Un-Orte | Der Germania-Palast in der Frankfurter Allee, Berlin um 1930

Konkurrenz und Sensation

Un-Orte | Der Germania-Palast in der Frankfurter Allee, Berlin um 1930
/ Postkarte um 1930 /

Der Germania-Palast.

Von

Max Brachmann war verärgert: „Nach der in Preußen in den letzten Jahren entwickelten Auffassung, dass man behördlicherweise fremdrassige und dazu noch fremdkapitalistische Unternehmungen tunlichst wenig fördern dürfe, berührt die Entschließung des Stadtausschusses doppelt eigentümlich.“
Diese antisemitische Anfeindung war seinerzeit nicht selten, manche Außenhandels-Bestimmungen förderten diese Haltung. Max Brachmann war Chef des Molle Bier- und Speisehauses in der Frankfurter Allee 290. Im März 1926 übernahm er den Frankfurter Hof an der Frankfurter Allee 313 zwischen der Liebig und der Proskauer Straße, eine renommierte Adresse.
1888 hatte die Germania-Brauerei wegen eines Theaterbetriebs hier einen Spezialausschank eröffnet. 1911 ging die Zeit der Germania-Brauerei zu Ende. Ihr folgte die Löwenbrauerei. Sie verlangte für den Restaurationsgarten wochentags 25 Pfennige und sonntags 39 Pfennige Eintritt. Zu den Comedy-Publikumsrennern, ob im Saal oder im großen Garten, der bis an die Frankfurter Allee reichte, gehörte „Die Liebe im Eckhause“ von Alexander Cosmar oder „Unser Johann“ von Eugen Vercousin. Der erste Weltkrieg warf seine ersten Schatten, als die Theater Gesellschaft Leonore 1902 am 18. Oktober 1914 eine Wohltätigkeitsveranstaltung „Zum Besten der Arbeitslosen im Osten“ organisierte. 1918 ging der Frankfurter Hof an die Pfefferberg Brauerei und hitzig wurde es, als im Juli 1920 Boxkämpfe auf dem Programm standen.

Chancen

Öfter als die Besitzer wechselten die Pächter, wie es Herr Brachmann war. Sein Einwand bezog sich auf die Film- und Bühnenschau GmbH, die jüdische Anteilseigner hatte und teilweise mit amerikanischem Kapital ausgestattet war. Ihr wurde am 28. November 1925 gestattet, einen Teil des Gartens, der im Besitz der Germania-Brauerei war, zum Neubau eines Kinos zu belegen. Die in Deutschland und Frankreich tätige GmbH verwaltete neben dem künftigen Germania-Palast noch fünf Großkinos in Berlin. Herr Brachmanns Protest spielte darauf an, dass während der Inflationszeit amerikanische Firmen auf den Berliner Markt drängten. Um die Berliner Wirtschaft vor dieser Konkurrenz zu schützen, wurden zahlreiche Verordnungen erlassen. Davon unberührt blieben Firmen mit Sitz in Deutschland und deutschen Eignern wie die Film- und Bühnenschau GmbH.

Leinwandstar Mireille Balin | Quelle: Privatarchiv
Mireille Balin war nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland ein Leinwandstar und hatte auch ihre Präsenz auf der Bühne des Germania-Palastes. / Quelle: Privatarchiv /

Moderne Pracht

Der Architekt Wilhelm Kratz war auf Kinos und Theaterräume spezialisiert. 1925 erhielt er den Auftrag, den Germania-Palast zum Kino „im Osten der Stadt“ zu gestalten, „wo das Volk der Arbeit wohne, dem man durch die Kunst den Druck des Alltags nehmen und sein Sehnen nach Freude stillen wolle“.
Am 8. April 1926 stand vor dem Eingang, die Fassade des Kinopalastes wurde von vier großen Säulen geziert, ein drei Meter großes bunt beleuchtetes Schild. Es kündigte die Eröffnung an. Zur Premiere des Hauses lief, unterstützt von einem vielköpfigen Filmorchester, neben einer hochmodernen Kinoorgel zur Geräuschuntermalung die Stummfilmkomödie „Familie Schimek“ mit Olga Tschechowa in der Hauptrolle. Die Zeitungen schrieben: „Zahlreiche Kranzspenden bewiesen, dass sich die Erbauer großen Ansehens erfreuen und dass sie mit der Erbauung dieses Theaters sich ein großes Verdienst geschaffen haben.“ Im Zuschauerraum, der 1.800 Personen fasste, gab es weder im Parkett noch auf den Rängen Plätze, die nur einen seitlich verzerrten Leinwandblick gewährten. Warme Farben und indirektes Licht vermittelten eine angenehme Atmosphäre.

