Entwerter/Oder | Ein Experiment, das scheitern kann

Terminkärtchen Entwerter/Oder, Berlin 1988
Terminkärtchen Entwerter/Oder, Berlin 1988

Erste Erfolge

Wenig ausrichten konnte die Staatssicherheit dagegen, dass Enthusiasten wie Uwe Warnke Netzwerker waren. Er beteiligte sich an Künstlertreffen und an der Organisation kurzer, nicht genehmigter und mittels Mundpropaganda angekündigter Ausstellungen, Lesungen und Konzerte. Als im Frühsommer 1984 bekannt wurde, dass die Gasometer, die Wahrzeichen des Bezirks Prenzlauer Berg, gesprengt werden sollten, kam die erste Sondernummer von Entwerter/Oder heraus. Die zweite erschien anlässlich des „Letzten deutschen Kunstsalons“, als ihm und seinen Freunden im Herbst 1984 für zwei Tage eine Wohnung in der Kollwitzstraße 50 in Prenzlauer Berg für Ausstellung und Lesungen angeboten wurde. Bis zum Ende der DDR erschienen neun Sondernummern, inzwischen sind es 28.
Zur 20. Ausgabe im März 1986 wurde für einen Tag eine Wohnung in der Rigaer Straße 3 für ein Kunsthappening besetzt. Im Juni 1986 war das Blatt einen Monat lang an der Ausstellung „wort und werk“ in der Samariterkirche neben zahlreichen anderen der Kunst verpflichteten Zeitschrifteninitiativen beteiligt, die alle in der DDR illegal erschienen und natürlich nirgendwo sonst ausgestellt wurden. Bis heute gilt diese Ausstellung als erste und wesentliche Überblicksausstellung in der Geschichte der selbstbestimmten, jungen Kunst- und Literaturszene in der DDR.
Versuche, mit den jeweiligen Autoren des Entwerter/Oder eine kleine Leserunde im Hauskreis zu etablieren, schlugen dagegen fehl. Dafür meldete sich 1987 die Sächsische Landesbibliothek Dresden, die die Zeitschrift erwerben wollte. Schmunzelnd zeigt Uwe Warnke das entsprechende Schreiben, das der verantwortliche Mitarbeiter der Bibliothek mit den Worten einleitete: „Ich erfuhr Ihre Zuständigkeit für ‚Entwerter/Oder‘.“ Zuständig für etwas, das es offiziell gar nicht gab. Warnke setzte durch, dass die Zeitschrift nicht im Giftschrank der Bibliothek verschwand, sondern von jedem Besucher gelesen werden konnte. Dass man auch längst u. a. in Marbach, Bremen und Frankfurt/Main die Zeitschrift sammelte, wurde nicht jedem auf die Nase gebunden.

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