Kriminalroman | Quelle: Zeitschrift „Der Volkspolizist“

Warschauer Straße in Unruhe

Verfoldungsjagd mit der Volkspolizei in den 40er Jahren | Quelle: Zeitschrift „Der Volkspolizist“
Häufig endeten Verfolgungsjagden dieser Zeit mit Motorschäden. / Quelle: Zeitschrift „Der Volkspolizist“ /

Pistolen und mehr.

Von

Am 14. April 1947 warteten zwei Angestellte der Stadtkasse Friedrichshain am Warschauer Platz auf ihre Kollegen. Die Auszahlung der Mitarbeitergehälter in Höhe von 400.000 und 120.000 in der noch gültigen Währung Reichsmark an Lehrergehältern stand zum 15. April an. Das Geld lagerte in der Bezirksbank Warschauer Straße 46. Im Allgemeinen waren die Boten zu Fuß mit dem Geld unterwegs und wenn möglich, holten sie das Geld per Pferdefuhrwerk ab. Die Gelder des Bezirksamtes durften nicht über Nacht in der Stadtkasse bleiben. Seit März stand dort ein Tresor, wegen Materialmangel fehlten die Alarmeinrichtungen. Einige Teile waren bestellt, andere noch nicht eingebaut. Immerhin hatte seit Anfang 1947 der Kassenleiter einen Telefonanschluss im Büro. Jeden Morgen wurden Geldbeträge für das Bezirksamt von der Bank geholt und abends zurück zur Bezirksbank gebracht.

Zahltag

Da nun der 15. April ein Sonnabend war, die Bezirksbank geschlossen, aber die Gehälter ausgezahlt werden sollten, bat der Kassenvorsteher Herr Kalies seinen Kassenboten, den Herrn Kirschke, gegen 13 Uhr die Summe von 520.000 Reichsmark von der Bezirksbank abzuholen. Zur Sicherheit wich Herr Kalies bei kniffligen Aufträgen von üblichen Ablaufplänen ab. Er bestimmte, obwohl der Weg nicht weit war, dass Herr Kirschke mit dem Auto fahren sollte. Kirschke ging auf den Hof des Gebäudes am Warschauer Platz, in dem auch die Textilschule untergebracht war. Hier traf er auf Herrn Pusch, der als zuverlässig bekannt war. Beide nahmen das Geld in Empfang und fuhren zurück. Sie passierten den Hauseingang des Verwaltungsgebäudes, das Auto drehte eine Linkskurve auf dem Hof und hielt vor einer kleinen Hofeingangstür, die nur von Angestellten benutzt wurde. Von einer kleinen Plattform stiegen die Boten über acht Stufen auf eine weitere Plattform.

Überraschungsmoment

Diese führte zu einem Korridor direkt ins Haus. Doch am Anfang des Korridors standen zwei Personen, scheinbar in einem Gespräch vertieft. Sie versperrten den Boten den Weg. Dann drehten sie sich um, Kirschke bekam einen massiven Boxhieb auf das Kinn, kippte nach hinten über die Treppe und blieb bewusstlos liegen. Einer der Täter griff nach dem Geldbeutel, den Kirschke auf der Schulter getragen hatte. Pusch versuchte den zweiten Täter festzuhalten, dabei bekam er schwere Schläge ins Gesicht, die ihm das Nasenbein zertrümmerten. Als sich der Täter losriss, schrie Pusch: „Haltet ihn, haltet ihn!“ Chauffeure, die auf dem Hof standen, begriffen die Situation. Doch beide Täter waren bereits vor den Hauseingang geflüchtet.

Zufall

Mit laufendem Motor wartete vor dem Eingang ein Komplize in einem Kleinlaster, dessen Kennzeichen verschmiert war. Einer der Kriminellen stieg in den Wagen, der andere sprang auf die Ladefläche. Zwei Chauffeure wollten mit ihren Autos vom Hof aus folgen, doch bog unerwartet ein Transporter mit Anhänger der Textilschule in den Eingang. Auch der Kleinlaster war kurz angefahren, blieb aber stehen, weil einer der Täter beim Aufspringen seine Pistole verloren hatte. Unter der Deckung des anderen, der mit gezogener Pistole im Wagen saß, stieg dieser kurz vom Wagen, hob die Waffe auf und hielt mit ihr die Verfolger in Schach, bis alle drei mit ihrem Auto in Richtung Rotherstraße entkommen waren.

