Kaufhalle Warschauer Straße:Obststand

Einkaufen ohne Emma

Kaufhalle Warschauerstraße, 1982
„Schaufenster Hauptstadt“ vor 34 Jahren, heute: Kaisers „Partysupermarkt“ in der Warschauer Straße / Quelle: „Kaufhallen in Wohngebieten” /

Kaufhallen in Friedrichshain.

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Wer immer auch Tante Emma war, die Tage ihres Ladens waren auch in Friedrichshain gezählt. Um „alle Vorteile des modernen, zeitsparenden Einkaufs für den Kunden zur Wirkung“ zu bringen, sollten mit der Einführung des ÖSS (Ökonomisches System des Sozialismus) im April 1967 „Kaufhallen zu den modernsten und für die Bevölkerung anziehendsten Einkaufsstätten für Waren des täglichen Bedarfs“ werden.
Selbstbedienungsläden waren eingeführt und wie die „Concordia“ Kaufhalle in der Singerstraße längst in Betrieb. Laut dem Kaufhallenverband litt diese Kaufhalle jedoch am Manko „der Jahrzehntelangen Gewöhnung, Entscheidungen abgenommen zu bekommen und heikle Fragen nach oben abschieben zu können.“ Sie hatte die höchsten Minusbeträge bei Inventuren. Fragten Kundinnen und Kunden nach Backhefe, kam zur Antwort:  „Hefe? Haben wir nicht. Vorige Woche gab’s aber welche. Keine Ahnung, wann wir wieder welche bekommen.“ Schrippen lagen nur mittwochs und freitags im Korb. Nicht mehr frisch und vor 18 Uhr ausverkauft. Dabei hatte die „Concordia“ als Spätverkaufsstelle bis 20 Uhr geöffnet. Der Hallenleiter versäumte schlichtweg die Bestellung. Immerhin hätte das Backwarenkombinat dreimal täglich knusprige Schrippen liefern können. Drängeleien gab es wegen fehlender Einkaufswagen und Einkaufskörbe.

Kassen in der Kaufhalle, 1980 ; Quelle: „Kaufhallen in Wohngebieten
Quelle: „Kaufhallen in Wohngebieten”

Fehlersuche im Kollektiv

Im Sinne einer „ideologisch zielgerichteten Anleitung“ und mit „offener, harter Kritik“ trat ein aus Kunden und Fachleuten gebildeter Kaufhallenbeirat zusammen. Beratungen mit der Abteilung K der Volkspolizei sollten „Ursachen und Fehler“ von Verlusten aufklären. Mit einbezogen waren die Wohngebietsausschüsse der Volkspolizei, des Deutschen Frauenbundes und der SED. Im Ergebnis wurden ganze Teile des Kollektivs umgesetzt und die Hallenleitung durch „befähigte Kader“ ersetzt. Seitdem lagen Päckchen Hefe zur Selbstbedienung bereit und Montag war der dritte Schrippenliefertag. Für einen „niveauvollen Einkauf“ wurden drei Tiefkühltruhen aufgestellt. Diese waren aus Kapazitätsmängeln der heimischen Industrie von Ungarn geliefert worden.
Die „Concordia“ war nun nicht nur das gelungene Beispiel einer „Betreuten Kaufhalle“, sondern auch ein Erfolg, wie es hieß, um den „veränderten gesellschaftlichen Bedingungen Rechnung zu tragen.“ Damit gemeint war die Zeit seit dem Mauerbau.
Doch im Juli 1968 fiel die „Concordia“ wieder unangenehm auf. Das Kaufhallenpersonal bezog eine „liberale sowie pazifistische Haltung“ zum Prager Frühling, womit die Zustimmung zu demokratischen Verhältnissen und zur Marktwirtschaft gemeint war. Der Kaufhallenverband schätzte ein: Zwar wäre die Verantwortung der Mitarbeiter an der „Sicherung der Versorgung der Bevölkerung“ gestiegen. Nur jetzt ständen „sich die Bereitschaft und der gute Wille, einem Unglauben an die eigene Kraft und das Unvermögen, Selbstständigkeit zu nutzen, gegenüber.“

Kaufhalle Warschauer Straße:Obststand
Fotogen quellen die Obst- und Gemüseregale über vor Angeboten. / Quelle: „Kaufhallen in Wohngebieten” /

