Entwurf für das Bühnenbild zum Stück Wilhelm Tell | Quelle: Programmheft

Hinterhof und Bühne

Entwurf für das Bühnenbild zum Stück Wilhelm Tell | Quelle: Programmheft
Bühnenbildentwurf „Wilhelm Tell“ / Quelle: Programmheft /

Zur Jessnerstraße.

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Im Oktober 1953 wollte Herr Lehmann sein schönes Auto nicht im Regen stehen lassen. Er ließ eine Garage bauen und ein „Appartement-Haus“ abreißen, das auf dem Hof stand. Wie in alten Zeiten befanden sich in diesem die Toiletten der Bewohner des Hauses Jessnerstraße 33. Lediglich im Vorderhaus und im Hinterhaus gab es noch eine Toilette, diese hatten jetzt jeweils für sieben Miet-Parteien zu reichen. Doch die Mieter gewannen bald mehr Macht. Mit der „Volkseigenen Wohnungsverwaltung“ schloss die Hausgemeinschaft einen „Pflegevertrag“ ab und erhielt das Recht, Schäden am Haus zuerst mit vorhandenen Mitteln zu beseitigen. Die Gemeinschaft ging ans Werk, räumte Trümmer vom Grundstück und richtete einen Spielplatz ein. 200 DM im Monat gab die Wohnungsverwaltung für zusätzliche Handwerkerarbeiten. Sie wurden von den Mietern kontrolliert und geprüft. Für Herrn Lehmann die zweite Revolte. Die erste war, dass „seine“ Kronprinzenstraße in Jessnerstraße umbenannt wurde.

Die Attacken der Wirklichkeit gegen die Welt des Scheins

Leopold Jessner, wurde am 3. März 1878 in Königsberg geboren. Dort wuchs er in einem jüdischen Waisenhaus auf, überwand alle Hindernisse und brachte sich 1904 als Regisseur am Hamburger Thalia-Theater ins Gespräch. 1915 bestellte ihn das Neue Schauspielhaus, in Königsberg zum Intendanten. 1917 geriet seine Aufführung von Hebbels „Judith“ zum Skandal. Die Geschichte geht so: Holofernes, ein Tyrann im Dienste Nebukadnezars, bedroht Judiths Volk, die Hebräer. Nach einer Liebesnacht enthauptet die schöne Judith Holofernes mit seinem eigenem Schwert, für Hebbel das Zeichen, die assyrische Armee nieder zu metzeln. Judith jedoch bittet die Priester, sie zu töten, sollte sie schwanger sein. Dagegen lässt Jessner „seine Judith“, in Anspielung auf massive antisemitische Angriffe während des ersten Weltkrieges, ein Lied zum jüdischen Lichtfest singen. Symbolisch setzt er damit auf die Hoffnung, dass infolge einer bevorstehenden Revolution, grausame Verfolgungen ihr Ende finden werden.

Andere Perspektiven

Die Revolution von 1918 war für Jessner eine des Theaters. Er sagte: „Im Morgenrot von Deutschlands Verjüngung ist auch für die deutschen Bühnen eine neue Zeit, vielleicht sogar die Zeit, gekommen.“ Die Revolution wurde Dank einer gesellschaftlichen Wandlung möglich. Juden, denen im Kaiserreich viele Türen verschlossen geblieben waren, rückten an die Spitze des kulturellen Lebens. Die Berufung von Leopold Jessner zum Intendanten des einstigen Preußischen Hoftheaters, seit 1919 das Staatstheater, galt als Ausdruck dieser neuen Zeit. Jessner sagte: „das Berliner Hoftheater nahm noch im Jahre 1918 von der Existenz Ibsens und Hauptmanns so gut wie keine Notiz, dafür wurden mit salopper Biederkeit harmlose Lustspiele aufgeführt.“ Sein Gegenentwurf von Schillers „Wilhelm Tell”, am 12. Dezember 1919 aufgeführt, ließ die Meinungen hochkochen. Von Schauspielern wie Fritz Kortner wurde die Aufführung als „revolutionär und antinationalistisch” gefeiert. Die Antisemiten und Nationalisten schrien: „Schmeißt die bezahlten Lümmel raus!“. Wilhelm Tell war für die französischen Jakobiner ein Kämpfer für die allgemeinen Menschenrechte gegen eine feudalistische Tyrannei. Zwischen 1802 und 1804 schrieb Friedrich Schiller sein Schauspiel „Wilhelm Tell”. Der Kampfruf „In Tyrannos!” war hier gültig. Im Unterton war es der Schlachtruf gegen Napoleon, dem Vollstrecker wie Liquidator der bürgerlichen Revolution. Fortan nahmen Rechtsnationale diesen Aspekt für sich in Anspruch, um „ihren Tell“ zu feiern. Jessner sah aber im Tyrannenmord das Ende aller Zwangsherrschaften. Er inszenierte „seinen Tell“ als ein Exempel für die Pervertierung von Macht. Weder war etwas von romantischer Alpenwelt und Idyllik, noch von entrückter Mystik zu sehen. Mit dem „Wilhelm Tell”, wurde für Jessner das Theater zur politischen Tribüne. Er nahm mit den Worten Stellung: „Seine alte Gültigkeit hat das Theater verloren und ist zum Kampfplatz aller Parteien und gesellschaftlicher Schichten geworden. Vorbei die idyllische Zeit, als es noch die souveräne Stätte des Zaubers, der Erhebung und Zerstreuung war. Und ein neuer Begriff ist entstanden. Theaterpolitik. Politisch orientiert sein heißt, das Gesicht der Zeit haben. In diesem weltanschaulichen Sinne ist das Theater politisch und kann sich dem nicht entziehen. Aber politisches Theater heißt nicht Partei-Theater.“ In den folgenden Jahren führt er Stücke von Wedekind, Zuckmayer und Brecht auf. Optisch sparsame, mitunter abstrakt-geometrische Bühnenbilder werden zu seinem Markenzeichen.

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