Anneliese Stefanow und Silke Rudolph mit der Plattenkamera, © Fotos mit Herz

„Wir begleiten das Leben unserer Kunden.“

Anneliese Stefanow und Silke Rudolph mit der Plattenkamera
Anneliese Stefanow (links), Silke Rudolph und die Plattenkamera, sie ist der älteste Gegenstand im Laden. / © Fotos mit Herz /

Die Fotografenmeisterinnen Anneliese Stefanow und Silke Rudolph.

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Das Fotoatelier „Fotos mit Herz“ in der Samariterstraße 33 ist schon alt. Im Adressverzeichnis von Berlin wird 1926 unter Frankfurter Allee 45 der Name des Fotografen August Parant erstmalig erwähnt. Nachdem das Haus 1945 zerstört wurde, etablierte es sich in der Samariterstraße. Ich treffe die langjährige Geschäftsinhaberin Silke Rudolph, die wie ihre Mitarbeiterin Ulrike Neumann zufällig Geburtstag hat. Zu Besuch kommen Bekannte und Verwandte, um zu gratulieren. Unter ihnen ist auch die vormalige Besitzerin Anneliese Stefanow, die manch ältere Friedrichshainer noch kennen.

Kompetenz in Studio und Dunkelkammer: Anneliese Stefanow
Für viele Jahre mit Kompetenz in Studio und Dunkelkammer und mit Freundlichkeit hinter der Ladentheke: Anneliese Stefanow. / © Fotos mit Herz /

Schon als Kind habe ich gern fotografiert …

„Mit vierzehn musste ich von der Schule, weil mein Vater selbständig war“, erzählt Frau Stefanow. „Die höheren Schulen blieben damals den Arbeiterkindern vorbehalten.“ Ihr Vater hatte mit einem dreirädrigen „Goliath“ als Privatspediteur angefangen und ein respektables Unternehmen aufgebaut, das im Krieg zerstört wurde. Ein zweites Mal verlor er es bei der Enteignungswelle 1953, doch gelang ihm später wieder ein Neustart.
„Schon als Kind habe ich gern fotografiert“, berichtet Aneliese Stefanow. „Ich hatte eine Leica aus dem Jahr 1938. Mit einem Fotozirkel bestritt ich erste Ausstellungen, zum Beispiel im Haus der Jungen Talente, dem heutigen Podewil oder im Schloss Köpenick. Einmal gewannen wir sogar eine Reise in die Hohe Tatra.“
Sie hatte Glück und erhielt einen von drei freien Ausbildungsplätzen zur Fotografin in Berlin, die für ihren Jahrgang zur Verfügung standen. Nach Fotografenlehre und Meisterstudium arbeitete sie im Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft im Palais am Festungsgraben, wo sie Ausstellungen kuratierte und Auftragsarbeiten übernahm. Unter anderem fotografierte sie für die Sowjetische Botschaft den ersten Kosmonauten Juri Gagarin und die Kosmonautin Walentina Tereschkowa oder bei Veranstaltungen, Schriftsteller wie Anna Seghers oder Arnold Zweig.

Firmengründer August Parent
Firmengründer August Parent, Aufnahmedatum unbekannt. / © Fotos mit Herz /

Tags im Haus der DSF, nachts im Fotolabor

Über ihren Lehrchef lernte sie Otto Parant, den Sohn des Geschäftsgründers August Parant, kennen. Nach dessen Tod unterstützte sie Frau Parant im Labor. Tags arbeitete Anneliese Stefanow für das Haus der DSF, abends für Frau Parant. Als Frau Parant in Rente ging, lag der Gedanke nahe, das Fotoatelier zu übernehmen. Das Geschäft sollte erhalten bleiben.
Eine Gewerbeerlaubnis für ein privates Geschäft zu bekommen, war in den 1960er Jahren nicht einfach. Die Politik der SED gestattete normalerweise nur noch halbstaatliche Produktionsgenossenschaften, die am Ende meist in den Besitz des Staates übergingen. „Aber es gab keine Fotogeschäfte mehr in der Gegend und der Rat des Stadtbezirks wollte dieses erhalten. Weil ich den Fotografenmeister hatte, klappte dann alles sehr schnell.“ Im November 1967 übernahm Frau Stefanow den Laden. Lachend erzählt sie: „Zur Übergabe bekam ich so viele Blumen, dass die Leute dachten, dies sei nun ein Blumenladen geworden.“

