Raketen und Lautsprecher: Agitprop in Friedrichshain von Detlef Krenz | Quelle: Der Arbeiterfotograf 1931

Raketen und Lautsprecher

Raketen und Lautsprecher: Agitprop in Friedrichshain von Detlef Krenz | Quelle: Der Arbeiterfotograf 1931
Rote Raketen sollten in himmlicher Höhe den Sieg des Sozialismus verkünden. / Quelle: Der Arbeiterfotograf 1931 /

Agitprop in Friedrichshain.

Von

24. Juli 1930: In wildem Stakkato werden Knüppel auf Stahlplatten geschlagen. Dann Stille. Willi Adam, Sprecher des Roten Sprachrohrs, betritt die Bühne des Saalbaus Friedrichshain und ruft: „Es geht durch die Welt ein Geflüster – Arbeiter, hörst du es nicht? Das sind die Stimmen der Kriegsminister! Arbeiter, hörst du sie nicht?“ Nach und nach fallen die Mitglieder des Roten Sprachrohrs in den Text ein: „Es flüstern die Kohle- und Stahlproduzenten. Es flüstert die chemische Kriegsproduktion. Es flüstert von allen Kontinenten: Mobilmachung gegen die Sowjetunion!“

Gruppen

Sein Auftritt vor den 600 Abgesandten kommunistischer Jugendverbände aus Europa und Übersee zum II. Weltkongress der Arbeiter- und Bauernkinder war ein Höhepunkt im jungen Leben von Willi. Er war der älteste von sieben Geschwistern, wohnte in der Warschauer Straße und wenn die Mutter rief: „Willi, besorg’ uns mal for’n Jroschen Preßkohlen!‘“ oder „Willi, bring mal for‘n Jroschen Speck!“ hatte er die Groscheneinkäufe zu erledigen.
Für drei Mark Wochenlohn ging er als Wagen- und Karosseriesattler in die Lehre. 1927 trat er dem kommunistischen Jugendverband bei. Hier erfuhr er, dass der prominente Theaterregisseur Maxim Vallentin Darsteller suchte. 1928 war Willi dann Mitglied der Agitpropgruppe Rotes Sprachrohr, die sich aus Jugendlichen aller Berliner Bezirke zusammensetzte. Schon nach 14 Probentagen gingen sie an die Öffentlichkeit. Ihr Markenzeichen waren blaue Anzüge. Ganz nach dem Vorbild der Moskauer Agitpropgruppe Blaue Blusen, die 1927 in Berlin auftraten. Ein Leitspruch der Blauen Blusen lautete: „Wir woll’n kein Gemälde, wir woll’n ein Plakat!“ Gemeint war, aktuell politische Themen als „lebende Zeitung“ abzubilden. Kurze Szenen, satirische Texte, abgewandelte Volkslieder oder Schlagermelodien, Tanz und Akrobatik wurden Teil einer Propagandashow zu den Standpunkten der kommunistischen Partei. Die deutschen KPD-Funktionäre standen dem künstlerischen Agitproptheater skeptisch gegenüber. Erst nach dem Auftritt der Blauen Blusen unterstützte die KPD die Gründungen von Gruppen wie dem Roten Sprachrohr, der Roten Raketen, der Roten Revue, der Kolonne Links und vielen anderen. Für den aus ärmlichsten Verhältnissen kommenden Willi Adam war die Theaterarbeit eine Chance, über enge Klassengrenzen hinaus künstlerisch tätig zu werden.

Raketen und Lautsprecher: Agitprop in Friedrichshain von Detlef Krenz | Quelle: Der Arbeiterfotograf 1930
Das Rote Sprachrohr war auf der Straße, vor den Arbeitsämtern und allen Propagandabühnen aktiv. / Quelle: Der Arbeiterfotograf 1930 /

