Produktion auf Befehl
Das DDR-Recht auf Arbeit bedeutete Arbeitspflicht und galt auch für Strafgefangene. 1952 schloss der VEB Fortschritt einen Vertrag mit der Frauenstrafanstalt Barnimstraße. 1953 wurden hier Arbeitskittel, Jacken, Hosen und Schürzen im Wert von 20.066,32 Mark angefertigt, was etwa einem Fünftel der von Berliner Gefängnisarbeitern erbrachten Betriebsgewinne entsprach.
Um die Planauflagen des VEB erfüllen zu können, lieferte dieser eine Zuschneidemaschine, Motoren zur Elektrifizierung von 24 Nähmaschinen und Antriebsriemen in die Haftanstalt. Im 2. Quartal 1955 leitete die Werksleitung einen Leistungswettbewerb zwischen den in der Haft eingerichteten Bändern ein. Dabei wurde die Arbeitsleistung jeder einzelnen Strafgefangenen erfasst und die durchschnittliche Normerfüllung auf 148% erhöht. „Gute erzieherische Maßnahmen“, im Sinne einer „entwickelten sozialistischen Persönlichkeit“, sollten über „persönliche Konten“ zur Materialeinsparung erzielt werden. „Normuntererfüllung“ oder Arbeitsverweigerung hatte Nahrungsentzug oder Isolationshaft zur Folge. Eine zweite Schicht diente der Steigerung der Arbeitsproduktivität genauso wie eine „Bedingte Strafaussetzung“ nach § 346, die bei gutem Verhalten eine vorzeitige Entlassung zuließ. Dieser Paragraf kam bei „Tätern“ zur Anwendung, die aufgrund „kleinbürgerlicher Anschauungen strafbar wurden“. Dazu gehörten „Grenzgängerinnen“, die vor dem Mauerbau wegen „ungesetzlicher Einfuhr von Gütern“ an der Grenze festgesetzt worden waren.
Nach dem Mauerbau kamen über den § 249 („asoziale Lebensweise“) viele Arbeitskräfte an die Bänder des VEB Fortschritt in der Haftanstalt Barnimstraße. Junge Frauen wurden zur „Arbeitserziehung“ ins Gefängnis eingewiesen, weil sie ein selbstbestimmtes Leben in Bezug auf Kleidung, Beziehungen oder Lebensansichten führen wollten und gegen die wertkonservativen Moralvorstellungen der SED Diktatur verstießen. Weil der § 249 neben der Haftstrafe auch Aufenthaltsbeschränkungen, Kontrollen und „Erziehungsaufsichten“ mit einschloss, wurden zahlreiche Frauen im Zuge von Amnestien in den 1970er und 1980er Jahren direkt vom Knastbetrieb in den zivilen Betrieb „vermittelt“.