Selten pünktlich Feierabend

Achtzehn Uhr schloss das Geschäft, doch bis mindestens zwanzig Uhr dauerte die Arbeit im Labor: „Wir haben alles selbst gemacht: Entwicklung von Kundenfilmen, eigene Porträtfilme, Rollfilme, Halbformat, alles in Schwarzweiß. Wir hatten auch viele Arbeiten von einem Tag zum anderen und zu Einschulungen standen die Leute bei uns Schlange. Die Wartezeit für Bildentwicklungen dauerte mindestens eine Woche.“ In Spitzenzeiten hatte Frau Stefanow fünf Angestellte, die aber nur stundenweise arbeiteten. Es gab inzwischen auch Maschinen, die Amateurfotos im Format 7×10 schwarzweiß entwickelten. So ein Gerät kostete dreitausend Mark, wofür Frau Stefanow einen Kredit aufnehmen musste. Sehr viel schwerer war jedoch, überhaupt so ein Gerät zu bekommen. Das klappte eigentlich nur mit Vitamin B, also mit Beziehungen. „Damit man fließend arbeiten konnte, brauchte man aber zwei von allem“, kommentiert die ehemalige Besitzerin des Fotoateliers.
Kein Wunder, dass für Hobbys oder Familie kaum Zeit bleibt. Silke Rudolph, die heutige Studioinhaberin, erläutert: „Wir Fotografen arbeiten mit Leib und Seele. Immer ist man unterwegs. Wir begleiten das Leben unserer Kunden.“ Frau Stefanow stimmt zu. „Es war oft anstrengend, aber ich möchte mich nicht beschweren und habe nie etwas vermisst.“

Die Samariterstraße Anfang der 90er
Die Samariterstraße 33, Anfang 1990. / © Fotos mit Herz /

Umorientierung in der Marktwirtschaft

Ende der 1980er Jahre wollte Frau Stefanow ihr Angebot um Farbbilder erweitern und besuchte dafür auch Lehrgänge. Das Labor brauchte mehr Platz. „Als ich schließlich eine Genehmigung zum Anmieten von Parterreräumen in der Rigaer Straße erhielt, kam die Wende und alles wurde anders.“ Die Änderungen nach 1990 waren enorm. Die Buchhaltung  musste in Umschulungen neu gelernt werden. Zu DDR-Zeiten durften Fotografen nur ihr Handwerk ausüben, jetzt war auch gestattet, Handel zu treiben. In den ersten Jahren verkauften sich einfache Kameras im Wert von etwa fünfzig Mark sehr gut. „Aber letztlich geht nur eins“, resümiert Frau Stefanow: „Entweder Handel oder Handwerk. Man kann es sich nicht leisten, einem Kunden ausführlich ein Produkt zu erklären, der es am Ende nicht kauft und die Arbeit in Studio und Labor bleibt derweil liegen.“
Schwierig wurde es, als Frau Stefanow 1994 einen Unfall hatte und sich einen komplizierten Bruch zuzog. Hilfe kam von einem Fotografen, der längst in Rente gegangen war. Irgendwann war er einmal im Atelier mit dem Angebot aufgetaucht, bei Bedarf auch mal auszuhelfen. „Glücklicherweise notierte ich seine Nummer. Eher aus Höflichkeit. Nie hätte ich geglaubt, dass ich einmal Hilfe benötigen würde. Fast ein ganzes Jahr hat mir dieser Mann unter die Arme gegriffen.“ Er hat das Geschäft gerettet in dieser schwierigen Zeit.
Anneliese Stefanow blättert in ihren Unterlagen: Ihr Meisterbrief, Auszeichnungen von der Handwerkskammer und vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, wie sich die gewerkschaftsähnliche Organisation in der DDR nannte. Ich erkundige mich nach den Auszeichnungen. „Für das Sammeln der alten Chemie, aus der Silber zurückgewonnen wurde oder für guten Umsatz und zufriedene Kunden“, erklärt Frau Stefanow. Sie holt eine alte Preistabelle hervor und übergibt sie ihrer neugierig blickenden Nachfolgerin. Drei Passbilder in Schwarzweiß kosteten in der DDR eine Mark fünfzig. Heute kosten vier Stück in Farbe zehn Euro. „Und da sind wir noch preiswert!“, betont Silke Rudolph.
Auch die heutige Inhaberin des Fotoateliers hatte schon als Kind gern fotografiert. „Das war bei mir genauso wie bei Anneliese. Ich durfte die Spiegelreflexkamera Praktica L meines Vaters benutzen. Mit der habe ich schon früh gelernt, wie man gute Fotos macht.“

