Franz und seine Neigung.
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Franz liebte die Textzeile: „Das ist die Liebe der Matrosen! Auf die Dauer, lieber Schatz, ist mein Herz kein Ankerplatz. Es blühen an allen Küsten Rosen, und für jede gibt es tausendfach Ersatz.“ Franz Wiesener war 21 Jahre alt, als er in Königsberg seinen Militärdienst antrat. Auff ällig geworden, musste er als Unteroffi zier den „bunten Rock“ ablegen. Auch der höchste Würdenträger im Kaiserreich wurde auff ällig. Kaiser Wilhelm II. war mit dem Prinzen Philipp zu Eulenburg sehr vertraut. In privaten Briefen war Eulenburg der Phili und Wilhelm das Liebchen. Das war von politischer Brisanz. Beide gehörten dem Liebenberger Kreis an. Diese Gruppe einfl ussreicher Männer strebte den europäischen Großmächten gegenüber eine auf Kompromisse orientierte Politik an. Andeutungen gingen an die Presse, der Liebenberger Kreis sei ein Homosexuellenzirkel, der verschwörerisch versuchen würde, Einfluss auf die deutsche Außenpolitik zu gewinnen. Laut § 175 Reichsstrafgesetzbuch waren sexuelle Handlungen unter Männern verboten.
Franz in Berlin
Franz war aufgrund seiner innigen Kontakte zu anderen Männern ein Sicherheitsrisiko für seine Vorgesetzten. Er wurde aus dem Militärdienst entlassen, konnte aber nicht bestraft werden. Der § 175 stellte sexuelle Aktivitäten unter Strafe, aber keine Umarmungen oder Gunstbezeugungen. Franz fuhr ins liberale Berlin. Er bezog eine Wohnung in der Lange Straße 71. Ob nun eine besondere Kneipe in der Weberstraße oder der Müncheberger Straße, sie wurden zu seinen Anlaufpunkten und standen im Ruf, in „keiner Weise anstößig“ zu sein, so ein Polizeibericht. Schicklichkeiten waren angesagt: zierliche Knickse, sittsame Freundschaftsküsse auf die Wange. Spielte Max Engel, genannt „Die Sächsin“, Schnulzen auf dem Klavier, dann füllten sehr weiblich gekleidete Paare die Tanzfl äche. Brach die Musik ab, sah jeder, es waren Männer. „Die Mehrzahl der untereinander fl irtenden gehört dem Arbeiterstande an. Alle wollten am Wochenende oder an den Sonntagen ihrem Hang nach ungestört leben“, hieß es. Doch „um ihren Hang auch außerhalb ungestört leben zu können“, waren Spitznamen nötig, so wie Berta von Brunneck oder Umsturzkaroline. Letzter Name deshalb, weil ihre heftigen heftige Armbewegungen ab und an ein Bierglas umstießen.
