Tanzen in Friedrichshain.
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Zwar hieß es: „Der Teufel treibt unter den Tanzböden sein Unwesen“, dennoch zählte die Berliner Polizei am 9. November 1818 sieben Tanzböden neben 23 „ordinären Tabagien“. Tabagien waren Orte zum gemeinsamen Tabakrauchen, Karten- und Billardspielen, oder zum „lustvollem Politisieren“ wie jener vom „Ditrich“ in der Blumenstraße. 1820, die Stadt wuchs, das Einkommen ihrer Bewohner stieg, die Polizeistatistik verzeichnete 114 Tabagien und 65 Tanzböden. Zum Ärger der „Öffentlichkeit“ verbrachten neben leicht erreichbaren „Polkamädchen“ auch Dienstmädchen und Arbeiterinnen hier ihre schmale Freizeit. „Der Tanz beginnt nicht selten schon am Nachmittag und tobt bis Mitternacht fort“, schrieb ein bürgerlicher Betrachter und sah: „eine vagirende Bevölkerung, die sich in Berlin sinnlich austoben will.“ Die Ursache sollte sein, „der zunehmende Luxus, die ausgedehnte industrielle Betriebsamkeit, die leichteren Erwerbsmöglichkeiten im Zusammenhang mit der gänzlichen moralischen Verlassenheit, sagen wir lieber mit der factisch eintretenden Emanzipation der Jugend von der elterlichen Gewalt, insbesondere des weiblichen Theils derselben.“ Der Betrachter vermutete: Sie alle wetteifern miteinander, das Tanzlokal zu dem zu machen, was es heute ist: zur Börse der Prostitution“.
Viel Spaß und Leid
1857 war die große Frankfurter Straße eine Meile der Ballsäle, etwa „Münchs Lokal“ an der Nr. 18, Hilfreimers“ an der Nr. 77, dann „Bades Ballsaal“, an der Nr. 87 und dem von „Mohrmann“ an der Nr. 117. Die „Walpurgisnacht“ war das Stichwort für ein „Leben gegen jede preußische Zucht.“ 1869 schritten 1.638 Berliner Männer zur Tat. Sie verfassten eine Petition gegen die „öffentliche Sittenlosigkeit“. Die „Sittenpolizei“ brachte jede „auffällige“ Frau, die zu frech angezogen oder einen Mann direkt anschaute, zur „Untersuchung“. 1905 sah der Hilfsarzt Wilhelm Hammers: „Sie, die Prostituierte, muß sich die Krankenbehandlung gefallen lassen, wenn sie auch nur die geringste verdächtige Stelle an ihrem Körper hat. Mädchen, die sich nicht fügen, werden festgeschnallt. Ob sich ein Mädchen die Quecksilberkur gefallen lassen will, wird nicht in Erwägung gezogen. Ob die Mädchen mit dem Glüheisen gebrannt, mit Messern geschnitten, mit Ätzmitteln bestreut werden sollen, entscheidet der leitende Arzt des Krankenhauses. Ob sie nun betäubt werden oder sie die Schmerzen mit Bewußtsein zu ertragen haben, entscheiden allein die Ärzte“. Friedrich Felix von Bärensprung, Direktor der venerologischen Abteilung der Charité, infizierte zwischen 1853 bis 1864 vermeintliche Prostituierte mit Blut von syphiliskranken Frauen, um die Wirkung eines von ihm entwickelten Serums zu testen. Die Patientinnen waren ahnungslos. Seine Sicht: diese Frauen hätten das unverdiente Glück gehabt, nicht schon vorher syphilitisch geworden zu sein.“ Legale Abtreibungen waren nicht möglich. Die Leichen ungewollter Kinder wurden in die Senkgruben oder in Kanäle geworfen, bisweilen unter Dachsparren versteckt.
Hat Max das Schieben raus?
Abseits der bürgerlichen Ballsäle, wo Hausmädchen oder Mütter zur Stelle waren, um die Töchter von der Tanzstunde abzuholen, „damit ihnen keine Minute zum Rendezvous mit ihrem verliebten Sekundaner verbleibt“, tobte an der Großen Frankfurter Straße 106 oder der Warschauerstraße 33 der Wahnsinn des „Tango- Tanzens“. Dazu der Schlagerkomponist Hugo Hirsch: „Mit Tango, da fängt man kleine Mädels ein.“ Die Polizeireviere sollten aufmerksam sein, um gegen Tänzer „anstößiger Tänze oder Saalbesitzer Strafanzeige zu erstatten.“ Ab Februar 1916 waren „Tanzlustbarkeiten“ für Jugendliche verboten. Doch 1919 hieß es: „Komm mein Schatz, wir trinken ein Likörchen,“ und mit dem Ragtime kam der Jazz nach Berlin. Mit „Wenn du’n kannst, dann kannst`n und wenn du’n kannst, dann tanzt’n“ wurde der Charleston im Resi, dem großen Tanzpalast in der Blumenstraße 10, ein Renner. Bald abgelöst vom „Black Bottom“; unterstützt von den Orchestern von Marek Weber oder Bernhard Ettè. Am 7. Februar 1931 zählte das Polizeiamt Lichtenberg / Friedrichshain in seinem Bezirk 69 Lokale mit allgemeiner Tanzerlaubnis. Nach dem 30. Januar 1933, war im Resi der Tango geduldet, wer aber fragte: „Tanzen Sie Jäzzt?“, meinte den „Rheinländer“. Der war vorher ein „Foxtrott“.