Jüdische Ärzte in Friedrichshain.
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„Du sitzt da wie eine Öljötze“ mag zu hören bekommen, wer im größten Chaos die schweigende Ruhe behält. Götter heißen im Jiddischen „Eiljon“, und weil sie schweigend Ruhe bewahren, wurden sie im Berlinischen zum „Ölgötzen“. Dies ist nur ein Beispiel, wie sich im Laufe der Geschichte die jüdische Kultur im Leben der Berliner verankerte.
Urkundlich beginnt die Geschichte der Berliner Juden mit einem Verbot. Seit dem 28. Oktober 1295 durften christliche Tuchmacher ihr Garn nicht mehr bei jüdischen Händlern einkaufen, weil es gegen die Zunftvorschriften verstieß. Das „Berliner Stadtbuch”, das Gesetzestexte ab 1272 enthält, behandelte auch die Rechte der Juden in Berlin. Sie konnten gegen Bezahlung Bürgerrecht erwerben, und standen unter dem Schutz der Landesherren. Trotzdem wurde ihnen immer wieder mit abergläubischen Vorurteilen das Leben schwer gemacht und es kam zu Übergriffen und Vertreibungen. Im Sommer 1510 standen 51 Berliner Juden wegen angeblicher Hostienschändung und eines rituellen Kindermordes vor Gericht. Singend und betend trieb man die Verurteilten durch die Stadt und verbrannte sie auf dem Hochgericht an der Frankfurter Straße in der Nähe des heutigen Strausberger Platzes. Nur einer wurde begnadigt. Er hieß Moses oder Petrus, war Augenheilkundler und arbeitete später im Grauen Franziskaner Kloster. 1539 widerlegte der Reformator Melanchthon auf dem Frankfurter Fürstentag die Rechtmäßigkeit dieses Urteils und wies die Unschuld der Juden nach.
Aktiv im Zentrum
Um 1925 lebten über 8.000 Juden in Friedrichshain, das waren fünf Prozent aller Berliner Juden. Viele jüdische Familien lebten rund um den Schlesischen Bahnhof. Katinka Lewinson wohnte in der Andreasstraße 63 und praktizierte hier als Gynäkologin, neben der Praxis ihrer Freundin Ida Kunert, einer evangelischen Hebamme. Junge Frauen, die am Schlesischen Bahnhof ihre Körper verkauften, zählten zu den Patientinnen der Frau Lewinson. Doktor Lewinson versuchte zu helfen, wo es möglich war. Vor allem aber hörte sie zu, sie war eine Vertraute. Sie verlieh Geld, und immer bekam sie es wieder. Sie konnte freundlich sein, aber auch äußerst abweisend, wenn sie jemanden nicht mochte. Infolge des ersten Judenboykotts vom 1. April 1933 blieben ihr allmählich die Patientinnen fern, und im Oktober 1934 schloss sie die Praxis. Den Krieg überlebte sie in Brüssel und sprach nur noch deutsch, wenn sie sich über ihren Hund ärgerte.
Nackte Zahlen
Während der Pogromnacht des 9. November 1938 wurden die ersten Friedrichshainer Juden verhaftet und in das KZ Sachsenhausen verbracht. Viele der durch Deportation freigewordenen Wohnungen lagen in der Barnimstraße, der Friedenstraße oder der Palisadenstraße. Die Große Frankfurter Straße war der Sitz von über 110 jüdischen Firmen, von denen es um die 550 im Bezirk gab. Über 10 Prozent der wohlhabenden jüdischen Bürger lebten im Umfeld der Großen Frankfurter Straße.