Praxis

Ständig stießen die Gruppen an die Zensurgrenzen, ihre Auftritte wurden verboten oder massiv behindert. Eine Gegentaktik war, auf der Straße anlässlich einer Demonstration schnell eine improvisierte Bühne aus Stühlen und Brettern aufzubauen, wenige Szenen darzustellen und dann an einer anderen Stelle weiterzuspielen. Abgesehen von der KPD-Kneipe des Oswald Ewest in der Fruchtstraße 36a oder dem Schwarzen Adler in der Frankfurter Allee, wo am 28. Februar 1932 Helene Weigel, Ernst Busch, Hans Eisler, Alexander Granach, Annemarie Haase und Meta Krahn im Rahmen des Roten Kabaretts auftraten, gab es kaum Übungsräume und wenn, dann waren sie verräuchert. Auch fehlte den proletarischen Schauspielern das Geld zum Verzehr. Übrig blieb, sich im Freien zu treffen. Fehlte das Fahrgeld, kamen alle zu Fuß zum Auftritt. Über den Agitpropgruppen lag der Schatten ideologischer Differenzen. Manche wollten sich nicht dem Diktat der unter stalinistischer Anleitung stehenden KPD fügen. Für diese Gruppen hatten Textzeilen wie „Pflanzt eure roten Banner der Arbeit auf jede Rampe, auf jede Fabrik! Dann steigt aus den Trümmern der alten Gesellschaft die sozialistische Weltrepublik!“ einen sehr nachdenklichen Klang.

Verfolgt

1933 gingen Regisseure wie Maxim Vallentin, Gründer des Roten Sprachrohrs oder Gustav von Wangenheim, Gründer der Roten Raketen, in die UdSSR. Die Kolonne Links war seit 1932 dort. Wegen ihrer guten Partei-Werbeaktionen wurden sie 1931 mit einer Reise in die Sowjetunion belohnt. Hier erlebten sie, angesichts der Armut der einfachen Bevölkerung und konfrontiert mit der Rücksichtslosigkeit, wie die Parteifunktionäre ihre Ziele durchsetzten, und damit die sowjetische Wirklichkeit. Man war übelster Propaganda aufgesessen. Die Blauen Blusen hatten eine Liberalität vorgespielt, die im Heimatland unter Verbot stand. Weil die Einreise verweigert wurde, war der Kolonne Links die Rückkehr nach Deutschland unmöglich. Im Februar 1938 wurden sechs Mitglieder erschossen. Der abstruse Vorwurf: Gründung einer Hitler-Jugend! Nach zermürbenden Verhören unterschrieb Gustav von Wangenheim 1936 ein Protokoll, laut dem seine Künstlerfreundin Carola Neher „antisowjetisch eingestellt“ wäre. 1940 starb Frau Neher im Gulag an Typhus. Regisseure wie Gustav von Wangenheim oder Maxim Vallentin, die versuchten, über die Agitpropgruppen die elitären und experimentellen Theaterformen der 1920er Jahre in eine volksnahe Theaterform zu überführen, um über gesellschaftliche Machtverhältnisse aufzuklären, waren in der Sowjetunion gezwungen, einen heroischen Mythos zur Verehrung Stalins zu erschaffen.

Raketen und Lautsprecher: Agitprop in Friedrichshain von Detlef Krenz | Quelle: Der Arbeiterfotograf 1930
Die Barrikaden von 1848 waren überwunden, die ideologischen aber noch lange nicht. / Quelle: Der Arbeiterfotograf 1930 /
Raketen und Lautsprecher: Agitprop in Friedrichshain von Detlef Krenz | Quelle: Der Arbeiterfotograf 1931
Schreckliche Bilder auf der Bühne. Wenige Jahre später erlebten die Darsteller Gleiches am eigenen Leib. / Quelle: Der Arbeiterfotograf 1931 /

Später

Von der Gestapo unentdeckt wohnte Willi Adam bis Kriegsende auf Stralau. Nach 1945 wurde er SED-Stadtverordneter für Wohnungsfragen und Maxim Vallentin 1952 Intendant des Maxim-Gorki- Theaters. 1946 sollte Gustav von Wangenheim das Stück „Stürmischer Lebensabend“ inszenieren, in dem es um einen Professor geht, der sich 1917 zur Oktober-Revolution bekennt. Das „Stück, das 1946 hätte alarmierend sein müssen“, war wegen seines „Ultra-Naturalismus“, der sich „ätzender Charakteristik“ und „sich überschreiender hysterischer Schwäche“ bediente, zur Karikatur geraten. Nach Meinung der Kritiker lautete die Botschaft: „Stellt euch auf die Seite des schaffendenVolkes, auf die Seite des Fortschritts.“ Wangenheim beugte sich den Kulturfunktionären und gab am 29. August 1946 seine Intendantur am Deutschen Theater auf. Als Teil der „schweigenden DDR-Generation“, die nichts über ihre Verstrickungen im Macht- und Gewaltapparat der Stalinzeit verlauten ließ, blieb er bis zu seinem Tod 1975 ein Diener der Diktatur.

 

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