Anneliese Stefanow und Silke Rudolph mit der Plattenkamera, © Fotos mit Herz

„Wir begleiten das Leben unserer Kunden.“

Die Samariterstraße Anfang der 90er
Die Samariterstraße 33, Anfang 1990. / © Fotos mit Herz /

Umorientierung in der Marktwirtschaft

Ende der 1980er Jahre wollte Frau Stefanow ihr Angebot um Farbbilder erweitern und besuchte dafür auch Lehrgänge. Das Labor brauchte mehr Platz. „Als ich schließlich eine Genehmigung zum Anmieten von Parterreräumen in der Rigaer Straße erhielt, kam die Wende und alles wurde anders.“ Die Änderungen nach 1990 waren enorm. Die Buchhaltung  musste in Umschulungen neu gelernt werden. Zu DDR-Zeiten durften Fotografen nur ihr Handwerk ausüben, jetzt war auch gestattet, Handel zu treiben. In den ersten Jahren verkauften sich einfache Kameras im Wert von etwa fünfzig Mark sehr gut. „Aber letztlich geht nur eins“, resümiert Frau Stefanow: „Entweder Handel oder Handwerk. Man kann es sich nicht leisten, einem Kunden ausführlich ein Produkt zu erklären, der es am Ende nicht kauft und die Arbeit in Studio und Labor bleibt derweil liegen.“
Schwierig wurde es, als Frau Stefanow 1994 einen Unfall hatte und sich einen komplizierten Bruch zuzog. Hilfe kam von einem Fotografen, der längst in Rente gegangen war. Irgendwann war er einmal im Atelier mit dem Angebot aufgetaucht, bei Bedarf auch mal auszuhelfen. „Glücklicherweise notierte ich seine Nummer. Eher aus Höflichkeit. Nie hätte ich geglaubt, dass ich einmal Hilfe benötigen würde. Fast ein ganzes Jahr hat mir dieser Mann unter die Arme gegriffen.“ Er hat das Geschäft gerettet in dieser schwierigen Zeit.
Anneliese Stefanow blättert in ihren Unterlagen: Ihr Meisterbrief, Auszeichnungen von der Handwerkskammer und vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, wie sich die gewerkschaftsähnliche Organisation in der DDR nannte. Ich erkundige mich nach den Auszeichnungen. „Für das Sammeln der alten Chemie, aus der Silber zurückgewonnen wurde oder für guten Umsatz und zufriedene Kunden“, erklärt Frau Stefanow. Sie holt eine alte Preistabelle hervor und übergibt sie ihrer neugierig blickenden Nachfolgerin. Drei Passbilder in Schwarzweiß kosteten in der DDR eine Mark fünfzig. Heute kosten vier Stück in Farbe zehn Euro. „Und da sind wir noch preiswert!“, betont Silke Rudolph.
Auch die heutige Inhaberin des Fotoateliers hatte schon als Kind gern fotografiert. „Das war bei mir genauso wie bei Anneliese. Ich durfte die Spiegelreflexkamera Praktica L meines Vaters benutzen. Mit der habe ich schon früh gelernt, wie man gute Fotos macht.“

Kein Abi – aber Traumberuf

„Von unserer Klasse wurden nur fünf Schüler zur Erweiterten Oberschule mit Abitur zugelassen. Drei davon machten eine Berufsausbildung mit Abitur. Ich gehörte nicht zu ihnen, trotz Einser-Zeugnis.“ An die Möglichkeit, sich über den Beschwerdeweg eine höhere Berufslaufbahn zu ertrotzen, glaubte sie nicht. „Ich rief mir in Erinnerung, dass ich auch mal Fotografin werden wollte und mein Vater klapperte für mich dann sämtliche Fotoläden der Stadt nach Ausbildungsstellen ab.“ Fündig wurde er bei Foto-Kettenbach, die in der Wilhelm-
Pieck-Straße (heute Torstraße) und in Wilhelmsruh Läden besaßen. Was die Firma jedoch nicht hatte, war eine Planstelle für einen Lehrling. Frau Kettenbach hatte bereits 24 Fotografen ausgebildet und weil sie dachte, dass es genug waren, keine Planstelle mehr beantragt. Doch Silke Rudolph überzeugte die Meisterin mit ihrer Mappe, die sie im Fotozirkel extra für die Bewerbung anfertigen durfte. „So etwas ist heute üblich. Damals war es etwas Besonderes.“ Und das Problem mit der Planstelle? „Irgendwo fand sich die Stelle eines anderen Lehrlings, der aufgehört hatte“, erklärt Frau Rudolph. Mit Überredung, Augenzudrücken und Vitamin B konnte diese Stelle für das Foto-Atelier Kettenbach umgeschrieben werden. „Das war noch nicht mal eine Fotografenstelle, sondern ein Bäcker- oder Fleischerausbildungsplatz“, ergänzt sie amüsiert. Mit ihr nahm Frau Kettenbach ihren fünfundzwanzigsten und, wie sie erklärte, letzten Lehrling auf. „Jahre später traf ich einen Kollegen, der der Dreißigste war“, bemerkt Silke Rudolph und fügt an: „Der war dann aber wirklich der Letzte, den sie dann noch ausgebildet hatte.“
Ihre erste Stelle hatte sie in Gransee: „Die erste eigene Wohnung, fern von den Eltern!“, erklärt sie. „Frei, selbstständig, ein wichtiger Schritt in meiner Persönlichkeitsentwicklung. Aber als die Mauer fiel, war ich wieder zurück in Berlin!“
Sie schloss ihr Abitur auf der Abendschule mit dem Ziel ab, in Leipzig Fotografik zu studieren. „Zur Bewerbung hatte ich eine Mappe mit Bildern ganz verschiedener Motive zusammengestellt, doch wollte der Professor eher Serien sehen, also wie ich mit einem Thema umgehe. Als der mich noch einmal für ein Jahr auf die Weide schicken wollte, stand mein Entschluss fest: Ich mache meinen Fotografenmeister und mich selbständig! Ich wollte einfach, dass es weiter geht!“

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