrichshainer erschwinglich. Zu teuer dennoch für die meisten Bewohner der Straßen um den Ostbahnhof. Für sie bot Lampenbauer Stobwasser eine mit einem Glühstrumpf versehene Lampe an, die – vom billigsten Petroleum befeuert – gegenüber ähnlichen Leuchten ein besseres Licht bot.
Visionär
„Nicht vom Licht der Öllampe, sondern vom elektrischen Licht, dem besten, was wir besitzen, haben wir auszugehen. Das neue Licht bedingt eine neue Form seines Trägers. Aluminium bietet umfassende Möglichkeiten, auch Ebonit und Galalit können angewandt werden“, sagte im Jahre 1927 die Bauhausdesignerin Marianne Brandt. So zukunftsorientiert wie sie war das Berliner Stromnetz in dieser Zeit noch nicht. Mitte der 1890er-Jahre war die Elektrizität das neue Medium, das Motoren für Fahrstühle, Drehbänke und viele andere Maschinen im Friedrichshainer Industriegebiet nahe der Spree antrieb. Für die Beleuchtung wurde die Elektrizität erst mit der Erfindung der Kohlefadenglühbirnen bedeutend. Produziert bei Osram an der Warschauer Straße, zogen die Glühbirnen in Büros und Geschäfte ein. Aber der Erste Weltkrieg und die Inflation verhinderten den massiven Ausbau des Stromnetzes. Um das bestehende Chaos von über 5.000 völlig unterschiedlichen Glühbirnen im Angebot zu beenden, kam es 1927 zur Einteilung von 15-, 25-, 40-, 60- und 100-Watt- Glühbirnen in Glockenform. Der Strompreis fiel von 40 auf 16 Pfennige je Kilowattstunde. Die Einkommen bewegten sich zwischen 394 bis 580 Mark. Für die meisten Friedrichshainer gehörte das Leuchtgas per Münzzähler deshalb weiter zum rauen Alltag, den manche mit einigen Groschen für immer beendeten. Der Selbstmord per Leuchtgas war im Friedrichshain der 1920er-Jahre nicht selten. Eine von der NS-Regierung 1934 initiierte „Elektrooffensive“ verebbte 1938 wegen der Aufrüstung. Immerhin waren nun alle Friedrichshainer Haushalte an das Stromnetz angeschlossen. Eine gesamtberliner Elektrifizierung war erst nach Kriegsende möglich.