Blickwechsel
Die Bauarbeiter der Deutschen Sporthalle an der Stalinalllee genossen das Privileg, anlässlich einer Verkaufsmesse der HO optische Geräte kaufen zu können. Die neuesten Kontax-Modelle standen als Paradestücke auf den Tischen. Im Allgemeinen gingen Ferngläser oder Beiraxkameras für 55 Mark über die Tische. Solvente Kunden erwarben Kontaxkameras. „Fortschrittliche Arbeiter, die sehr aufmerksam unterschieden, wer Bauarbeiter und wer Spekulant war“, arbeiteten mit der Volkspolizei-Einsatzgruppe „Abteilung K“, zusammen. „Mit der Verkäuferin eines Verkaufsstandes“, wurde „eine kurze Unterredung geführt“, stand im Polizeibericht. Man „hatte eine Hilfe, die viele brauchbare Hinweise für die Arbeit gab“. Ermittelt wurden „Republikflüchtlinge, die ihren mitgenommenen Ostdeutschen Personalausweis missbrauchten, um für ihre Auftraggeber in Westberlin Fotoaufkäufe zu tätigen.“ Damit waren Personen gemeint, wie jene „alleinstehende 23jährige Lageristin“, die ein Fernglas für 400 Mark im Zeissladen an der Stalinallee 325 gekauft hatte. In einem Ballhaus, hatte sie einen Westberliner kennen gelernt, der sie bat, für ihn dieses Fernglas zu kaufen um es dann zu einem Fotoladen in die Westberliner Augsburger Straße zu bringen. „Als Belohnung waren ihr 25 Mark versprochen“, stand später im Bericht der Abteilung K.
Falsche Flagge
Die hohe Aufmerksamkeit hatte ihren Grund. Im Westen war ein neues Zeisswerk entstanden. Ironischerweise hatten Jenaer Zeissinaer 1947 beim Start Hilfe geleistet. Zeiss-West führte einen fast identischen Produktionskatalog wie die Jenaer, alles nur moderner und aus besserem Material gefertigt. Auch eine „Contax“ war darunter. Zeiss-West verfügte über Verkaufskontakte zu westlichen Staaten, die der DDR verschlossen waren, die zudem mit Importverboten oder hohen Einfuhrzöllen, zu kämpfen hatte. Für die Propaganda der SED, war das die Gelegenheit, massive Versorgungsschwierigkeiten wegen mangelnder Devisen auf die Tätigkeit der „Optikschieber“ zurückzuführen. Sie wurden hart mit Zuchthaus oder wie die 23jährige Lageristin mit Arbeitserziehung bestraft. Für die Westberliner optische Industrie war der illegale Transfer ebenfalls eine ernste Konkurrenz, schließlich waren die Produkte aus Jena gut und sehr viel billiger. Und sie brachten Devisen ein, die von der DDR dringend benötigt wurden. 1955 verhaftete im Rahmen der Aktion „Herbst“ die Volkspolizei in Zusammenarbeit mit dem MFS dutzende von „Optikschiebern“, offiziell, um diesem Handel den Garaus zu machen. Allerdings waren davon auch Leute betroffen, die über den Optikschmuggel auf illegalen Wegen Devisen für die DDR beschafften, dann aber immer häufiger in die eigene Tasche gewirtschaftet hatten.
Falscher Weg
Werner Probst, 25 Jahre alt, lebte in Friedrichshain und arbeitete in Westberlin. Ein „Grenzgänger“, der sich etwas Geld als „Optikschieber“ verdiente. Er durfte es. Im Februar 1959 unterschrieb er eine Verpflichtung, künftig als Geheimer Informant ‚Harry‘ dem MfS Berichte über die Szene der Grenzgänger und Grenzschmuggler zu liefern. „Da der GI einen großen Bekanntenkreis in der Unterwelt hat“, sollte „er zum Aufklären dieser Personen eingesetzt“ werden. Bis der Mauerbau dazwischen kam, hätten die Nebenverdienste für Werner nicht besser laufen können. Im September 1961, nach vergeblichen Versuchen, in den Westen zu kommen, schlug er seinem Führungsoffizier vor, als Spitzel in den Westen zu gehen. Da Probst kaum schreiben konnte, mißlang auch dieser Versuch und er entschloss sich zur Flucht. Am 14. Oktober 1961 stieg er an der Brommybrücke ins Wasser, schwamm zum bis zum westlichen Ufer, wurde aber beobachtet und beschossen. Als er über eine Leiter ans Ufer zu steigen versuchte, traf ihn ein Schuß in den Rücken. Illegale Geschäfte waren nach dem Mauerbau nicht mehr möglich und auch nicht mehr nötig. Versandhäuser wie Quelle schlossen mit dem DDR-Außenhandel Verträge ab, über die Kameras und Ferngläser preiswert auf den Westdeutschen Markt kamen.