Bürgerbilder
Gerade junge Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt nahmen solche Angstorte verstärkt zur Kenntnis. Daraus entwickelte sich ein kunsthistorisch bislang kaum untersuchtes Phänomen, für das es in der DDR sogar schon einen Namen gab: Bürgerbilder. Dabei handelte es sich um von vornherein temporär angelegte, meist farbenfrohe Bilder, bei denen weniger künstlerische Konzepte, als viel mehr der Wille im Vordergrund stand, die Umwelt farblich zu gestalten und damit in Besitz zu nehmen. Die Freude des Gestaltens spielte eine wesentliche Rolle, denn solche Bilder entstanden in gemeinsamen Happenings bei Straßen- und Hoffesten.
1982 fasste der Architekturkritiker Bruno Flierl (1927-2023) das Phänomen erstmalig unter dem Titel „Bürgerbilder in der Stadtumwelt“ in einem Aufsatz systematisch zusammen: „Ein Zeichen des wachsenden Strebens der Stadtbewohner nach mehr Individualisierung der gesellschaftlich produzierten Wohn- und Stadtumwelt, ein Indiz für ihren Drang, nach mehr Identifikation mit der Umwelt und über diese vermittelt mit der Gesellschaft und mit sich selbst.“ Dabei sah er keinen grundlegenden Unterschied zwischen der „wilden“ Bemalung von Hauswänden und Hinterhöfen sowie der organisierten Gestaltungen von Straßenbahnhaltestellen, Kindergärten, Jugendklubs oder gar der individuellen Gestaltung von Neubaubalkonen. Gemalt wurden „Traumwelten und ein kleines bisschen Umweltkritik“: Landschaften, Dorf mit Kirche und Bauernhaus, Fabelwesen, Sonne, Haus, Blumen, Tiere, Männekens. Einen aufrührerischen Charakter erkannte er darin nicht.