Das Schlößchen vor dem Frankfurter Tor | Quelle: Landesarchiv Berlin, A_Rep_010-02_Nr_2402.

Eine Laube mit adligem Namen

Das Schlößchen vor dem Frankfurter Tor | Quelle: Landesarchiv Berlin, A_Rep_010-02_Nr_2402.
Abbildung des Schlößchens. Der Antrag wurde in einem mangelhaften deutsch verfasst: „Zeichnung zu einer Laube so erbaut soll werden auserhalb des Frankfurtertor, daß Schlöschen genant für das Restarateur H. Brenicke, er bittet, einen Königliche Polizei Intendatur um ein Erlaubt-schein zuertheilen. Berlin, den 5ten April 1820.“ / Quelle: Landesarchiv Berlin, A_Rep_010-02_Nr_2402. /

Das Schlößchen vor dem Frankfurter Tor.

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Wenn in einem „Handbuch für Reisende durch ganz Deutschland und die angrenzenden Länder bis Paris, Petersburg, Stockholm, Belgrad, Mailand und Venedig“ ein Berliner Lokal genannt wird, sollte man annehmen, dass es welt-, oder wenigstens euopaberühmt ist, zumal in einer Zeit, in der Reiseführer noch allerhöchst selten publiziert wurden. Aus dem Jahr 1844 stammt eben jenes Bändchen mit dem Titel: „Der neueste Passagier und Tourist. Handbuch für Reisende …“ und so weiter und so fort. Als einzige Vergnügungsorte vor dem Frankfurter Tor werden darin die Neue Welt genannt und das Schlößchen.

Baudatum unbekannt

Jeder Berliner kennt die Neue Welt in der Hasenheide. Man musste nicht bis nach Amerika auswandern, um zur Neuen Welt zu gelangen, ein paar Schritte vor die Tore der Stadt reichten. Auch in der Stralauer Vorstadt gab es ein Ausflugslokal dieses Namens, dessen Gelände westlich gegenüber dem Kino Kosmos lag. Ihr schräg gegenüber, auf der Südseite der damaligen Frankfurter Chaussee, lag das Schlößchen. Seinen Namen verdankt es – so die einschlägige Literatur – der Tatsache, dass König Friedrich Wilhelm I. auf seinem Weg zum Schloss Friedrichsfelde, wenn er unterwegs zu seinem Onkel, dem Markgrafen Albrecht Friedrich von Schwedt war, hier gern eine Pause einlegte und sein Frühstück einnahm. 1717 hatte Friedrich Wilhelm seinem Onkel das Schloss Friedrichsfelde geschenkt, 1731 starb dieser, irgendwann dazwischen muss das Schlößchen gebaut worden sein. Erstmalig auf einer Karte verzeichnet ist es 1772. Noch einmal später wurde die erste Bauakte zu diesem Grundstück angelegt, nämlich am 5. April 1820. Damals beantragte der Restaurateur Bennecke bei der Königlichen Polizei-Intendantur die Errichtung einer Laube, genannt „Das Schlößchen“, auf seinem Gundstück auf der rechten Seite vor dem Frankfurter Tor. In der illustrierten Wochenschrift „Der Bär“ von 1883 wurde die Gegend vor dem Frankfurter Tor um 1835 wie folgt beschrieben: „An der Frankfurte Chaussee (heute Allee) stand links ein Chausseehaus, rechts das sogenannte Schlößchen, sonst nichts, so weit der Plan nach Osten reicht.“

Lage des Schlößchens im Jahr 1839 | Quelle: Landesarchiv Berlin, A_Rep_010-02_Nr_2402.
Lage des Schlößchens im Jahr 1839. Der Kreis oben rechts ist die Anlage des Baltenplatzes, heute Bersarinplatz. / Quelle: Landesarchiv Berlin, A_Rep_010-02_Nr_2402. /

Schöne Jejend

Draußen vor dem Frankfurter Tore – das war seinerzeit nicht Nah-, sondern Sehr-Nah-Erholungsgebiet für die Berliner, innerhalb weniger Minuten von der Stadt aus zu erreichen. Das Terrain befand sich etwa 500 Meter östlich der heutigen Kreuzung Friedenstraße / Karl-Marx-Allee. Über Jahrhunderte war das von feuchten Wiesen geprägte Gelände urbar gemacht und für Gärtenereien erschlossen worden. Peter Friedrich Bouché, Enkelsproß einer seit 1704 hier ansässigen Gärtnerfamilie, baute in dieser Gegend ein Gartenreich auf, das alles Bekannte in den Schatten stellte: Sein Geschäft führte hundete Arten von Nutz- und Zierpflanzen, darunter 154 Sorten Blumen – vor allem Hyazinthen. In großen, im Winter beheizbaren Gewächshäusern wuchsen Granatäpfel, Ananas und Feigen. Gummibäume – sie gelten spätestens seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Inbegriff für Büro-Ödnis – wurden hier erstmalig in Deutschland angeboten. Die Gegend mauserte sich, die Namen wurden edler. Auf Bitten der Anwohner wurde der ordinär klingende Name Bullen-Gasse in Fruchtstaße aufgehübscht (heute Straße der Pariser Kommune). Und die Lehmgasse wurde zum Grünen Weg, heute Singerstraße. Die Anlage eines Restaurants in dieser herrlichen Gegend versprach sichere Einnahmen.

