Max Klante in Friedrichshain.
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Von einem Wiener Walzer untermalt, leuchtet die Sonne sanft durch die Fenster des Cafés „Rheingold“ an der Koppen-, Ecke Große Frankfurter Straße 121. Die Gäste verhalten sich unauffällig, trinken Kaffee, nippen am Weinglas. Zumindest solange, bis der Kapellmeister andere Töne anschlagen lässt, worauf die Gäste mit Begeisterung ein Lied anstimmen: „Es braust ein Ruf durch ganz Berlin, Voran! Lasst uns zu Klante ziehen. Und war der Weg auch hart, der Weg so steil, Wir rufen laut: Max Klante Heil, ja Heil!”. Der Jubel gilt einem wohlgekleideten, unscheinbaren, verlegenen Mann, der seine Haare sorgfältig gescheitelt hält und dessen Idee ein „Deutschland der Ehre“ ist. „Einst war ich Fotograf“, sagt er und fügt dann aber hinzu: „Volksgenossen! Alle, die vom Schicksal benachteiligt sind, fordere ich auf, ihre Rechte wahrzunehmen.“ Er schimpft gegen Kapitalisten, Juden, Kommunisten, gegen alle Parteien und gegen die Regierung. Er ruft: „Alle von der Regierung Vergessenen will ich zusammenfassen. Sie sollen die gleichen Chancen haben wie die Herren des Großkapitals. Zu diesem Zweck habe ich meinen Konzern gegründet.” Sein Konzern, das ist die „Max Klante & Co. GmbH“. Er sagt: „Max Klante arbeitet für alle, die ihn unterstützen, alle verdienen an seinen Geschäften. Wer 5.000 Mark Einlage gibt, bekommt zwei Monate später 5.000 Mark als Gewinn ausgezahlt, und zwei Monate später wieder 5.000 Mark. Wer 20.000 Mark einzahlt, bekommt 120.000 Mark zurück!“ Jeder Gast im Café glaubt: Klante ist ein reeller Geschäftsmann im wirtschaftlich schwierigen Jahr 1920.
Von Klein nach Groß
Max Klante wurde am 25. Mai 1883 in Grünberg (Zielona Gora) geboren. Als Elfjähriger verdingte er sich in der Bürstenbinderei seines Onkels. Die Fabrik ging pleite, Klante lief nachts durch Kneipen und Cafés und erkrankte an Tuberkulose. Ohne Ausbildung eröffnete er in Berlin ein Fotostudio. Das wurde von der Gewerbepolizei geschlossen, doch aus dem Verkauf seiner 6.000 Mark teuren Ausrüstung gewann er das Startkapital für seine Karriere. Ständig ist er auf den 4 Berliner Pferde-Rennplätzen präsent. Dank seiner Kontakte verfügt er über ein reiches Insiderwissen, das er gegen Provision an unbedarfte Besucher weiter gibt. Als „Tipster“, verdient er mehr als je zuvor. Vor seiner Tippsterzeit, als er 1919 nach Berlin kam, lag seine Jahressteuerschuld bei gerade mal einer Mark. Hoppegarten, wo er sich meistens aufhält, ist das Zentrum des deutschen Galoppsports. Ein eigenes Rennpferd kann er sich von Provisionen und Wettgewinnen leisten. Daraufhin gründet er im Dezember 1920 mit einem Kompagnon und einer Einlage von 450.000 Mark die „Max Klante und Co. GmbH“. Im Briefkopf zum „Klante-Konzern“ verkürzt, ist die „inländische Pferdezucht“ sein offizielles Geschäft.