Attraktivität

Am 12. Oktober 1926 notierte ein Theaterpolizist: „Als ich gegen 21.45 Uhr das Theater betrat, war es wegen zweier dicht mit Publikum gefüllter Vorräume nicht möglich, in das Theater zu gelangen. Ich ließ mir eine Tür aufschließen. In den Seiten-Gängen standen 120 bis 150 Personen. Der Geschäftsführer sagte dazu, man könne keine Personen zum Verlassen des Theaters zwingen.“ Öfters wurde wegen der „Überfüllungen“ eine Strafe von 30 Reichsmark verhängt. So zur Aufführung des Films „Der singende Narr“ am 26. November 1929 im Nadelton-Verfahren. Synchron mit dem Filmprojektor liefen Schallplatten, die einen Tonfilm-Eindruck erzeugten. Eine Sensation. Leider funktionierte das kaum bei gesprochenen Worten. Als 1930 eine Tobis-Lichttonanlage installiert war, lief der Ton synchron mit den Filmbildern durch den Projektor und die Fox Tönende Wochenschau kam mit Neuigkeiten aus aller Welt auf die Leinwand.

Superstar ihrer Zeit: Rosita Serano war auch auf der Bühne des Germania-Palastes zu erleben. | Quelle: Privatarchiv
Rosita Serano war wegen ihrer Gesangskünste ein Superstar ihrer Zeit und auf der Leinwand wie auf der Bühne des Germania-Palastes zu erleben. / Quelle: Privatarchiv /

Viel zum Sehen

Auf der zwölf Meter breiten Bühne des Hauses präsentierte sich am 13. November 1928 das Arbeiter-Sport und Kulturkartell Friedrichshain. Eingeleitet von einem Film des Reichsarbeitersporttages, gab es ein Vierer-Kunstreigen der Radfahrer, das Reckturnen der Freien Turnerschaft Groß-Berlin- Osten, Gymnastik- und Ringergruppen zu sehen. Mit acht Bildern stellte der Sportverein Kraft-Heil das bergmännische Leben und Leiden dar. Bis 1933 war der Germania-Palast ein Schauplatz vieler proletarischer Kulturveranstaltungen.

Shows

Die Bühne reichte acht Meter weit in die Tiefe. Sie war mit vielen Effektbeleuchtungen, Raffinessen einer Nebelmaschine und einem Rundhorizont ausgestattet. Dieser kam am 4. Mai 1930 im Extra-Programm des Sprech- und Tonfilms „Zwei Herzen im Dreivierteltakt“ zur Anwendung. Jüdische Künstlerinnen standen oft auf der Bühne. So Elisabeth Flohr, die 1931 das Tonbeiprogramm zum Film „Der Schrecken der Garnison“ moderierte. Mit ihrem Kollegen Hugo Fischer-Köppe, der den kleinen Leuten Stimme und Gesicht gab, pointierte sie die sehr erfolgreiche Militärkomödie. Der Hauptdarsteller des Films, Felix Bressart, gehörte zu den bestbezahlten Filmstars seiner Zeit. Egal, ob Elisabeth Flohr die Polly Peachum in der „Dreigroschenoper“ gab oder als Bühnenpartnerin von Anita Berber in der zeitreflektierenden Kabarettrevue „Total Manoli“ auftrat, stets war ihr der Beifall sicher. Ebenso wie Bressart, der in die USA ging, musste Elisabeth Flohr, die es bis nach Schanghai verschlug, Deutschland verlassen. 1938 enteignet, wurde die Film- und Bühnenschau GmbH dem UFA-Konzern zugeschlagen. Das größte und modernste Friedrichshainer Kino vor 1945 zerfiel in den Wirren des Bombenkrieges in Schutt und Asche. Einstige Anteilnehmer der GmbH, die nach dem Krieg in Australien lebten, versuchten über Jahre vergeblich, für den Verlust ihres Eigentums entschädigt zu werden.

 

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