Zu Besuch im Callcenter dialog4good.
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Sie kennen das. Das Telefon klingelt, doch anstelle einer vertrauten Stimme hören Sie jemanden aus einem Callcenter, die oder der Ihnen ‚einen Knopf an die Backe quatscht‘. „Störenfried!“ und „Bettelanruf!“ sind die harmlosesten Begriffe, die in Augenblicken fallen, wenn die Anrufe ungelegen kommen. Was sind das für Leute, die andere Menschen von ihrem Tun ablenken und mit ihnen ein Geschäft abschließen wollen, so fragen Sie vielleicht – und ich habe es mich auch gefragt.
Ich bin mit Sebastian Maetzel in der Boxhagener Straße in einem Neubau der 1990er- Jahre verabredet, wo das Callcenter untergebracht ist. Die Büros sind überraschend hell und zweckmäßig eingerichtet. Herr Maetzel ist ein freundlicher Mann von mittlerer Statur, der seine Worte langsam und wohlüberlegt setzt. Er arbeitet als Geschäftsführer und Gesellschafter der dialog4good GmbH, die im Auftrag von Kunden Werbeanrufe vornimmt. Zunächst eine Aussage, die überrascht: „Wir arbeiten nur mit Kunden, deren Ziele wir vertreten können.“
Das kann man sich aussuchen? Man kann. Die dialog- 4good GmbH akquiriert Spenden für gemeinnützige Organisationen. Unser Zeitzeiger zum Beispiel käme als Kunde gar nicht infrage. Es sind viele Hilfsorganisationen, für die das Unternehmen arbeitet, darunter so bekannte wie Deutsche Krebshilfe, Amnesty International, WWF, Brot für die Welt, NABU und so weiter. Alle tun Gutes, jeder weiß es. Aber das Geld, das sie für ihre Arbeit benötigen, fällt nicht vom Himmel.
„Der Staat unterstützt natürlich auch solche Organisationen“, erklärt der Unternehmensgründer. Aber er verlangt für seine Zuschüsse auch einen Eigenanteil, den sie selbst erbringen müssen und den erbringen wir. Und wer nicht fragt, bekommt nichts.“
Es hat übrigens auch schon Fälle gegeben, in denen man sich von Kunden getrennt hat. „Einmal stellte sich heraus, dass ein Verband für Ziele eintrat, die wir missbilligen. Da haben wir freundlich um Beendigung des Geschäftsverhältnisses gebeten, obwohl deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an sich ganz nett waren.“
Ein Studienberuf
„Diese Vereine können aus unterschiedlichen Gründen selbst kein Telefonfundraising betreiben und geben diese Arbeit an uns weiter. Wir rufen Leute an, die bereits gespendet oder ihre Bereitschaft dazu geäußert haben und versuchen Sie davon zu überzeugen, erneut gemeinnützige Vereine zu unterstützen.“
Es werden immer Menschen angesprochen, die sich bereits mit der Frage „Spenden oder nicht spenden?“ auseinandergesetzt und die eine positive Einstellung dazu haben. „Kaltakquise betreiben wir nicht“, unterstreicht Sebastian Maetzel.
Fundraiser ist die übliche Bezeichnung für diesen Beruf. Wie wird man das? Sebastian Maetzel hat Sozialpädagogik in Köln studiert und wurde danach beruflich in der Jugendarbeit aktiv. Er besorgte Ausbildungsplätze und Praktika für arbeitslose Jugendliche. „Die Projektträger mussten sich jedes Jahr neu bewerben, weshalb die Arbeitsverträge immer nur von Jahr zu Jahr befristet waren.“ Als er dann einmal seinen Bruder in Amerika besuchte, sagte der zu ihm: „Warum versuchst du es nicht einmal mit einer soliden Finanzierung, so wie man das hier macht: mit Fundraising?“ Darauf besuchte Sebastian Maetzel ein berufsbegleitendes Studium an der Fundraisingakademie in Frankfurt am Main. Dort lernte er Grundlegendes über Spendenkommunikation, etwa wie man Spendenbriefe verfasst. „Ich merkte, wie klein die Szene in Deutschland ist. Bei einem Arbeitsbesuch in Amerika erlebte ich, dass die Spendenbereitschaft dort um ein Vielfaches höher ist.“ Dabei ist es eine wichtige Arbeit. „Jeder kennt die Einsätze von großen Hilfsorganisationen. Wenn es irgendwo in der Welt eine Katastrophe gibt, dann stehen fertig eingerichtete Krankenstationen mit Medikamenten zum Einsatz bereit und werden in Flugzeuge verfrachtet. Dafür müssen Mittel bereitstehen. Organisationen, die nicht fragen, können einpacken.“
Ethische Grundsätze
Fundraising hat immer noch einen schlechten Ruf, deshalb bin ich überrascht, als ich höre, dass es den Deutschen Fundraising-Verband gibt, einen Fachverband, dessen ethischen Grundsätze auf der Internetseite zu lesen sind: Jeder Druck, selbst jeder Anschein eines Druckes auf Entscheidungen wird missbilligt, ebenso die Vergütung hauptsächlich nach Spendenerfolg.
„Wir respektieren Menschen, die ‚Nein!‘ sagen und die nicht wieder angerufen werden wollen.“ Das wird den Kunden des Centers auch mitgeteilt, wenn diese Leute in Ruhe gelassen werden wollen. „Wir zahlen über dem Mindestlohn“, setzt der Geschäftsführer hinzu. Allerdings sind für diese Arbeit nicht alle geeignet. Wer Probleme damit hat, um Spenden zu bitten, wird keinen Erfolg haben. Ebenso muss man die Regeln der Höflichkeit beherrschen und auch auf harsche Worte angemessen und verantwortungsvoll reagieren. Ich denke an meinen vor Jahrzehnten verstorbenen Großvater, der als Rentner immer davon sprach, gern eine Vertrauensstellung einzunehmen: „Ich würde das auch nicht missbrauchen!“
Ob das Callcenter eine richtige Aufgabe gewesen wäre? „In der Tat“, wirft der Geschäftsführer ein. „Ich arbeite gern mit Rentnern zusammen, gerade aus dem Ostteil der Stadt. Sie verfügen über eine Lebenserfahrung, die den Werbegesprächen deutlich zu vernehmen ist.“ Wenn es um Spenden für die Krebshilfe geht, dann verlaufen Gespräche älterer Menschen untereinander ganz anders als zwischen Jüngeren und Älteren. Für alle älteren Menschen sind Krankheiten Teil ihrer Lebenswirklichkeit. Sie kennen sich darin aus. „Es geht darum, ein Gespräch zu führen“, erläutert Sebastian Maetzel. „Wir vermitteln Dankbarkeit. Empathie und Respekt sind der richtige Umgang. Wir sind ehrlich und sagen offen: ‚Wir sind ein Callcenter. Wir sind nicht der WWF.“
dialog4good hat 50 Beschäftigte. „Jetzt, wo sich ein Ende der Pandemie abzeichnet, könnten wir sogar noch Unterstützung gebrauchen“, sagt der Geschäftsführer. „Das Betriebsklima ist gut. Wir haben langjährige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wer Interesse hat, kann sich bei uns bewerben.“ Fundraising ist also kein Geschäft für Drückerkolonnen, wenn es richtig gemacht wird. Schließlich bittet auch der Zeitzeiger seine Werbekunden immer wieder um weitere Unterstützung. Da sind wir uns direkt ähnlich.