Nichts geschenkt bekommen
Im Juni 1961 begann er dann doch noch sein Studium. „Die Situation änderte sich durch einen Qualitätseinbruch im Betrieb“, erläutert Herr Hellwig. Konstruktive Mängel an den Exportmaschinen führten zu zeitaufwändigen Nacharbeiten. Um den Planrückstand aufzuholen, wurden auch die Gütekontrolleure aufgefordert, Überstunden einzulegen. „Die waren damals noch eine Macht im Betrieb“, erinnert sich Herr Hellwig, „ältere Kollegen, die schon in Rente waren und sagten: ‘Dann hören wir gleich auf zu arbeiten!’“ Auf Vorschlag von drei Endkontrolleuren wurde Herr Hellwig angesprochen und darum gebeten einzuspringen. Als Belohnung wurde ihm auch ein Studium angeboten, allerdings nebenberuflich. Fünf Jahre lang drückte er vier Tage in der Woche nach der Arbeit zusätzlich abends die Schulbank. „Wir wohnten mit Stube und Küche in einer Hinterhofwohnung in der Boxhagener Straße“, erinnert sich Frau Hellwig. „Sonnabends saß mein Mann mit der Lerngruppe im Wohnzimmer und ich ging so lange mit unserem kleinen Sohn spazieren.“ Renate Hellwig wurde in Schmiedeberg im Sudetenland geboren, wuchs nach ihrer Vertreibung und Flucht über die Altmark in Oberwiesenthal im Erzgebirge auf und zog 1958 nach dem Tod ihrer Mutter zu ihrer Schwester an die Weberwiese. Ein Jahr später lernten sich Renate und Hans-Joachim kennen. Renate Schmiedel hatte den Beruf einer Säuglingsschwester gelernt und Anstellung in der neu errichteten Wochenkrippe in der Hildegard-Jadamowitz-Straße gefunden. Später wechselte sie in eine Kinderkrippe in der Fredersdorfer Straße. 1970 zogen die Hellwigs in ihre Neubauwohnung am Franz-Mehring-Platz. Es ist immer wieder erstaunlich zu erfahren, zu welchen Leistungen Angestellte und Arbeiter in DDR-Betrieben in der Lage waren, gerade angesichts der sonst üblichen Schilderungen über Unzulänglichkeiten in der sozialistischen Wirtschaft. 1961 wurden mehrere innerstädtische Betriebsstandorte der Werkzeugmaschinenfabrik und des Schleifmaschinenwerks zum Standort in Marzahn zusammengefasst. „Innerhalb eines Wochenendes zogen damals hunderte Werkzeugmaschinen samt Material an den Stadtrand um. Eine Meisterleistung!“, erklärt Hans- Joachim Hellwig stolz. „Den Begriff Logistik gab es damals noch gar nicht!“