Sieg und Platz
Klante schaltet Anzeigen: „Sehr geehrter Herr! In der heutigen teuren Zeit liegt es wohl auch in Ihrem Interesse, sich eine dauerhafte Nebeneinnahme zu verschaffen. Diese bieten wir Ihnen, wenn Sie uns für unser Weltunternehmen Ihr Geld leihen.“ „Der Mittelstand verhungert anständig im Dunkel“, heißt es in dieser Zeit. Die Industrie ist am Boden, das Geld verliert an Wert, die Menschen sind offen für einen, der abseits verhasster Banken schnellen Reichtum verspricht. Das Café „Rheingold“ an der Große Frankfurter Straße 121 wird Klantes erstes Wettbüro, weitere folgen in ganz Deutschland. Hier zahlen die Kunden ein, er wettet für sie beim Pferderennen. Diese Wetten gelingen, schnell spricht sich herum, dass er die zugesagten Dividenden auszahlt. Mit einem „Nehmen Sie doch bitte unser Geld! Bitte, bitte nehmen Sie es”, drängen sich Bürger aller Klassen vor den Schaltern des „Rheingold“, jetzt „Gallipolli”. Klante wird zum Star. Beim Presseball sitzt er umgeben von den Größen des Theaters und des Films. Als er die kostbarsten Rosen auf die tanzende Menge im Saal schüttet, steigt sein Ansehen ins Unglaubliche. Kommt er ins Resi an der Blumenstraße, unterbricht die Kapelle sofort und spielt den “Max Klante-Marsch”. Seine Fans tragen ihn auf den Schultern durch den Saal. Seinem Vorbild ähnlich werden 96 Konkurrenz-„Konzerne“ wie die ‚Deutschen Sportbank‘, gegründet. Der Konkurs der „Deutschen Sportbank“, die nach einem dem Klante-Konzern ähnlichen Geschäftsmodell arbeitete, ließ Zweifel auch an Klante aufkommen.
Debakel
Seine Wettspekulationen scheitern immer häufiger, es gibt Unterschlagungen in seinem Konzern, er ist gezwungen, seine alten Kunden vom Geld der Neueinleger auszahlen. Zudem fordert das Finanzamt 10 Millionen Mark an Kapitalsteuern. Am 11. September 1921 meldet er den Konkurs an. Der neue Klante-Marsch lautet: „Man setzt bei Klante, man setzt auf Köhn, man läßt sein Geld dort ein paar Wochen stehn, Konzerns gehn pleite, das Geld ist weg, du armer Teufel, du hast nen Dreck!” 80.000 Gläubiger fordern Geld, es geht um 90 Millionen Mark, die infolge der Inflation längst wertlos sind. Am 11. Dezember 1922 beginnt der Prozess gegen ihn. Er verteidigt sich mit: „Herr Vorsitzender, es gibt zwei Dinge im Leben, das Spiel und die Liebe! Daran genascht haben wir doch alle! Mir genügt ein Stück Rindfleisch. Ich bin nicht wie andere, die Kartoffelpuffer mit Kaviar brauchen”. Er behauptet, sein System hat funktioniert, sei genial und Millionen wert, doch vor Gericht möchte er es nicht erläutern und wäre von der Konkurrenz, vom Finanzamt in den Ruin getrieben worden. Der Gerichtsschreiber protokolliert allgemeine Heiterkeit. „Schieber-Klante“, wird am 6. Januar 1923 wegen Betruges, gewerbsmäßigen Glücksspiels und Konkursvergehens zu drei Jahren Gefängnis und 105.000 Mark Geldstrafe verurteilt. Haftunfähig sitzt er die Strafe nicht ab, wegen seiner schwer angeschlagenen Gesundheit stand der Prozess mehrfach vor dem Scheitern. Die Verkündung des Urteils verfolgt er in Decken gehüllt auf einer Trage vor dem Richtertisch. 1924 wird er Vertreter einer Kartonagenfabrik und führt einen Papierladen. Nach dem Krieg lebt er als Bürstenbinder von einem kleinen Laden am Alexanderplatz, bis er an Leuchtgas vergiftet aufgefunden wird. Ein Totoschein war der Legende nach seine ganze Hinterlassenschaft. Im Bombenkrieg zerstört, blieb vom Café Rheingold nach dem Krieg nur noch ein Trümmerhaufen übrig.