Zeichnung des dritten Schlößchens, 1967. Quelle: Landesarchiv Berlin, A_Rep_010-02_Nr_2402.
Zeichnung des dritten Schlößchens, 1967. / Quelle: Landesarchiv Berlin, A_Rep_010-02_Nr_2402. /

Seuchen-, Feuergefahren und neue Bauten

Das Geschäft entwickelte sich. Anläßlich der schweren Cholera-Epidemie 1851 wurde das Schlößchen umgewidmet. Anders, als in der Literatur behauptet, wurde es nicht Lazarett, sondern Kontumaz-Anstalt, Quarantäne-Station. Am Frankfurter Tor unterwarf man die Reisenden einer strengen Kontrolle. Alle, die durch einen Landstrich gekommen waren, in dem die Cholera herrschte, mussten für vierzehn Tage zwangsweise im Schlößchen in Quarantäne verweilen. Ein Jahr später verzeichnet die Bauakte einen Antrag auf Anbau eines Schuppens. Weitere Gebäude waren inzwischen dazugekommen, offenbar ohne Baugenehmigung. Zehn Jahre später folgten weitere Bauanträge. 1865 schien das Schlößchen verlassen zu sein, denn ein Streichholzfabrikant beantragte die Genehmigung einer Streichholzproduktion in den gemauerten Kellerräumen. Die Polizeibehörde hatte zuvor die Produktion von Streichhölzern in der Palisadenstraße Nr. 47 aus Sicherheitsgründen verboten. Der Antragsteller verwies darauf, dass er aus gesundheitlichen Gründen keine andere Möglichkeit des Berufserwerbs habe. Doch zeigte sich die Behörde nicht zugänglich, gerade unter Hinweis auf die Gesundheit des Antragstellers. Der Mann ließ sich jedoch nicht so leicht entmutigen, denn der Briefwechsel mit den Behörden dauerte noch einige Monate an. 1866 standen größere Umbaumaßnahmen an. Der neue Eigentümer des Grundstücks, Herr Limprechts, beantragt am 14. September den Abbruch der Laube und den Neubau eines neuen Wohnhauses. Auf dem Gelände waren inzwischen eine Bühne, eine Kegelbahn und auch eigene Gewächshäuser hinzugekommen. Diese Einrichtungen waren ganz auf der Höhe der Zeit und der Umgebung angepasst. Bouchés Gewächshäuser nebenan, die bereits 1816 eröffnete hatten und das in den 1860er Jahren hoch beliebte Wallnertheater in der Nachbarschaft zogen die Vergnügung suchenden Berliner an. Dies alles versuchten die Betreiber des Schlößchens auch auf dem eignen Grundstück zu etablieren. 1867 wurde noch ein Vorbau an die östliche Seite des Schlößchens angefügt. Im Schlößchen residierten auch Dauermieter mit unterschiedlichen Berufen.

Das Ende

Die Stadt begann, in den 1860er bis 1870er Jahren um sich zu greifen und ihre Ordnung dem Umland aufzudrücken. 1881 wurde in der Stadtverordnetenversammlung über die Anlegung von Bürgersteigen in der Frankfurter Allee vor dem Grundstück gesprochen, „welches früher das Schlößchen hieß“. Der Stadtverordnete Gericke schimpfte: „… aber sehen Sie sich doch viele dieser Vorgärten an, wüste Plätze mit einem gewöhnlichen Zaun oder Stacket eingefriedigt, die verunzieren die Gegend viel mehr, als sie den Zweck erreichen, ihr ein anderes Aussehen zu geben“. Es gibt nur sehr wenige literarische Zeugnisse vom Schlößchen, obwohl es in beliebter und nicht unbekannter Ausflugs- und Amüsierort war. Fotografien und andere bildnerische Darstellungen sind bis auf Bauzeichnungen nicht bekannt. Das Gelände veschwand in den 1880er Jahren unter der Steinlawine, die sich von der Stadt Berlin aus in das Umland auswälzte.

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