Frische Paprika und neue Kaufhallen

Am 1. Juli 1968 wurden 41 Berliner Kaufhallen der HO (Handelsorganisation) in den Kaufhallenverband überführt und damit ökonomisch selbstständig. Der Berliner Kaufhallenverband sollte jetzt zum Schrittmacher im Sinne einer Einheit aus Herstellern und Anbietern werden. Laut einem Arbeitsgruppenreport bestand der erste Erfolg darin, dass in Gemeinschaftsarbeit mit dem Institut für Gartenbau Großbeeren Gemüse wie Paprikaschoten, Möhren, Grüne Bohnen und Tomaten frisch angeboten werden konnten, wobei Paprika erstmals in der DDR angebaut wurde.
Die Eröffnung weiterer Kaufhallen stand auf dem Programm. Ökonomisch sinnvoll war eine Hallengröße von 400–1.700 m2. Eine Baureihe mit Hallenstandards für die unterschiedlichen Größen wurde entwickelt. Zu den ersten vom Typ ESK 400/600 gehörte die Kaufhalle auf einem alten Kohlenplatz in der Rigaer Straße. Am 6. April 1976 eröffnet, sollte sie zur Alternative im Einzelhandel gegenüber den kleinen und mittleren Verkaufsstellen im Gebiet werden.
Eine zweite Kaufhalle gleichen Typs wurde am 28. Juni 1978 in der Corinthstraße eröffnet. Die nächste realisierte eine Jugendbrigade des VEB Wohnungskombinat Rostock auf einem Ruinengrundstück in der Eckertstraße. Diese Halle ging am 6. Dezember 1978 in Betrieb.
An der Warschauer/ Ecke Gubener Straße war eine Baulücke zu schließen. Wegen der zahlreichen Gewerbestätten und Dienstleistungsbetriebe in der Umgebung wurde hier die größte Friedrichshainer Kaufhalle vom Typ ESK 1400/1700 errichtet. Sehr aufwändig wurde der Baugrund entrümmert bzw. sogar ausgewechselt. Für einen Abzweig von der Fernwärme­trasse waren zwei Straßen zu unterqueren. Aufwändig geriet auch die Gestaltung der Fassaden. Der Standort lag an der Protokollstrecke und war damit Teil des „Schaufensters Hauptstadt“. Mit ihrem Angebot sollten die Kaufhallen westlichen Besuchern, aber auch jenen aus den „Bruderländern“ ein Beispiel für die Leistungsfähigkeit der DDR-Konsumindustrie sein.
So lieferte 1977 der VEB Venetia Sauerkohl in 500-Gramm-Beuteln. Nach einem Neuerervorschlag wurden Zigaretten nicht an einem Extra-Stand, sondern nahe der Kasse angeboten. Zwei Arbeitskräfte des ehemaligen Zigaretten-Stands wurden jetzt an der Kasse oder als Aufsicht eingesetzt. Die Einsparung betrug 4.500 Mark. Neben der HO war die Konsumgenossenschaft der DDR (kurz „Konsum“ genannt) Betreiber von Kaufhallen. Finanzstark, mit über 284.800 Mitgliedern und 14.000 Mitarbeitern, war diese Genossenschaft eine der größten der Welt.

Ausverkauf

1990, nach dem Zerfall des Kaufhallenverbandes versuchte die Genossenschaft der Übernahme durch die westlichen Großhandelsketten zu entgehen, kaufte selbst Teile von „Bolle“ oder bewarb sich bei der Treuhand um den Kauf von Grundstücken, wie im Fall der erst 1990 fertiggestellten Kaufhalle in der Oderstraße. 1991 sollte diese Halle abgerissen werden. Planung und Bau hatten 4,8 Millionen Ost-Mark und 2,2 Millionen Deutsche Mark gekostet. Jedoch verliefen alle Verhandlungen mit dem Makler und der Treuhand im Sande. Bolle wurde als coop AG von der Konsumgenossenschaft übernommen, wieder abgestoßen und ging in die Pleite. Die Konsumgenossenschaft Berlin selbst meldete 2004 Insolvenz an und bäckt seit 2007 erheblich kleinere Brötchen.

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