Zu Besuch im Computerspielemuseum in der Karl-Marx-Allee.
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Als ich noch Schüler war, galten Comics als Ausbund der Kulturlosigkeit. Immer musste man sich rechtfertigen, wenn man sie las. Comics aus dem Westen wurden sofort eingezogen. Ende der 1980er Jahre hörte ich im Radio, dass Comicstrips in japanischen Schulbüchern als didaktische Mittel eingesetzt würden und dass im Westen der Stadt der Comic eines Amerikaners über den Holocaust erschienen war, in denen Juden als Mäuse auftraten. Höchste Zeit, dass die Mauer fiel! Heute zählt Art Spiegelmanns Maus-Comic zu den Standards der Lehrpläne. Schon damals war etwas ganz Neues entstanden: In den Jugendklubs der DDR-Hauptstadt hatten sich die ersten Computerspiele etabliert, einfachste Ping-Pong-Videospiele in klobigen schrankähnlichen Aufbauten aus Sprelacart. Ein Spiel kostete 50 Pfennig. Viel Geld damals, gerade für Teenager. Aber es standen immer mindestens drei-vier Leute daneben, gaben Tipps und fieberten mit. Kritiker waren entsetzt: „Was wächst uns da für eine stupide Jugend heran!“ Die gleichen Bedenken, wie gegen Comics und oft auch dieselben Bedenkenträger. Auf die Idee, dass mit der interaktiven Auseinandesetzung mit einem neuen Medium etwas ganz Neues entstand, das neue Formen der Kommunikation, der Fantasie, des räumlichen Denkens und vieles mehr erforderte, kam damals noch keiner.
Einfach viel wissen
Und nun, dreißig Jahre später, treffe ich mich im Computerspielemuseum in der Karl-Marx-Allee mit der Kuratorin Mascha Tobe. Mich begrüßt eine freundliche, aufmerksame Frau um die Dreißig, die jünger aussieht, mit einem natürlichen, offenen Wesen und ohne die geringsten Anzeichen einer Spiele-, Computer- oder anderen Attitüde. Ganz offensichtlich habe ich auch meine Vorurteile und beginne genau in diesem Sinne das Gespräch: Um in einem Museum arbeiten zu können, musste ich studieren und promovieren. Was muss man als Kuratorin des Computerspielemuseums können? Mascha Tobe lacht über meinen Ansatz. „Als ich hier vor sechs Jahren als Kurationsassistentin im Sonderausstellungsbereich angefangen habe, studierte ich Germanistik und theoretische Linguistik. Später kamen noch Medien-, Kulturund Literaturwissenschaften hinzu.“ Das alles sind Fächer, in denen man lernt, Fragestellungen komplex und aus unterschiedlichsten Perspektiven anzugehen. Hierfür braucht man Flexibilität, Neugier und Wissen. Ihre Kompetenz stellt Mascha Tobe gleich am Anfang unter Beweis, als ich sie frage, wie man Leuten, die weder Spiele noch Computer mögen, den Besuch des Museums schmackhaft machen kann. „Es geht um Menschen. Wir verknüpfen sie als Individuen einer verspielen Spezies mit etwas historisch relativ Neuem, dem Computer. Systematisch lenken wir die die Aufmerksamkeit unserer Besucher auf die Dinge, die uns bestimmen.“ Das ist im Grunde genommen klassische Museumsarbeit und politische Bildung, die hier geleistet wird. „Es geht darum, die Welt besser zu verstehen“, fügt sie hinzu. Im Gegensatz zu der überkommenen Vorstellung, dass Computerspiele nur etwas für Kinder seien, für Vorpubertäre und ein paar vereinzelte Computerfreaks, stehen die Fakten, die von der Kuratorin genannt werden: „Es kommen Besucher aller Altersgruppen. Zu uns kommen oft Leute, die einfach nur das Haus kennenlernen wollen oder die wissen wollen, ob wir ihr altes Lieblingsspiel zeigen. An den Vormittagen sind es eher Schulklassen mit ihren Lehrern. An den Nachmittagen kommen dann die Eltern und Großeltern mit ihren Kindern und Enkeln. Aber uns besuchen auch Großmütter allein, die einfach verstehen wollen, wie ihre Enkel ticken.“ Man muss sich den Wandel vor Augen führen: noch vor einigen Jahren war es üblich, dass auch große Kinder auf der Straße spielten. Inzwischen haben Computerspiele die Kinder in ihren Kinderzimmern in Beschlag genommen. Das heißt aber nicht, dass damit automatisch der Vereinzelung der Kinder Vorschub geleistet wird. Mascha Tobe bestätigt, dass Computerspiele ausgesprochen kommunikativ sein können: „Die Gefühle sind echt. Man verspürt Freude über einen Sieg, aber auch unfassbare Wut über den Fehler, den man bereits zum zweiten Mal macht.“ Die Voraussetzung dafür ist, dass es der menschlichen Phantasie gelingt, selbst einfachste Grafiken in plastische Vorstellungen und reale Lebenswelten umzugestalten.