Infolge der ersten Massendeportation vom 18. Oktober 1940 kamen 114 jüdische Friedrichshainer ins KZ nach Lodz. Danach über 2.049 in die Lager von Kowno, Minsk oder nach Riga, wie der drei Monate alte Uri Rubenzik aus der Neuen Königstraße 76 (Otto Braun Straße) am 14. Dezember 1942. Seine Mutter Edith starb im Juni 1943 in Auschwitz, der Vater Alfred gilt mit seinem Sohn als verschollen. Am 27. und 28. Februar 1943 wurden die letzten Berliner Juden im Rahmen der „Fabrikaktion“ verhaftet und deportiert, und über 590 Friedrichshainerinnen und Friedrichshainer wurden zwischen dem 1. und 12. März 1943 in den Gaskammern von Auschwitz ermordet. Mit dem Deportationsbefehl in der Hand schieden die Eheleute Rosalie und Georg Kupfer (78 und 76 Jahre alt) aus der Langen Straße 6 am 30. Januar 1942 „freiwillig“ aus dem Leben, wie auch am 22. Januar 1942 Meta und Abraham Wolff (63 und 60 Jahre alt) aus der Warschauer Straße 5.
Im August 1945 zählte die jüdische Gemeinde 210 Überlebende aus Friedrichshain. Vor der NS-Zeit waren die Friedrichshainer Juden weltlich eingestellt und verfügten abgesehen von einzelnen Gebetsräumen weder über einen eigenen Rabbiner noch über eine Synagoge.
Forschen, um zu überleben
Dora Elias aus der Barnimstraße 31 war 91 Jahre alt, als sie am 17. März 1943 ins KZ Theresienstadt kam. Dort wurde sie eine der Patientinnen von Alfred Wolff-Eisner, selbst jüdischer Abstammung, der Chefarzt der Inneren Abteilung des größten Lagerkrankenhauses war.
Während des ersten Weltkrieges war er Chefarzt eines Seuchenlazarettes, danach bis 1931 Chefarzt am Friedrichshainer Krankenhaus und Professor für Innere Medizin an der Berliner Universität. Die Ergebnisse seiner Forschungen veröffentlichte er in Handbüchern zur Serum- und Chemotherapie, die grundlegend wurden. 1946 ging er völlig mittellos nach München, wo er 1946 Chefarzt der Inneren Abteilung des „Displaced Hospital“ wurde. 1947 wurde er als Professor für Innere Medizin an der Münchener Universität mit einem Lehrauftrag für klinische Serologie geehrt.
Er starb am 29. März 1948 in München. 1947 veröffentlichte er seine Erfahrungen als jüdischer Arzt im KZ: „In Theresienstadt wurde ziemlich viel ärztlich gearbeitet und es bestand sogar ein reges wissenschaftliches „Vereinsleben“ – in den Sitzungen wurde Vieles und Interessantes mitgeteilt, aber davon nichts protokolliert, gesammelt oder in irgendeiner Weise veröffentlicht. Da fast alle diese wissenschaftlich arbeitenden Ärzte spontan gestorben oder ins Gas gekommen sind, so sind alle diese wichtigen Arbeiten als verloren zu bezeichnen.“
Wenig Erinnerung
„Im Rahmen ihrer Möglichkeiten taten Berliner Ärztevertreter während der NS-Zeit alles, um ihren jüdischen und politisch links orientierten Kollegen ein Leben in Deutschland unmöglich zu machen. Sie trugen zur Vernichtung der beruflichen Existenz von Ärzten bei, stürzten sie in wirtschaftliche Not und zwangen ihre Kollegen samt ihrer Familien in die Emigration“, sagte die Medizinhistorikerin Rebecca Schwoch, die dem Schicksal von 2000 jüdischen Berliner Kassenärzten nachforschte. Für manche Kollegen eine unangenehme Wahrheit. So warf ihr ein junger Arzt „postmortale Klugscheißerei“ vor. Der ehemalige Berliner Krankenkassenverbands-Vorsitzende Dr. Manfred Richter-Reichhelm konterte: „Solange es Ärzte in meiner Generation gibt, die solche Äußerungen von sich geben, dürfen wir nicht stillhalten. Wir müssen immer wieder den Finger in die Wunde legen.“