Das Frankfurter Tor und die 800-Meter-Verschiebung.
Von Hajo Toppius.
Das Frankfurter Tor ist prägend für das Stadtbild von Friedrichshain und Eingang zur Karl-Marx-Allee beziehungsweise zum Zentrum der Stadt rund um den Alexanderplatz. Es ist Teil der sozialistischen Stadtplanung der 1950er Jahre, die aus dem verruchten Friedrichshain, vor allem um die verschwundene Gegend um den Ostbahnhof, eine proletarische Vorzeigestadt machen wollte. Mit modernsten Wohnungen, breiten Straßen und einer Idee von Größe sollte das Armen- und Gangstermilieu der Mietkasernen in einen architektonisch-gesellschaftlichen Neuentwurf umgewandelt werden. Im Zuge des Baues der damaligen Stalinallee wurde 1957 der vorher namenlose Platz an der prominenten Kreuzung von Frankfurter Allee und Warschauer Straße in „Frankfurter Tor“ umbenannt. Aber diese Benennung ist ein Fake, zumindest aus historischer Perspektive und was die Lage und die bauliche Gestalt angeht. Es gab ein anderes Frankfurter Tor, das sehr lange, fast 150 Jahre, Teil der sogenannten Akzisemauer war.
Das Frankfurter Tor als Teil eines Mauerrings
Diese Mauer war ein prägendes Element der Stadt, ein Ring um Berlin, der von 1734 bis 1737 errichtet und im Zeitraum von 1867 bis 1870 wieder fast vollständig entfernt wurde. Mehr als die Hälfte ihres Verlaufes ging durch den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Anders, als man zunächst vermuten kann, war sie kaum ein Bollwerk zur Verteidigung der Stadt, sondern sie hatte vor allem den Zweck, eine Zollsteuer einzunehmen, die Akzise. Sie sollte auch die in der Stadt untergebrachten preußischen Soldaten daran hindern, zu desertieren, denn diese hatten sich in den meisten Fällen nicht freiwillig zur Armee gemeldet. Vielmehr wurden sie unter oft grausamen Maßnahmen dazu gezwungen. Ähnlich wie bei der späteren Berliner Mauer wirkte die Akzisemauer hauptsächlich nach innen, um die eigenen Leute einzusperren. Dieser Ring um die Stadt verlief vom U-Bahnhof Warschauer Straße über die Oberbaumbrücke, die gesamte U-Bahn-Trasse entlang bis zum Halleschen Tor, dann durch die Stresemannstraße bis zum Potsdamer Platz und Brandenburger Tor und machte in der Gegend der Charité, wo auch der sogenannte Unterbaum nachts in der Spree lag, einen Bogen zum Oranienburger Tor. Dann ging es die Torstraße entlang mit einem kleinen Schwenk nach Norden durch den Prenzlauer Berg zum Volkspark Friedrichshain. Wenn die Mauer auch heute fast verschwunden ist, so ist ihr Verlauf an Straßenzügen und U-Bahn-Namen abzulesen. Das trifft jedoch auf das Frankfurter Tor nicht zu. Die Mauer verlief nicht dort, wo die beiden mächtigen Türme am Frankfurter Tor stehen, sondern weiter westlich, wo heute die Marchlewskistraße auf die Karl-Marx-Allee treffen würde, beziehungsweise am westlichen Ausgang des U-Bahnhofs Weberwiese bis zur anderen Seite, ungefähr auf der Höhe des Computerspielemuseums. Zwei Straßen zeichnen noch heute sehr genau den Mauerverlauf auf beiden Seiten des alten Frankfurter Tores nach: Die Friedenstraße aus Richtung des Volksparks Friedrichshain und die Marchlewskistraße vom Bahnhof Warschauer Straße kommend. Die Straßenbezeichnung der Marchlewskistraße war seinerzeit schlicht „Zwischen Frankfurter Tor und Stralauer Tor“, bevor sie dann Memeler Straße getauft und 1950 in Marchlewskistraße umbenannt wurde. Auch der Platz des ehemaligen Frankfurter Tors hieß noch lange „Frankfurter Tor“, aber er ist heute verschwunden.