Kein Abi – aber Traumberuf

„Von unserer Klasse wurden nur fünf Schüler zur Erweiterten Oberschule mit Abitur zugelassen. Drei davon machten eine Berufsausbildung mit Abitur. Ich gehörte nicht zu ihnen, trotz Einser-Zeugnis.“ An die Möglichkeit, sich über den Beschwerdeweg eine höhere Berufslaufbahn zu ertrotzen, glaubte sie nicht. „Ich rief mir in Erinnerung, dass ich auch mal Fotografin werden wollte und mein Vater klapperte für mich dann sämtliche Fotoläden der Stadt nach Ausbildungsstellen ab.“ Fündig wurde er bei Foto-Kettenbach, die in der Wilhelm-
Pieck-Straße (heute Torstraße) und in Wilhelmsruh Läden besaßen. Was die Firma jedoch nicht hatte, war eine Planstelle für einen Lehrling. Frau Kettenbach hatte bereits 24 Fotografen ausgebildet und weil sie dachte, dass es genug waren, keine Planstelle mehr beantragt. Doch Silke Rudolph überzeugte die Meisterin mit ihrer Mappe, die sie im Fotozirkel extra für die Bewerbung anfertigen durfte. „So etwas ist heute üblich. Damals war es etwas Besonderes.“ Und das Problem mit der Planstelle? „Irgendwo fand sich die Stelle eines anderen Lehrlings, der aufgehört hatte“, erklärt Frau Rudolph. Mit Überredung, Augenzudrücken und Vitamin B konnte diese Stelle für das Foto-Atelier Kettenbach umgeschrieben werden. „Das war noch nicht mal eine Fotografenstelle, sondern ein Bäcker- oder Fleischerausbildungsplatz“, ergänzt sie amüsiert. Mit ihr nahm Frau Kettenbach ihren fünfundzwanzigsten und, wie sie erklärte, letzten Lehrling auf. „Jahre später traf ich einen Kollegen, der der Dreißigste war“, bemerkt Silke Rudolph und fügt an: „Der war dann aber wirklich der Letzte, den sie dann noch ausgebildet hatte.“
Ihre erste Stelle hatte sie in Gransee: „Die erste eigene Wohnung, fern von den Eltern!“, erklärt sie. „Frei, selbstständig, ein wichtiger Schritt in meiner Persönlichkeitsentwicklung. Aber als die Mauer fiel, war ich wieder zurück in Berlin!“
Sie schloss ihr Abitur auf der Abendschule mit dem Ziel ab, in Leipzig Fotografik zu studieren. „Zur Bewerbung hatte ich eine Mappe mit Bildern ganz verschiedener Motive zusammengestellt, doch wollte der Professor eher Serien sehen, also wie ich mit einem Thema umgehe. Als der mich noch einmal für ein Jahr auf die Weide schicken wollte, stand mein Entschluss fest: Ich mache meinen Fotografenmeister und mich selbständig! Ich wollte einfach, dass es weiter geht!“

