„Ein guter Ruf gehört dazu.”

Christoph Fringeli, Gründer und Inhaber von „Praxis Records & Books“ | Foto: Giovanni Lo Curto
Noch einmal hinter dem Ladentisch … / Foto: Giovanni Lo Curto /

Christoph Fringeli, Gründer und Inhaber von „Praxis Records & Books“.

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Musik ist um uns herum. Oft nehmen wir sie gar nicht zur Kenntnis: Im Radio dudelt sie, in Supermärkten, in Telefonwarteschlangen, selbst das S-Bahn-Abfahrtsignal hat eine Melodie. Dabei sollte Musik, ebenso wie Essen und Trinken, stets mit Bedacht genossen werden. Und genauso wie bei der Nahrung gibt es Moden und Geschmäcker, gibt es Billigangebote von der Stange, Ausgefallenes für einen eher kleinen Kreis und Rares für Leute, die es sich leisten können. So gesehen ist der kleine Plattenladen „Praxis Records & Books“ in der Lenbachstraße 9 ein Spezialitäten-Geschäft, denn Ware für den Massengeschmack wird hier nicht angeboten. Das heißt: es wurde. „Gestern haben wir zugemacht und bis zum 15. Oktober müssen wir raus“, erklärt Christoph Fringeli. Christoph ist ein mittelgroßer, ruhiger Mensch mit kurzem Haar und trägt dunkle, eher praktische Kleidung als guten Zwirn. „Dass saniert werden musste, stand schon längere Zeit fest. Wir dachten, dass der Vermieter dies mit uns zusammen macht. Aber er hat wohl etwas anderes vor.“ Ob es einen neuen Laden geben wird, ist ungewiss. „Wenn wir keinen bekommen, dann verkaufen wir nur noch online.“ Einen Büro- und Lagerraum gibt es bereits.
Wir sitzen in der warmen Herbstluft und schauen über den grünen, von der Sonne beschienenen Annemirl-Bauer-Platz hinüber zum ausgebauten Bahnhof Ostkreuz. Das hier ist nun beste Stadtlage. Auch die Eigentümer dieses Hauses möchten wohl gern etwas von dem Geld abhaben, das Touristen an ihren Zielorten verschleudern. Authentizität ist dabei, wie die Erfahrung lehrt, nicht so wichtig.

Christoph Fringeli, Gründer und Inhaber von „Praxis Records & Books“ | Foto: Giovanni Lo Curto
… und vor dem Laden in der Lenbachstraße. / Foto Giovanni Lo Curto /

Kreatives Profil im Musik-Einerlei

Dabei machte gerade dies den kleinen Laden aus. „Der Großteil des Geschäfts läuft mit experimenteller, tanzbarer, elektronischer Musik auf Vinyl, also mit Schallplatten. Wir produzieren auch und lassen Platten pressen, verkaufen aber auch Bücher“, so der Ladeninhaber. „Wir würden uns eher als einen Ort in einem Netzwerk von Labels, Produzenten und Musikfreunden beschreiben.“ Gemeint ist damit, dass man einen offenen und kreativen Umgang miteinander pflegt, im Gegensatz zu den kommerziell ausgerichteten Marken der Musikindustrie. Diese entscheiden, was produziert wird, nämlich das, was verkauft werden kann. Was nicht dazu gehört, hat keine Chance, im größeren Rahmen veröffentlicht zu werden. Eine Folge davon ist das gegenwärtige Klangeinerlei in den Radios. Auch der Boom der Techno-Musik und die Independent-Szene, die ihre Musik unabhängig von den großen Produzenten herausbringt, hatten eine stark kommerzielle Entwicklung genommen, die sich auf Kreativität und Qualität negativ auswirkten. Alternativen dazu sind Internetseiten, auf die Künstler ihre Musik frei zugänglich einstellen. Dazu gehört auch die Vorstellung, dass Arrangements als Zwischenergebnis für die weitere Verarbeitung durch Künstler zur Verfügung stehen. „So zum Beispiel unterlegen DJ’s bei ihren Auftritten elektronische Musik mit anderen Sounds oder mit Texten und machen etwas Neues draus.“
Wie produziert man elektronische Musik, ohne dass sie einem Publikum vorgestellt wurde? „Als Labelmacher sollte man wissen, wen man produziert“, erklärt Christoph. „Ein guter Ruf gehört schon dazu. Die Leute erwarten Qualität. Einige der Künstler kenne ich schon lange. Wir reden über die Produktion, aber es ist besser, wenn man sie machen lässt.“