Verantwortung
Dass es den Museumsmachern nicht nur um die reine Freunde am Spiel geht, sondern auch um die Orientierung in realen Lebenswelten, beweist die gegenwärtige Sonderausstellung: „Die Digitale Küche – mit Essen spielt man (nicht)“, die bis zum 29. März 2020 im Museum zu sehen ist. Darin werden sowohl Überlebens-Spiele gezeigt, in denen die Figuren Nahrung finden und am Feuer zubereiten müssen, aber auch solche, bei denen man Rezepte sammeln und erlernen muss. Es gibt auch Spiele, bei denen es um das Essverhalten und die gesellschaftlichen Vorstellungen von Körperidealen geht. Mascha Tobe überreicht mir ein paar Kataloge: „Es hat sich erwiesen, dass Hintergrundwissen immer noch am besten über solche Kataloge vermittelt wird.“ Ich frohlocke: auch Skeptiker können diese Old-School-Publikationen anfassen, lesen und richtig etwas lernen dabei. Als Medium hat das Spiel neben Buch, Comic, Radio, Fernsehen, Theater, Kino und weitere längst einen gesellschaftlichen Stellenwert erreicht. Das heißt, es vermittelt auch Geschichtsbilder. „In den Grafiken eines amerikanischen Spiels, das in der Antike handelt, wurden den klassischen Skulpturen alle Geschlechtsteile verdeckt. Spielende könnten nun glauben es sei tatsächlich so gewesen“, erläutert Mascha Tobe. Regt dies vielleicht noch zum Schmunzeln an, ist die Situation bei Spielen, die im Zweiten Weltkrieg handeln, ernsthafter. „Da werden bestimmte Realitäten, nämlich das Leben in der Diktatur und der Holocaust, einfach ausgeblendet. Ein paar Berliner entwickelten mit ‘Through the Darkest of Times – Durch die dunkelsten Zeiten’ ein Strategiespiel, das sich dem Widerstand gegen die NS-Diktatur widmet.“ Die Entwickler bestanden darauf, statt Phantasiesymbole reale NS-Symbole zu zeigen, was im Gegensatz zu Kunstwerken noch nie in Spielen gestattet wurde, bis auf eine Ausnahme. Doch wegen seiner staatsbürgerlichen Aufklärung und der Abwehr demokratiefeindlicher Bestrebungen ist es das erste Computerspiel aus Deutschland, in dem Hitlergruß und NS-Symbole gezeigt werden dürfen.
Längst emanzipiert
Dass die Entwicklung von Spielecomputern eine Angelegenheit gewissenloser Geschäftemacher ist, die aus der Verrohung der Menschheit Kapital schlagen, war auch im Westen eine weitverbreitete Ansicht. Wer sich den Besuch des Museums gönnt, erfährt dagegen sehr viel über die Findigkeit von Ingenieuren, Grafikern, Gamern, vor allem von jungen Leuten, für die das Spiel und die Entwicklung von Spielen ein Feld des Ausprobierens ist. Übrigens gab es auch in der DDR eine überaus aktive Gamer-Szene, die einerseits staatlich gefördert, andererseits aber auch von der Staatssicherheit argwöhnisch beobachtet wurde. Die Besucherzahlen sind beachtlich. Allein in diesem Jahr kamen 130.000. „Wir müssten eigentlich einmal eine Aufstellung der Länder vornehmen, aus denen noch niemand hier war“, sagt die Kuratorin. Spielewelten wirken sich längst auch auf das reale Leben aus: „Meine Krankenkasse belohnt mich mit einem Bonussystem, wenn ich eine präventive gesundheitsfördernde Maßnahme ergreife.“ Der Besuch von Sport- und Bewegungskursen wird honoriert. Man muss Computerspiele nicht mögen, aber man sollte lernen, dass sie ein Teil unserer Wirklichkeit geworden sind. Hierzu tragen das Computerspielemuseum und die Kuratorin Mascha Tobe engagiert bei.