Café Sibylle | Quelle: Postkarte

Mythos macht’s möglich

Café Sibylle | Quelle: Postkarte
1954 fehlte noch der charakteristische Namenszug an der Fassade. / Quelle: Postkarte /

Das Café Sibylle öffnet wieder.

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„Das Café Sibylle ist Vorbote einer blühenden Zukunft“, so kündigte die Stadtzeitung „Scheinschlag“ die Wiedereröffnung des Cafés ironisch an. Das war im Jahr 2001. Die Karl-Marx-Alle war heruntergekommen, Läden schlossen, ewige Baustellen machten ein Verweilen nicht gerade zum Vergnügen. Es schien wirklich nur noch bergauf gehen zu können. Leider erwies sich die Ironie der Zeitung als berechtigt, denn bis heute hat die Karl-Marx-Allee nicht einmal ansatzweise mehr die Bedeutung als Geschäfts-, Einkaufs- und Bummelstraße, wie sie sie einst hatte. Die Gewohnheiten haben sich geändert. Längst ist der gemütliche  Einkaufsbummel dem Schoppen, einem stressigen Jagen nach günstigen Produkten gewichen. Konsumtempel statt Flaniermeilen. Sechs Jahre nach Erscheinen des zitierten Beitrags ging auch der „Scheinschlag“ selbst mangels blühender Zukunft ein und hinterließ bis heute eine Lücke.
Im April 2018 schloss nun das Café Sybille. Der Trägerverein, Hauptmieter des Cafés, musste Konkurs anmelden. Erschwerend dabei war die Tatsache, dass Trägerverein und Betreiber des Cafés Sibylle nicht im besten Einvernehmen standen.

Zuschreibungen und Realitäten

Im Laufe der Zeit hat das Café Sibylle eine Menge Zuschreibungen erfahren. Als ältestes Geschäft in der Karl-Marx-Allee, einst als Milchtrinkhalle gegründet, besitzt es heute einen legendären Status. Entsprechend kaprizieren sich Kommentare: Von „Treffpunkt alter SED- und Stasi-Genossen“, wie in einem Block zu lesen stand, bis zu dem Vorwurf (gerichtet an die Kreuzberger Politik): „Ihr habt es ja nur deshalb verkommen lassen, weil das Café eine Ost-Instanz ist!“.
Diese Ausrutscher sind eher amüsant und treffen natürlich nicht das Wesen. Wenn es darum geht, die DDR-Geschichte des Cafés nachzuspüren, erfährt man erstaunlich wenig über die Einrichtung. Weder in den Gesamtausgaben der Berliner Zeitung, noch des Neuen Deutschlands und der Neuen Zeit bis 1994 findet sich ein Treffer, wenn man den Begriff „Café Sibylle“ eingibt. Offenbar war es mit der Berühmtheit des Cafés in der DDR doch nicht so besonders bestellt, zumindest nicht mehr, als mit der des Cafés Schade in der Boxhagener Straße 27 oder des Espressos Hungaria in der Frankfurter Allee 41 oder der des Cafés Kosmos in der Frankfurter Allee 133. Sie sind allesamt verschwunden. Cafés waren normalerweise auch keine Veranstaltungsorte, die man heute noch in Zeitungsanzeigen aufspüren könnte. Das Sybille machte dabei keine Ausnahme. Das Besondere war eben der Standort in der Karl-Marx-Allee. 1981 gab es noch nicht einmal  ein Telefon!
Was aber in der Tat zur Popularität beigetragen hat, war das Engagement in den 1990er Jahren. Der damalige Betreiber war bereit, aus einem ganz normalen Café – denn nichts anderes war das Sibylle, auch wenn es ein besonderes Flair besaß – ein Ort der Begegnung zu machen. Veranstaltungen zur Geschichte hatten Konjunktur, und so gelang es sogar, gemeinsam mit dem „Bürgerkomitee 15. Januar“, das seinerzeit noch aus witzigen, kulturinteressierten, neugierigen Menschen bestand, eine Veranstaltungsreihe zu organisieren, die von der Stiftung Aufarbeitung gefördert wurde. Genau in dieser Zeit entstand der Mythos des guten alten ewigen Cafés der DDR-Moderne mit großartiger Kulisse. Dieser Mythos war so etwas wie die Grundlage, der Revolutionäre und alte DDR-Genossen zusammenkommen ließ. Zwar stimmte das Ambiente, doch konnte man sich nicht gegenseitig überzeugen. Das Café blieb ein angesagter Veranstaltungsort für Vorträge, Buchvorstellungen und dergleichen, weshalb seine Schließung in der Tat ein herber Verlust ist.

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