Rosenblüten und Oberkellner Erich
Wegen seiner Möglichkeiten zu schnellen Kontakten war das Resi gleichermaßen beliebt wie verrufen. Zu einem anderen Kaliber gehörte die Kellerkneipe „Rote Mühle“ in der Mühlenstraße 49. Ab 21 Uhr brechend voll, begannen um 22 Uhr die Vorführungen. Der Moderator dichtete Verse und vom Grammophon begleitet trällerte „Blondine Ebinger“: „Een Jroschen liegt uff meine Seele“. Danach wirbelte in erotischen Zuckungen ein Tanzpaar über die winzige Bühne, gefolgt von einem Entfesselungskünstler der sich aus Handschellen wand.
Kokainisten und Leute mit Namen wie „Leichen-Robert“, „Koks-Betty“ oder „Mücken-Paul“ zählten zum Stammpublikum. Wer sich am Tresen vor dem Oberkellner Erich die Nase rieb, bekam besten „Schnee“. Der Abenteurer Sophus Felix Kroeger hatte aus tschechischen Lazaretten große Mengen Kokain in den Hamburger Freihafen verschoben. Das Berliner Gangstersyndikat bezog von dort diese Ware, wo auch Tinkturen der westafrikanischen Yohimbinrinde – Viagravorläufer – eintrafen.
Chinesen aus der ehemaligen Kolonie Kiautschou brachten Opium in den Kiez. Sie hatten ihren Treff in einer Schultheiss-Kneipe Lange Straße, Ecke Krautstraße. Für die Eingeweihten riefen hier geheimnisvolle Schriftzeichen zu einem Leben in Moral auf. Über ein Graffitiähnliches Zeichensystem an Litfaßsäulen gelangten Morphiumampullen zum Verbraucher. Straßenverkäufer boten „Zssigarren“-päckchen an, gefüllt mit Papiertütchen. Darin Kochsalz neben zerstoßenem Aspirin. Wirksamer war die Designerdroge jener Zeit: Weiße Rosenblätter. In eine Lösung aus Chloroform und Äther getaucht, entfachte der Mix auf der Zunge seine narkotisierende Wirkung.
Auch auf Bertold Brecht verfehlte die „Rote Mühle“ ihre Wirkung nicht. Hier soll er seine Inspiration zur „Dreigroschenoper“ bekommen haben.