Boxen in Friedrichshain.
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„Während die Menge johlt, stehst du blutend im Ring. Taumelst, siehst nur noch verschwommen, bekommst kaum Luft. Es ist heiß und stickig“, schilderte Paul Mond am 6. Juni 1913 seinen illegalen Boxkampf gegen Briten George Dixon im Hintergebäude der „Mozart-Lichtspiele“ in Lichtenrade. Unter der Hand wurden für solche Kämpfe teure Karten im „Reichshallen Restaurant“ am Dönnhoffplatz verkauft. Diese Events waren für die meisten Friedrichshainer unerschwinglich. Sie verfolgten im preiswerten Kino, wie 1910 Jim Jeffries in Reno/Nevada seinen Weltmeistertitel gegen den Afroamerikaner Jack Johnson verlor. Dessen Sieg löste einen Boxboom in Berlin aus, der alle gesellschaftlichen Grenzen übersprang. Der erste Berliner Boxprofiveranstalter war Eduard Matschke und zugleich der Boxtrainer des kaiserlichen Prinzen. Dennoch verbot der Berliner Polizeipräsident am 13. November 1913 „öffentliche Boxkämpfe aus ordnungs- und gesundheitspolitischem Interesse“.
Neustart
1919 wird in Berlin öffentliches Preisboxen legalisiert. Innerhalb der Varieté-Programme des Zirkus Busch werden Boxveranstaltungen Publikumsmagnete. Im Angesicht von tausenden Kriegsversehrten und traumatisierten Männern wird das Boxen ein Abbild des Lebenskampfes in einer aus den Fugen geratenen Welt. Otto Bigesse, war einer von acht Berliner Boxveranstaltern. Sein „Vergnügungsplatz“ lag im April 1922 an der Holtei-/Ecke Boxhagener Straße. Neben von Menschenkraft bewegten Karussells und dem Zelt eines Liliputaner-Theaters, stand in einem gelben Zelt der Boxring. Höchstens eine Mark kostete der Eintritt, allgemeinen aber 20-30 Pfennige. Auf lehnenlosen Bänken, eng aneinander gedrückt, saßen die Zuschauer: Männer in Arbeiterkluft. Stumm, mit der Zigarette im Mund, verfolgten sie die Kämpfe.
Ein echter, wahrer Männersport
Vor dem Hintergrund der Gleichberechtigung von Frauen wurde Boxen zum Symbol „ursprünglicher“ Männlichkeit. Ein Zuschauer sagte: „Es ist die Freude am echten, wahren Männersport. Diese Regung, dieses Gefühl beim Boxkampf, ist Männern mit Weiberherzen fremd. Denen drückt das Angstgefühl die Kehle zu.“ Zwischen den Kämpfen standen die Helden der Zelte in Bademänteln vor dem Zelt, breitbeinig, mit gesenktem Kopf. Ein Ausrufer pries ihre Wendigkeit und Körperkräfte. 1924 übernahm Martha Schulz das Gelände an der Holteistraße. Hier wollte ihr Ehegatte am 16. Juli 1924 die „Original Zirkus Arena Olympia“ eröffnen, aber die Bauaufsicht kam dazwischen. Lampen waren ohne Zugentlastung angebracht, Stromleitungen hingen lose an Holzmasten, es gab keine Notbeleuchtung. Ein paar Tage später war alles in Ordnung gebracht worden. Die Notbeleuchtung, zwei mit Drahtschutz verkleidete Stalllaternen, hingen an einer mit Asbest gesicherten Holztafel. Der Boxring hatte vier mal vier Quadratmeter Grundfläche. Garderoben waren vorhanden, fachmännische Schiedsrichter anwesend, vor allem aber: es durften „nur Leistungen von sportlichem Charakter gezeigt werden“ und es waren keine „Personen aus dem Zuschauerkreis zur Teilnahme zugelassen.“
1926 wurde aus der „Arena Olympia“, das „Sporttheater für Ring- und Faustkämpfe“ mit 120 Sitzplätzen und zwei Lampen über dem Boxring. Eine ähnliche Schaubude ließ Albert Fuldner auf dem Gelände der ehemaligen Germania Brauerei an der Frankfurter Allee 313 zwischen Liebig- und Proskauer Straße im September 1924 aufbauen. Im gleichen Monat war im „Schweizer Garten“ Am Friedrichshain 29/32 eine weitere Arena für Boxkämpfe aufgebaut worden, die der Veranstalter Emil Rock im April 1926 zur „Sporthalle“ mit 80 Sitzplätzen und 100 Stehplätzen umbauen ließ. Auf den großen Bühnen wie dem Sportpalast oder den „Prachtsälen des Ostens“ an der Frankfurter Allee 313, standen die Großen der Branche. Diese Arenen, in denen die Logenplätze Monatsverdienste kosteten, waren ausverkauft, wenn ein Hans Breitensträter im Ring stand, der nur 20 von 100 Kämpfen verlor.
Kämpfen für den Frieden oder für das System?
Boxen war 1945 eine Erinnerung an Zeiten, in denen 16.000 Zuschauer erlebten, wie Hans Breitensträter den spanischen Schwergewichtsmeister Paolino Uzcudun ausknockte, oder war als Jahrmarktsbelustigung angesehen, und vor allem galt Boxen als ein Sport, der für die Rassenideologie der NS-Jahre missbraucht worden war. Der Halbschwergewichtler Alfons Radtke fasste den Mut zum Neuanfang. Er hatte seine Boxhandschuhe und einen Gong über den Krieg gerettet. Radtke begann im Mai 1945 in einer kleinen Turnhalle an der Voigtstraße mit dem Training von Nachwuchsboxern und baute auf einem Schießstand des Reichsbahnausbesserungswerks (RAW) in der Revaler Straße einen Boxring auf. Am 6. Juli 1945 war es soweit: das Sportamt stellte im ehemaligen „Eisstadion Friedrichshain“ am Volkspark Friedrichshain, einen Boxring auf. Für Jahre fanden hier Amateurboxkämpfe statt. Offiziell war Boxen verboten. Es fiel als „Wehrsport“ unter die Kontrollratsdirektive 23 zur „Entmilitarisierung des Sportwesens“. Indem er sich einer Betriebsportgemeinschaft anschloss, entging Radtke dem Verbot. Auch die „BSG Glühlampenwerk“ führte im September 1949 ihre ersten Kämpfe aus. Veranstaltungen der Berufsboxer waren als Vorstellungen der Artistenloge deklariert und damit nicht verboten. Allerdings passte 1950 der Berufsboxsport in der DDR nicht mehr zu den Einstellungen einer „demokratischen Sportbewegung“. Die Sportler sollten „für den Frieden kämpfen“. Ab Oktober 1949 wurden Amateure, die zum Berufsboxen wechselten, mit einer dreijährigen Betätigungssperre belegt, für das Rummelboxen wurde eine Stadtsperre ausgesprochen. Offiziell trennten sich die Boxvereinigungen der Hauptstadt im November 1949 von den Westberliner Boxvereinen. Dennoch, von vielen politischen Schwierigkeiten behindert, ließ die „BSG Lokomotive“ im RAW Revaler Straße den Kontakt zu „Tennis Borussia“ oder den „Neuköllnern Sportfreunden“ nicht abreißen und hielt am 14. September 1954 in der Sporthalle am Sachsendamm ein gemeinsames Boxturnier ab. Offiziell waren solche sportlichen Ost-West Box-Wettbewerbe längst zu einem „Kampf der Systeme“ verklärt worden.