Topografische Spuren
Dennoch lässt sich auch hier der Verlauf anhand der städtischen Topografie und der alten Benennung nachvollziehen. Die Memeler Straße (heute Marchlewskistraße) verlief bis zur Karl-Marx-Allee (damals noch Frankfurter Allee) und die Friedenstraße machte einen Knick in den heutigen Weidenweg. Hier verlief die Mauer. Mit dem Bau der Stalinallee wurde diese Struktur verändert und überbaut. Das Frankfurter Tor wurde 800 Meter nach Osten transformiert und in eine mondäne Gestalt verwandelt. Das alte Frankfurter Tor war das genaue Gegenteil davon. Es war eine schmucklose Durchfahrt. Die Gegend war so unbedeutend, dass sie auf einer zeitgenössischen Karte nicht einmal verzeichnet ist, obwohl sie bereits 1738 in der Bauphase der Mauer zum neuen Stadtgebiet gehörte. Hier gab es nur Staub, Sumpf und Wiesen. Gerade die Gegend zwischen Frankfurter Tor und der heutigen Warschauer Brücke war im Gegensatz zu den Gebieten im Westen am Brandenburger Tor oder am Potsdamer Platz menschenleer. Zwar war der Weg Richtung Osten nach Frankfurter / Oder durchaus frequentiert und bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts ähnlich der Prachtstraße im Westen mit Linden bepflanzt worden, doch der Eindruck von einem Besucher der Stadt um 1808 zeichnet ein trostloses Bild: „So sieht man sich in der Mitte ärmlicher Hütten, Wiesen und Felder versetzt, oft sieht man aber nichts.“ Auch auf der Innenseite der Mauer in dieser Gegend bestand fast keine Bebauung. Eine Vielzahl der wenigen Häuser rund um das Frankfurter Tor waren Einrichtungen der Armen und Altenpflege. Sie prägten das Gebiet nachhaltig. Außerhalb befanden sich hingegen das sogenannte Schlösschen und die Neue Welt, zwei Ausflugslokale. Auch die Torhäuser waren bescheiden: ein schlichtes Eisentor mit zwei flankierenden Durchgängen für Fußgänger. Ganz anders als das pompöse und riesige Brandenburger Tor hat das alte Frankfurter Tor am anderen Ende der Stadt eher das Erscheinungsbild eines größeren Garten- oder Parktores. Flankiert wurde diese Durchfahrt von den üblichen Gebäuden, einem Wachhaus und zwei weiteren Zollgebäuden. Gerade diese Kargheit und die Prägung des weniger wohlhabenden Teils der Stadt hat der Gegend ihren spezifischen Charakter gegeben und dazu beigetragen, dass genau hier das sozialistische Musterprojekt der heutigen Karl-Marx-Allee entstand und dass die Identität des Frankfurter Tors in mehrfacher Hinsicht überhöht wurde. Entworfen von Hermann Henselmann, der sich von den Türmen des Deutschen und Französischen Doms auf dem Gendarmenmarkt inspirieren ließ (andere verweisen auf den Eosander-Turm des Berliner Schlosses), überragt es heute sogar das Brandenburger Tor. Diese doppelte Schummelei machte das Frankfurter Tor zur Friedrichshainer Identität, die es heute noch ist. In diesem und im nächsten Jahr beschäftigt sich das Projekt „Der durchschnittene Bezirk“ mit der Akzisemauer, ihrem Verlauf und ihrer Wirkung im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Im Herbst werden an einigen Toren der Mauerverlauf und die Besonderheiten der einzelnen Tore gezeigt. Im nächsten Frühjahr wird es eine Ausstellung im FHXB-Museum dazu geben. Termine können leider noch nicht genannt werden.
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Ich finde diesen Artikel sehr interessant .Eigentlich schon ein Muss für Alle die sich für die Berliner Geschichte interessieren. Mich würde auch interessieren welche Funktion die Türme am Frankfurter Tor mal hatten. Ich habe nur mal ansatzweise davon gehört das von diesen Türmen das Fernsehen der DDR ausgestrahlt wurde.