Zu Besuch im Restaurant JAMY in der Schreinerstraße 29.
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Durch einen Tipp erfuhr ich, dass anstelle eines typischen asiatischen Restaurants, das seit 1992 in der Schreinerstraße residierte, ein neues geöffnet hat, das sehr empfehlenswert sei. Auf meine Bitte um einen Interviewtermin sagte die Betreiberin, Frau Tran, prompt zu. Sie wirkt auf mich neugierig und offen. Nun sitze ich ihr gegenüber, einer kleinen, sehr lebhaften und freundlichen Frau, die wortgewandt und nicht ohne Stolz von ihrer neuen Einrichtung erzählt: „Im Mai haben wir das Geschäft übernommen, alles saniert und neu eingerichtet. Seit September haben wir geöffnet.“ Schon auf den ersten Blick wirkt das Lokal ganz anders als die üblichen asiatischen Restaurants. „Wir haben alles selbst gebaut, die Regale, die Deckenverkleidung, sogar die Tische. Eine Schwester meines Mannes ist Architektin, sie half uns bei der Einrichtung.“ Dann fügt sie lachend hinzu: „Bei uns kann keiner sagen: „Das habe ich doch schon mal bei IKEA gesehen!“ Sogar die Kissen haben sie selbst genäht, weil sie nicht die passenden Farben gefunden haben.
Vietnamesische Herkunft
Frau Trans Mutter kam schon 1967 als eine der ersten Vertragsarbeiterinnen nach Leipzig, dann noch einmal 1981 als Praktikantin für Informatik in eine Textilfabrik in Großschönau im Dreiländereck Sachsen, Polen und CSSR. „Den Betrieb gibt es noch“, erklärt Frau Tran. „1988 bekam meine Mutter die Gelegenheit, als Gruppenleiterin erneut nach Großschönau zu gehen. Nur, da war ich schon geboren. Meine Mutter war schon etwas älter, als ich kam.“ Ihr gelang etwas Außergewöhnliches: sie durfte ihre inzwischen dreijährige Tochter in die DDR mitbringen. „Wir lebten in damals in Zittau. Als ich in die Schule kam, zogen wir nach Berlin.“ Die Mutter ist jetzt Rentnerin und kümmert sich um die Kinder von Frau Tran und ihrem Mann. Als Kosmetikerin arbeitet Frau Tran stundenweise bei einer Modekette. „Das ist auch eine schöne Arbeit. Man kann den Kunden sprechen und sie beraten.“Warum dann das Lokal? „Ich will mit meinem Mann einen Start in die Selbständigkeit wagen“, erklärt sie. Seine Eltern waren als Ingenieure im Baugewerbe tätig, doch hatte er dazu keine Ambitionen und lernte Informatik. „Aber er war zuerst nicht so glücklich, als er hier ankam. In Vietnam ist alles anders. Das Leben spielt sich vor der Tür ab. Abends brauchst du nur rauszugehen und triffst Nachbarn und Bekannte. Oder du setzt dich einfach aufs Motorrad, und los geht’s. Hier spielt sich alles drinnen ab. Nur wenige sind auf der Straße. Und die musst die deutsche Sprache gut können. Die Sprachangebote in den Integrationskurses waren meinem Mann zu schnell und es gibt kaum vietnamesische Lehrer, die alles in Ruhe erklären können.“ Das Gastgewerbe bietet die Möglichkeit, sich zu integrieren, auch wenn es mit der Sprache noch nicht so klappt. So sind die Aufgaben gut verteilt: Ein Freund kocht, Frau Tran macht die Bedienung und ihr Mann fertigt Sushi, erledigt den Einkauf und anderes.
Etwas Besonderes anbieten
Von Anfang an sollte es kein normales Asien-Restaurant sein. Deswegen haben sie auch das eigene Mobiliar wert gelegt. Es soll auch keine rein vietnamesische Kost geben. „Wir möchten keine langen Speisekarten mit hundert Gerichten, bei denen die Gäste nicht mehr durchsehen und wollen auch keine Einrichtung mit zu viel Schnickschnack sein. Was wir anbieten, nennen wir Fusionsküche. Wir haben Japanisches, Thailändisches und Vietnamesisches.“ Großes Glück hatten sie mit dem Koch. „Wir sprachen mit einem guten Freund, der in einem angesagten Kreuzberger Restaurant am Schlesischen Tor gekocht hat. Der ist auch Großküchenerfahren. Er hat uns unterstützt vom ersten Tag an, an dem wir im Mai mit dem Ausräumen des alten Mobiliars begannen. Aber auch die ganze Familie hat uns unterstützt.“ Weil der Koch gelernt und erfahren ist, schmecken selbst einfache Curry-Reis- Gerichte oder Eier-Reis anders als in den üblichen Asia-Restaurants. Aber es wird auch frischer gebratener Lachs angeboten. „Weil es den Leuten schmeckt, kommen sie wieder. Mundpropaganda ist die beste Propaganda.“ Die Internet-Bewertungen sind durchaus positiv. Inzwischen gibt es Stammkunden, die zwei-dreimal in der Woche kommen. Es wird auch ein kostengünstiges Mittagsmenü mit Suppe und Hauptgang für die Leute angeboten, die in der Umgebung arbeiten. Aber auch Touristen kommen hier her. Und es gibt welche, die nur ab und zu in der Gegend zu tun haben und dann immer vorbei schauen. Von Anfang an war Frau Tran und ihrem Mann Herrn Phung Qualität besonders wichtig. Deshalb haben sie es nach der Öffnung zunächst ruhig angehen lassen, ohne Flyer-Werbung, um die Qualität zu halten.
Kinderfreundlich
„Es kommen auch junge Familien mit ihren Kindern, Pärchen mit frischgebackenen Babys. Wir möchten ein gemütliches Plätzchen für Familien sein. Ich freue mich jedes Mal darüber und wünschte dann, dass auch unsere Kinder hier wären. Das merken die Kunden, dass die Kinder angenommen werden. Wir hatten sogar schon ein Kinderfest hier.“ Auch der Name des Restaurants hat etwas mit Kindern zu tun. „MY heißt auf vietnamesisch Nudeln und J und A sind die Anfangsbuchstaben unserer Kinder. Damit sind sie auch ein bisschen hier.“ Was isst sie eigentlich am liebsten? „Brötchen!“ ruft Frau Tran und lacht laut auf. „Ich bin hier aufgewachsen und könnte immer Brötchen essen. Ich mag auch gern Kartoffelpüree und Sauerkraut aber auch italienische Nudeln.“ Es ist nicht gerade einfach, an diesem Ort ein Restaurant zu etablieren. Am Schleidenplatz gibt es mehrere und an diesem Ende der Schreinerstraße ist nicht so viel los. Um so mehr ist die Initiative zu begrüßen, die Frau Tran und ihre Familie ergriffen hat. Wir wünschen ihnen viel Erfolg!
Sehr gut, dass ihr den Artikel geschrieben habt. Mit einem Vorgängerrestaurant an der Stelle hatte ich sehr schlechte Erfahrungen gemacht und so wäre ich nie auf die Idee gekommen, dort nochmal zu essen. Jetzt werde ich es bald mal ausprobieren.