Praxis, Sounds & Records |Foto: Giovanni Lo Curto
Rubriken und Themen bei Praxis, Sounds & Records. Gibt’s nicht in Kaufhäusern. / Foto: Giovanni Lo Curto /
Christoph Fringeli, Gründer und Inhaber von „Praxis Records & Books“ | Foto: Giovanni Lo Curto
Musik, deren überraschende Arrangements Vergnügen bereiten können,
wie das Betrachten einer clever ausgetüftelten Mechanik. Ungewöhnliche
Materialien und kreatives Design sind hier üblich. / Foto: Giovanni Lo Curto /

 

Ein Vinyl-Boom ist nicht ausgemacht

Hat im Zeitalter der Digitalisierung die Schallplatte noch eine Zukunft? „Das ist nicht sicher“, erwidert Christoph. „Es ist ein Risikogeschäft. Rein statistisch gesehen, gehen die Plattenverkäufe seit Jahren wieder nach oben. Doch sind das vor allem wiederaufgelegte Erfolgs-alben von großen Bands, die nachaufgelegt und in großen Kaufhäusern angeboten werden.“ Zurzeit sind im Bereich der Unabhängigen die Verkäufe von Schallplatten konstant. Aber es werden immer mehr nur kleine Auflagen von 100 Stück angeboten, wo es früher 300 bis 500 waren. Normal waren früher 1000 Stück pro Auflage. „Manchmal braucht es Monate, bis eine Auflage verkauft ist, aber vor kurzem war eine Platte schon fast vergriffen, bevor sie auf den Markt kam. Das gibt es auch.“ Wie die Situation in fünf Jahren aussieht, kann man nicht voraussehen. Auch deshalb bezieht Christoph zusätzlich Bücher in sein Geschäft ein.
„Zwei Drittel der Geschäfte sind Internetverkäufe“, erklärt er. „Einzelhandel an sich würde nicht funktionieren. Aber ich brauche einen Raum zum Lagern und als Büro.“ Der angenehme Nebeneffekt eines Ladens ist, dass man seine Kunden sieht und mit ihnen reden kann. Über die Jahre ist der Laden in der Lenbachstraße, den Christoph mit Jan Herold von Yaya23 Records teilt, zu einer international bekannten Adresse geworden, die bei Kennern, die nach Berlin kommen, auf der Besuchsliste steht. Aber es kommen auch Leute aus der Nachbarschaft, manche auch nur zum Reden und Kaffee trinken. Manche fragen, ob es was Neues gibt und hören sich es an. Einige davon brauchen mehrere Anläufe, um sich zu entscheiden, kommen wieder und wieder. Noch andere wissen schon vorher, was sie kaufen wollen, aber sehen sich alle Platten und CDs durch, die sie im Laden finden.

„Praxis Records & Books“ | Foto: Giovanni Lo Curto
Wie die Musik, so die Bücher: nicht Kassenschlager stehen in den Regalen, sondern Gesellschaftskritisches. / Foto: Giovanni Lo Curto /

Unstetes Berufsleben

Es ist nicht das erste Mal, dass Christoph Fringeli seine Zelte abbricht. „Ich bin in Hamburg geboren aber in Basel aufgewachsen.“ Seine musikalischen Wurzeln Mitte und Ende der 1980er Jahre beschreibt er mit dem Begriff Postpunknoisejazz. Allmählich fühlte er sich von der elektronischen Tanzmusik inspiriert und ging 1991 nach London. „Ich wollte aus Basel in eine große Stadt. Zweimal im Jahr fuhr ich ohnehin nach London, um mich mit Musik zu versorgen. Dort kannte ich ein paar Leute.“ Die Möglichkeiten, dort mit wenig Geld etwas zu unternehmen, waren damals noch gegeben. „Besetzer-Kooperationen wurden geduldet – als Zwischenlösung, bis es zur Gentrifizierung kam.“ Davon ist nichts mehr da. 1992 gründete er sein Label „Praxis“. Er organisierte mit anderen in einem besetzten Sozialzentrum in Brixton-London Veranstaltungen mit Musik, die von manchen als hedonistisch und zu wenig ernsthaft kritisiert wurden. „Der ewige Streit!“ kommentiert Christoph schmunzelnd. Im Jahr 2000 zog er nach Berlin, dann noch einmal wegen eines Arbeitsangebots in die Schweiz, bis es ihn 2006 wieder nach Berlin verschlug. „Hier ist noch manches im nichtkommerziellen Bereich möglich, was in Paris oder London wegen der Mieten längst nicht mehr geht.“ Ein bitteres oder hoffnungsvolles Resümee?
Als wir die Stühle in den Laden tragen, berichtet Jan von einem entgegengenommenen Anruf eines Hausverwalters. Sie sollen einen anderen, etwas größeren Laden bekommen, schon im November: Friedrichshain, Boxhagener Straße am Wismarplatz. Doch ein paar Tage später folgt die Absage. Die Suche geht weiter. Zeitzeiger drückt die Daumen.

 

www.praxis-records.net

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