Bestrafte Tunnel-Maler
Triste graue Wände gab es in DDR-Zeiten zuhauf, was 20 Jugendliche, die sich aus den offen Abenden von Kirchengemeinden kannten, dazu ermutigte, selbst zu Pinsel und Farbe zu greifen, um die Tunnelwände nach eigenem Geschmack zu gestalten. Dies geschah am 26. November 1983. Künstlerisch können die Bilder als naive Malerei bezeichnet werden, die einfache linienbetonte Ausdrucksweise mit leicht erkennbaren Aussagen kombinierte. Damit korrespondierte sie stark mit einigen damals gängigen Elementen der Ostberliner Subkultur: Mach es selbst, versuche, Herr deines Lebens und deiner Kunst zu sein.
Nach einer Dreiviertelstunde beendeten Volkspolizisten das Happening und nahmen die Maler auf frischer Tat fest. Der Berliner Bischof Gottfried Forck versuchte, sich beim damaligen Staatssekretär für Kirchenfragen, Klaus Gysi, für die jungen Leute einzusetzen, doch ohne Erfolg. Ihre Strafen waren drakonisch. Sechs Teilnehmer, die als Initiatoren der Aktion ausgemacht wurden, kamen wegen Rowdytums für sieben Monate in Haft und mussten zusätzlich Geldstrafen zahlen. Auch die anderen erhielten Geldstrafen in Höhe von 800–1.200 Mark. Als Lehrling verdiente man im Monat 120 Mark. Zusätzlich mussten alle für die Kosten der Sanierung des Tunnels aufkommen, der danach wieder in wunderbarstem Grau erstrahlte.
In den Jugendszenen verstand man landesweit sehr gut, was diese Urteile bedeuteten. Es ging gegen die aufkommende Kultur der Graffitis, gegen das neue Medium der künstlerischen und politischen Artikulation. DDR-weit wurde Geld für die Verhafteten gesammelt.