Friedrichshain 1919, Quelle: SVT, Fotograf unbekannt

Doppeldecker über der Krautstraße

Friedrichshain 1919, Quelle: SVT, Fotograf unbekannt
Friedrichshain 1919: Zeitungsrollen und Kutschen als Barrikade
neben Geschützen / Quelle: SVT, Fotograf unbekannt /

März 1919 in Friedrichshain.

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Im März 1919 stand Kalbfleisch mit Gemüse auf der Karte des Hotel Adlon, aber durch Friedrichshainer Straßen liefen keine Hunde mehr. Ihr Fleisch wanderte in die Kochtöpfe hungernder Familien. Wollte man mehr als Kohl oder Rüben haben, führte der Weg in die Gegend um den Alexanderplatz. Hier waren Straßenhändler mit „Schleichwaren“ zu Gange und nahmen „bei Militärrazzien sofort eine drohende Haltung gegenüber dem Militär ein“, wie es im Polizeibericht hieß.
Die allgemeine Verbitterung über die Folgen der Revolution vom 9. November 1918 war groß. Auch der 21-jährige Alfred Walther aus der Grünberger Straße stand dem Militär drohend gegenüber. Um den Militarismus zu beseitigen, hatte er aktiv die Revolution des 9. November unterstützt. Bis 1918 Mitglied der SPD, erlebte er nun, wie SPD-Führer auf die Forderungen nach sozialpolitischen Reformen reagierten. Während massiver Proteste im Dezember 1918 und Januar 1919 ließ sie „Freikorps“, rechtsradikale, paramilitärische Freiwilligenverbände, gegen Streikende und basisdemokratische Arbeiterräte vorgehen. Im Januar 1919 konnte Alfred Walther Freikorps-Soldaten entwaffnen und Gewehre in seinen Besitz bringen.
Freikorps hatten Zulauf von entlassenen Soldaten, wie dem 22-jährigen Otto Müller, der vom Gefreiten bis zum Unteroffizier befördert wurde. Nach seiner Militärzeit im Dezember 1918 erhielt er täglich Sozialunterstützung, die er mit seiner Mutter teilte. Er hasste die „Bolschewisten“. Im Januar 1919 sah er ein Angebot vom „Freikorps Hülsen“: „5 M. Tageszulage,  50 M. Entlassungsgeld, 15 M. Marschgeld“. Vor allem: Hier war er unter Gleichgesinnten.

Barrikaden in der Die Blumenstraße in Friedrichshain im März 1919, Quelle: SVT
Die Blumenstraße im März 1919 / Quelle: SVT /

Streik

Ähnlich wie in anderen Großbetrieben versammelten sich am 3. März 1919 die Arbeiter der Knorrbremse, um über einen Generalstreik abzustimmen. Mehrheitlich votierte man für den Streik. Gefordert wurden umfassende Mitbestimmungsrechte in der Produktion und in der Gesellschaft. Um 21 Uhr lag der Schlesische Bahnhof im Dunkeln. Telegrafen und Telefone blieben stumm. Die Polizei versuchte rücksichtslos Streikversammlungen aufzulösen. Das führte zu ersten bewaffneten Zusammenstößen mit der Polizei. Wie bei späteren Gerichtsverhandlungen ans Licht kam, mischten sich Freikorpsleute als „taktische Provokateure“ unter die Aufständischen.
In der Innenstadt eskalierte die Lage. Um „seinen“ Kiez zu schützen, stürmte Alfred Walther mit Genossen am Strausberger Platz ein Polizeirevier. Kriminelle nutzten den Aufstand zur persönlichen Bereicherung. „Hyänen der Revolution“, wie die Streikleitung Plünderer bezeichnete, stahlen dem Konfektionshaus Pick in der Großen Frankfurter Straße Seidenstoffe im Wert von 300.000 Mark.
Medial vom „Vorwärts“ gestützt, erhielt Gustav Noske als örtlicher Militärbefehlshaber die umfassende Befehlsgewalt, um „sich gegen terroristischen Streikzwang zur Wehr zu setzen.“  Nachdem Noske die Bahnhöfe besetzen ließ, traten unterstützt von den Arbeitern der Gas- und Stromversorgung 20.000 Eisenbahner in den Streik. Die Gefechte von Regierungstruppen und Freikorps gegen Arbeiter, die angesichts der Morde an ihren Anführern Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht „um die Herrschaft des Proletariats“ kämpften, gingen weiter, bis die Innenstadt unter Granatenbeschuss und Maschinengewehrfeuer lag. In dieser Situation scheiterte der Streik am 8. März.