Foto von Silke Rudolph, 1997
Silke Rudolph 1997 bei Übernahme des Ladens. / © Fotos mit Herz /

Das eigene Geschäft

Im Februar 1997 übernahm Silke Rudolph von Anneliese Stefanow das Fotostudio. „Irgendwie ging das Gerücht um, dass ich meinen Laden aufgeben wollte“, berichtet Frau Stefanow. Wahrscheinlich haben die in der Handwerkskammer gesehen, dass ich auf die Rente zuging. Da kamen auf einmal Leute an und wollten mein Fotostudio haben.“
Frau Stefanow und Frau Rudolph beginnen, in Erinnerungen zu schwelgen. Ein Glücksfall für mich, denn ich brauche keine Fragen zu stellen und muss mich nur darauf konzentrieren alles schnell mitzuschreiben.
Silke Rudolph erzählt: „Als du mir das Atelier übergeben hast, sagtest du: ,Jetzt war ich dreißig Jahre in diesem Geschäft!‘ Damals dachte ich: ‚Dreißig Jahre! Oh Gott, was für eine lange Zeit!‘ Und jetzt bin ich selbst schon fast zwanzig Jahre hier! Die ersten Babys, die ich damals fotografierte, sind mittlerweile erwachsen.“ Frau Stefanow erwidert lachend: „Oft werde ich auf der Straße gegrüßt. Wenn ich diese Leute nicht gleich erkenne, heißt es: ‚Sie haben doch unsere Kinder fotografiert!‘ Aber ich kann mich einfach nicht mehr an alle Kunden erinnern.“ – „ Ja“, wirft die jetzige Inhaberin ein, „Wir haben ganz liebe Kunden! Das hat mir schon von Anfang an gefallen.“
Als frischgebackene Meisterin sah sie sich mehrere Foto-Geschäfte in der Stadt an, die zum Verkauf standen. „In einem Laden im Wedding herrschte so ein unmöglicher Ton, dass ich gleich wusste: hier wird es nichts. Doch in diesem Geschäft hier habe ich zwei Stunden gesessen und mich sofort wohl gefühlt. Das ist wichtig! Man verbringt immerhin das halbe Leben auf der Arbeit.“
„Und was man nicht alles für seine Kunden gemacht hat“, erinnert sich Frau Stefanow. „Da hatte jemand mal seine Schultasche im Atelier liegen lassen. Also habe ich nach der Adresse der Besitzer gesucht, bin nach Feierabend zu denen hin und habe sie ihnen dann gebracht. Telefone gab es ja noch nicht überall. Und dann stellte sich raus,“ fügt sie lachend hinzu, „dass die ihre Schultasche noch nicht einmal vermisst hatten!“

Nicht einfach – aber …

Fast jeder fotografiert heute digital. Ist es nicht schwierig, sich da zu behaupten? „Wir waren damals im Jahr 2000 eines der ersten Fotostudios, die von der analogen zur professionellen Digitalfotografie umgestellt haben. Das war neben der immensen Investition auch ein großer und bedeutender Vorwärtsschritt für mein Fotostudio. Die Tatsache, dass man die Bilder sofort am Bildschirm sehen und aussuchen konnte, vor allem aber, dass man nun kleine Unzulänglichkeiten wie Pickelchen wegretuschieren konnte, kam bei meinen Kunden richtig gut an.
Aber wir entwickeln immer noch selbst unsere und die Kundenfotos in allen Formaten bis 21x30cm. Das ist nicht selbstverständlich“, ergänzt Silke Rudolph. Dies, die fachlich fundierte und freundliche Beratung, sowie die Bindung zu vielen Kunden verleihen dem Geschäft ein sicheres Fundament. Möge es auch in den nächsten 90 Jahren weiterbestehen!

Porträtaufnahmen aus den 1950er/1960er Jahren / © Fotos mit Herz /
Porträtaufnahmen aus den 1950er/1960er Jahren aus dem Fotostudio. Wer kennt jemanden? / © Fotos mit Herz /

www.fotoherz.de

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