Allein machen sie dich ein, schmeißen sie dich raus, lachen sie dich aus.*
Und jetzt kamen diese jungen Leute daher und stellten sich nicht etwa hinten an, sondern nahmen einfach, was sie brauchten, nämlich Wohnraum. Und was wollten sie noch? Anders leben; das heißt für viele gemeinschaftlich leben statt in Einzelwohnungen, selbstorganisiert statt abhängig von gegebenen Strukturen. Klingt kompliziert und ist es auch, denn natürlich war nicht zu erwarten, dass sich hunderte Individualisten aus Ost und West im Nullkommanichts auf eine gemeinsame Idee einigen. Aber sie versuchten es, der BesetzerInnenrat wurde schnell gegründet, der die Vernetzung und gegenseitige Unterstützung möglich machen sollte. Eine BesetzerInnenzeitung wurde ab August 1990 herausgegeben und möglichst an alle Häuser verteilt, darin standen Protokolle von Verhandlungen, Pläne einzelner Hausprojekte, Demoaufrufe, Diskussionen. Besonders an den Diskussionsbeiträgen kann man verfolgen, dass zwischen grundsätzlich sehr unterschiedlichen Positionen kaum Annäherung möglich war. Einige wollten über Mietverträge verhandeln, andere gar nicht; sie verstanden das Besetzen von Häusern eher als politische Aktionsform: Mit Wohnen, so die Forderung, solle niemand Geld verdienen. Einige der Verhandlungsbereiten waren besonders an ihrem eigenen Vertrag interessiert, andere wollten einen Vertrag für alle Häuser. Ein Vertragsgremium wurde ins Leben gerufen, das versuchte, mit Senat und Magistrat eine Lösung für alle Häuser zu finden.
Welche Lösung wäre da akzeptabel? Einzelmietverträge für Wohnungen lehnten viele ab, da sie das ganze Haus als Projekt verstanden und gern Gemeinschaftsräume schaffen wollten. Andere fanden einen Rahmenvertrag als Grundlage für Einzelmietverträge annehmbar. So viele Fragen und so wenig Zeit: Schließlich hatte alle auch anderes zu tun: Auch die Hausgruppen mussten sich oft erst kennenlernen und Ideen und Pläne für „ihre“ Häuser schmieden, man stritt sich mit der Wohnungsbaugesellschaft und dem Bezirk um Unterstützung für die Winterfestmachung oder den Abtransport von Müll; Infoläden, Kinderläden, Food-Coops, Kinosäle, Kneipen wurden eingerichtet; Straßenfeste sollten die Alteingesessenen ansprechen; Demos gegen Mieterhöhungen und Räumungen wollten organisiert werden und vieles mehr. Außerdem zogen rechtsradikale Schlägergruppen durch die Gegend, sie griffen besetzte Häuser an oder verprügelten vermeintlich linke Personen. Oft hielt sich die Polizei da raus. Richtige Straßenschlachten gab es; sie wurden mit Fäusten, Steinen, Stuhlbeinen und Feuerlöschern ausgetragen. Die Beteiligten erinnern sich nicht gern. Bis heute ist die Toleranz gegenüber Nazis (selbst wenn Personen nur vermeintlich so aussehen) in der Rigaer Straße gering.