Werbeanzeige für Freikorps, Quelle: Berliner Mittagszeitung
Werbe­anzeige für Freikorps in der Tageszeitung. / Quelle: Berliner Mittagszeitung /

Expansion

Am 8. März verlagerte sich die Kampfzone nach Friedrichshain, wo leichte und schwere Artillerie zum Einsatz kam. Um die vom Alexanderplatz anrückenden Freikorps-Verbände unter Feuer zu nehmen, errichteten Aufständische am Strausberger Platz Barrikaden.
Das Freikorps Lüttwitz setzte drei gepanzerte Kampf-Doppeldecker ein. Diese warfen aus 50 Metern Höhe über der Krautstraße Bomben ab. Eine schlug in der Markusstraße in den Dachstuhl eines Hauses ein. Sie beschädigte die vierte, dritte und zweite Etage und eine Hausfront in der Blumenstraße. Eine weitere Bombe explodierte auf der Straße vor einem Restaurant, in das sich Passanten geflüchtet hatten. Durch die Lange Straße wurde gebrüllt: Straße frei! Fenster zu! Ein kleines Mädchen lehnte sich aus dem Fenster der Nummer 93. Fräulein Dahle, eine Nachbarin, wollte das Mädchen vom Fenster holen und wurde von einer Kugel getroffen.
Die Freikorps schossen wahllos mit schwerem Geschütz auf vermeintliche Gegner. Dabei schlug eine Granate in der Palisadenstraße ins Dach eines Hauses. Es stürzte ein und begrub die Bewohner unter Trümmern. Als Freikorps Flammenwerfer und Panzerwagen in der Warschauer Straße einsetzten, kämpften auch Frauen und Jugendliche „gegen die verhaßten Militärs, die der Bourgeoisie wieder zur alten Macht verhelfen wollten.“
Am 10. März befahl Noske: „Aus Häusern, aus welchen auf die Truppe geschossen wurde, sind sämtliche Bewohner, ganz gleich ob sie ihre Schuldlosigkeit beteuern, auf die Straße zu stellen, in ihrer Abwesenheit die Häuser nach Waffen zu durchsuchen, und Personen, bei denen Waffen gefunden werden, zu erschießen.“
In die Wohnung der 27-jährigen Johanna Löffelmerker aus der Andreasstraße drangen Freikorps-Soldaten ein, um nach Waffen zu suchen. „Sie fanden aber nichts. Daraufhin gingen sie mit meinem Mann in den Keller“, sagte Frau Löffelmerker, als sie Tage später die grausam zugerichtete Leiche ihres Mannes vor einer Kneipe liegen sah. Um ihnen Schuhe, Uhren oder Personalpapiere zu stehlen, folterten und erschossen Korps-Soldaten Unschuldige. Offiziell handelten die Täter „auf dienstlichen Befehl“.  Wegen dieser Dienstpflicht galt vor Gericht eine „Körperverletzung mit Todesfolge“ als ausgeschlossen. Zivile Opfer wurden in Gerichtsverhandlungen als „Neugierige“ abgestempelt und Zeugenaussagen wurden wegen der „Psychose des Bürgerkrieges“ als „verzerrt“ abgetan.
Am 13. März 1919, dem Ende der Kämpfe, stand das Freikorps Hülsen in Teilen von Friedrichshain, wo das Kriegsrecht bis zum 5. Dezember bestehen blieb. Der Märzstreik von 1919 forderte über 1.200 Todesopfer. Sein Scheitern war eine Weichenstellung in den Zweiten Weltkrieg und in die Teilung Deutschlands.

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