Mit Franz unterwegs
Das Hotel & Café Markushof in der kleinen Markusstraße 5 war bereits 1913 ein Treff punkt der Szene. Am 13. Dezember 1919 wurde hier zum Japanischen Blumenfest geladen und die schönste Geisha mit einer Flasche Champagner belohnt. Ein Toni Knilling trat mit Tanzillusionen auf, Karol Süßlich und Luv Weißensee gaben Kabarettistisches zum Besten. Beim Damenball blieben die Türen mittwochs und donnerstags für Männer verschlossen. Franz war deshalb nicht traurig. Er ging dann zur Koppenstaße 47, wo in der Küchen-Diele ein Bauernball gegeben wurde. Das Café Riga in der Rigaer Straße 56 lud Freundinnen und Freunde im Osten zu täglichen Künstlerkonzerten ein. Neben einem vorzüglichen Weinkeller lockte eine vorzügliche Küche zum Besuch. Gastronomische Events waren ein Szenestandard wie in der Memeler Klause, Memeler Straße 2 (heute Marchlewskistraße). Zu deren Eröff nung am 30. Oktober 1920 spielte eine Tiroler Kapelle auf. Unter regem Zuschauerzuspruch ehemaliger Soldaten, die während des Krieges ihre „andere Seite“ entdeckt hatten, gehörten Amateur-Ringkämpfe wie am 16. April 1921 zu den weiteren Spezialitäten der Klause. Einige Monate später wurde der Naschkeller (Kakao- und Schokoladenstube) in der Lichtenberger Straße 5 zu einem Hotspot der Szene. Hier gab der damals allseits bekannte Tänzer Riamaska seine Vorstellungen, und wenn sich mittwochs die Lesben trafen, so stiegen sie ein Stockwerk höher, wo die Gattin eines Fritzchen Rammont ihren Schönheitssalon mit Höhensonnen unterhielt. Allen Insidern stand ein breites Netzwerk von Dienstleistungen aller Art zur Verfügung. Die Klubs, sie zählten zu Dutzenden, waren Orte für viele Künstler wie dem wohlbeleibten Damenimitator Mieke, der als ägyptische Tänzerin oder als Olga Desmond auftrat – barfuß, im weißen Tüllkleidchen mit entblößten Schultern und Blumenkranz im Haar, sofern er nicht den Tanz der Salome um den Kopf des Johannes gab oder einen indischen Opfertanz zelebrierte.
Bitteres Ende
Wegen seiner Verbindungen zu jungen Männern wurde Franz 1934 angezeigt. Strafbares war ihm allerdings nicht nachzuweisen. In dieser Zeit traf sich dienstags der Verein Lustige Neun im Restaurant Österreich in der Großen Frankfurter Straße 14 zum Kegeln. Einmal im Monat waren alle Geneigten zu sehr ausgelassenen Bällen in den Residenzsälen der Blumenstraße eingeladen. Der Alkohol floss dann in Strömen und die Frauen waren männlicher gekleidet als die Männer und umgekehrt. Ungeniert liebten sich Paare in aller Öffentlichkeit, bis im Juni 1936 der Gestapo auffiel, dass alle Vorstandsfrauen der Lustigen Neun wegen ihrer Aktivitäten im Bereich der lesbischschwulen Gemeinschaft im Strafregister standen. Der Klub sollte aufgelöst werden, was aber nicht geschah. Unter der verdeckten Beobachtung der Gestapo blieben die Vereinsaktivitäten bis 1940 ein Treff für Lesben und Schwule. Nicht ungefährlich für die letzteren. Im Herbst 1936 verhaftete die Gestapo in einer Blitzaktion eine Gruppe von Männern in Frauenkleidung. Auf diese Weise kam 1937 Emil Richard Becker (Milo) mit seinen Freunden in Gewahrsam. Alle wurden gefoltert. Erfolglos. Keiner belastete andere Personen. Im März 1938 stand Franz wegen einer Beziehung zu einem Stricher vor Gericht. Für ein Jahr und neun Monate kam er ins Gefängnis. Am 22. Dezember 1939 freigelassen, fand er Arbeit bei einer kleinen Firma in der Warschauer Straße. Am 24. Mai 1942 wurde er von Strichern denunziert und unter dem Vorwurf des Kontaktes zu Strichern festgenommen, der ihm seit 1934 untersagt war. Die Ermittlungen zogen sich hin. Sein Freund Erich Beer besuchte ihn im Gefängnis, sorgte sich um die Wohnung, versorgte ihn mit Kleinigkeiten und nahm sein persönliches Eigentum in Verwahrung. Dann stand die Verhandlung an. Als Franz seine Anklageschrift in seiner Zelle im Gefängnis Plötzensee las, verlor er jeden Lebensmut. Schutzhaft, also das KZ, war als Urteil anvisiert. Um diesem Urteil zu entgehen, erhängte sich der 69-Jährige einige Tage vor dem Prozess.