Ermittlung

Die Kripostelle in der Grünberger Straße 16 ermittelte: Nur aus dem Kreis der Eingeweihten konnte die Info zu diesem Geldtransport stammen. Doch wer? Frau Jurgszat, die Sekretärin des Kassenchefs, war an diesem Vormittag beim Zahnarzt. Als sie zurückkehrte, befragte sie ein Mann nach dem Geldtransport. Das war nicht unüblich auf der Dienststelle. Frau Jurgszat war von der Narkose so sehr benommen, das sie nicht sagen konnte, ob der Betreffende ein Kollege war. Die Behörde am Warschauer Platz hatte damals 3.000 Mitarbeiter. Die Belohnung von 50.000 RM lieferte nur haltlose Zeugenaussagen, selbst zehn zunächst heiße Spuren waren kalt.

Kriminalroman | Quelle: Zeitschrift „Der Volkspolizist“
Viele „Youngster“ vermischten die Realität der Schwarzmarktzeit mit der Fiktion von Kriminalromanen. / Quelle: Zeitschrift „Der Volkspolizist“ /

Zeichen der Zeit

„Dieser Raubüberfall ist ein Zeichen der Zeit“, sagte ein Sprecher des Bezirksamts Friedrichshain am 24. April 1947.
„Das große Sterben beginnt“, war am 20. Februar 1947 ein anderes „Zeichen der Zeit“ und ein Hilferuf von der Pressestelle des Bezirksamtes Friedrichshain. Zwölf Wärmestuben boten im Januar 1947 Platz für 1.200 Personen, die vor der grimmigen Kälte dieses Winters Schutz suchten und mit Kaffeeersatz, Brühpaste und Knochenbrühe beköstigt wurden. Tausend Menschen schwebten in unmittelbarer Gefahr, an ihren Erfrierungen zu sterben. Im April 1947 wurden zehn Todesfälle durch Hunger und sieben durch Erfrieren gemeldet. Ständig lagen hilflose oder schwer verletzte Personen ohne Papiere vor dem Krankenhaus Friedrichshain. Die „Einlieferer“ blieben unbekannt.

Kein Romanheld

Es war eine Zeit, in der Werner Gladow aus der Schreinerstraße 52 beschloss, Gangsterboss zu werden. Romane und echte Überfälle, wie der vom 14. April 1947, der nie aufgeklärt wurde, waren ihm Vorbild. Gladow begnügte sich erst mit Überfällen auf Schwarzhändler, um dann äußerst brutale Raubüberfälle zu starten. Wie auf den Kaufmann Broscheit in der Frankfurter Allee. Die Bande fesselte ihn und seine Geschäftsführerin. Als Broscheit selbst nach massiven Drohungen und Folterungen – seine Füße wurden ihm mit Feuer verbrannt – keine Geld­verstecke preisgab, ließ Gladow die Frau foltern. Die Bande stach mit Messern in die Brüste und Schenkel, bis die Frau schrie: „Den Schlüssel zum Geldversteck habe ich in meinem Mantel in der Pfarrstraße.“ Erst als das Geld geholt war, wurden die Opfer freigelassen.
In der unübersichtlichen Situation der Blockadezeit verübte die Bande schwerste Verbrechen. Gladows Verhaftung war erst nach einem einstündigen Feuergefecht am 3. Juni 1949 in der Schreinerstraße möglich. 1950 wurde er hingerichtet. Gladow gehörte, wie vermutlich die Täter des Überfalls vom 14. April 1947, zu den „Kindern ihrer Zeit“, die vom Überleben der Stärkeren gezeichnet war.

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