Model, 1830 | Quelle: Wikimedia Commons

Guter Beginn, düsteres Ende

Model, 1830 | Quelle: Wikimedia Commons
Elegante Kleidung und ein gutes Einkommen waren 1830 unter den Bewohnern der Elisabethstraße nicht selten. Das lockte aber auch Neider und Diebe an. / Quelle: Wikimedia Commons /

Die Elisabethstraße.

Von

Fast ein Jahrzehnt stand Herr Noltze im Militärdienst und war für das Pferdefuttermagazin verantwortlich. Dann schied er als Unteroffizier aus und wurde ein „wohlbestallter Exekutor des Stadtgerichts“. Seine neue Aufgabe war, „Schulden einzutreiben und säumige Schuldner zu verhaften“. Diese Tätigkeit brachte ihm ein gutes Gehalt ein. Er wohnte seit 1820 in der Baumgasse 7, die 1830 zu Ehren der späteren Preußischen Königin Elisabeth Ludovika von Bayern in Elisabethstraße umbenannt wurde. Noltzes Haus trug 1830 die Nummern 5 bis 6. Er lebte im Parterre im Vorderhaus und seine Mutter im Hinterhaus. Beide erfreuten sich an der gutbürgerlichen Nachbarschaft. Das waren in der zur Metropole aufstrebenden Residenzstadt gefragte Handwerker: Weber, Seidenwirker, Kammmacher, Korbmacher, Kupferschmiede. Man konnte in die Speisewirtschaft Hensch einkehren oder seine Abende in der Bier- und Weinschenke Benzien verbringen. Herr Noltze zog es vor, zur Mittagszeit seine Mutter zu besuchen.

Tatort

Am 23. Juli rannte Herr Noltze aufgeregt zur Werkstatt des Schlossers König in der Nummer 20. Als Herr König die Tür zur Wohnung der 78-jährigen Frau Noltze aufbrach, bot sich den Männern ein grausiger Anblick. Leblos ragte der nackte Ellenbogen der Mutter unter einer dicken Bettdecke hervor, und das Zimmer war in völliger Unordnung. Polizeisergeant Dietmar aus der Nummer 17 kam dazu. Er erfuhr, das Noltze gegen 13 Uhr zur Mutter ging, aber die Tür verschlossen war. Als um 15:30 Uhr immer noch kein Laut zu hören war, wandte sich Noltze an den Schlosser mit der Bitte, die Tür zu öffnen. Sergeant Dietmar notierte: „Mit auf dem Rücken gefesselten Händen lag das Opfer unter der Bettwäsche vergraben, den Kopf auf das Fußende gerichtet. Ihr Himmelbett wurde der Mutter zum Verhängnis. Ihr Mund war mit dem Zipfel der Bettgardine vom Himmelbett und mit einem Taschentuch verstopft.“ Sergeant Dietmar und kurz darauf ein Arzt erkannten: Rettungsversuche waren sinnlos. Der Sergeant fragte Herrn Metzel und Herrn Schulze nach ihren Beobachtungen. Beide wohnten ebenfalls im Hause Nr.6. Sie leisteten als Heimarbeiter Zuarbeiten für die aufblühende Berliner Konfektionsbranche. Metzel war Weber und Schulze Raschmacher, ein Veredler für Wollstoffe. Beide sahen einen ihnen unbekannten Mann, der mittags eilig das Haus verließ. Weiterhin notierte Sergeant Dietmar: “Außer Schmuck und anderen Gegenständen fehlten Staatsschuldscheine, wertvoll wie Bargeld und in einer Höhe von zweitausend Reichstalern, ein Millionenbetrag auf die Gegenwart umgerechnet.“

Verdacht

Bei Noltze gingen wegen seiner Amtstätigkeit häufig unbekannte Personen ein und aus. Zwar genoss Noltze in der Straße ein gewisses Ansehen, hatte aber viele Feinde und Neider. Dennoch verliefen die Ermittlungen im Sande. Die Gier des Täters führte aber auf dessen Spur. Im kleinen wie fernen Altlandsberg fiel ein Paket derart auf, das es geöffnet wurde und zahlreiche Wertgegenstände zum Vorschein kamen. Der Fall Noltze war in Altlandsberg bekannt. Damit ging das Paket an das Berliner Polizeipräsidium. Hier bestätigte Herr Noltze: „Ja, das ist das Eigentum meiner Mutter!“ Die Ermittlungen ergaben, dass unter dem Vorwand, den Sohn sprechen zu wollen, ein gewisser Hobus in die Wohnung der Frau Noltze eindrang. Hobus verübte die Tat und begann in Altlandsberg die Beute an Kumpels zu veräußern. Am 5. Juli 1833 wurde der Arbeiter Hobus vor zahlreichen Zuschauern „mit dem Beile vom Leben zum Tode gebracht“. Seine Mitwisser hatten Zwangsarbeit unter Militäraufsicht zu verrichten.

Zeitenwende?

Im März 1848 war der Fall Noltze längst vergessen. An den Stadträndern Berlins entstanden die ersten großen Industriebetriebe. Schneller als je zuvor waren mit der Eisenbahn von Berlin aus andere Städte zu erreichen. Gesellschaftliche Entwicklungen blieben dabei auf der Strecke. Jene, die große materielle Werte schafften, hatten meist keinen politischen Einfluss. Karger Lohn prägte das Leben der einst stolzen Bewohner der Elisabethstraße. In den Märztagen 1848 entlud sich darüber die Unzufriedenheit. Militär rückte aus, um Aufständische in „ihre Schranken zu weisen“, aber sie errichteten wie an der Krautstraße Barrikaden. Deren Verteidiger waren Industriearbeiter, von denen etliche in der Elisabethstraße lebten. Die Barrikaden wurden brutal niedergerungen und ihre Verteidiger kamen ins Gefängnis.

Verzögerter Durchbruch

Obwohl sich in den 1880er-Jahren neben der Grimm- und Ladewigchen Privatschule das königsstädtische Gymnasium in der Elisabethstraße befand, stand sie als Sackgasse, die parallel zur Landsberger Straße lag, in deren städtebaulichen Schatten. Bereits 1876 sprach eine Kommission beim Bürgermeister und beim Polizeipräsidenten vor, diesen Zustand abzustellen. Beide versprachen Besserung; bis in die 1890er-Jahre hinein passierte jedoch nichts. Eine Durchführung zum Alexanderplatz wurde realisiert, aber die Elisabethstraße blieb eine schlecht gepflasterte und beleuchtete Straße in einer düsteren Gegend.

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