Demagogie in Friedrichshain.
Von
„Haut ihn, dass die Fetzen fliegen, schmeißt den Kerl zum Fenster raus, Kinder haltet die Luft an, wir steh`n kurz vorm Ruin, haben nichts mehr anzuzieh`n, nur noch Klotzpantin und mit froher Mine wird geschrien: Licht aus, Messer raus!“, das war 1932 der Kneipenhit vom Orchester Otto Kermbach. Vor der Aufführung der „Gottlosen Revue“ des „Roten Kabarett“ rief ein kommerziell uninteressierter Sprecher mit Inbrunst: „Es geht durch die Welt ein Geflüster – Arbeiter, hörst du es nicht?“. Doch war Erich Weinerts Text „Der heimliche Aufstand“ nicht verboten. Darüber ärgerten sich am 28. Februar 1932 die Zensoren der politischen Polizei im Friedrichshainer „Schwarzen Adler“. Noch verärgerter waren die Zensoren über jene Szene der „Gottlosen Revue“, in der „eine wenig bekleidete Konfirmandin auf dem Schoß vom Priester im Ornat“ sitzt und nach dem Sündenfall gefragt antwortet: „Das haben wir doch erst gestern mit dem Herrn Pastor versucht“. Draußen, vor der Tür, war weniger erlaubt.
Treffpunkte
Am 7. Juli 1932 ging die Polizei gegen Demonstranten, die sich an der Schillingbrücke versammelten, mit Schlagstöcken vor. Grund: Singen verbotener Lieder. Nach einer Verfolgungsjagd versammelten sich die Teilnehmer in der Krautstraße, bis die Polizei auch dort den Knüppel schwang. Thema der Demonstration: die hohen Mieten. 1932 lag der Mietanteil bei 23% des Einkommens, meistens darüber. Mietrückstände waren die Regel. Vermieter Erich Koch aus Charlottenburg rief beim Polizeirevier in der Zellestraße an und sagte: „nur 4 Mieter in meinem Haus der Rigaer Straße 16 zahlen! In der Kleinen Markusstraße 3 verweigern 25 von 26 Mietern die Zahlung und in der Koppenstraße 47 alle Mieter“. Dort hing ein Plakat: „Erst der Magen, dann der Hauswirt“. Dieses und Aktionen gegen Exmissionen gingen auf die „Mieterstreikleitung“ im Haus Breslauer Straße 5 zurück, die sich aus Hausbewohnern und KPD-Leuten zusammensetzte. Mieterkämpfe waren ein großes Politikfeld der KPD in Friedrichshain. 47 Kneipen galten hier als KPD-Stützpunkte, die oft Ziele von Angriffen der SA wurden. SA-Leute aus dem „Keglerheim“ in der Petersburger Straße und der Kneipe von „Preiß“ in der Liebigstraße überfielen im August 1932 die benachbarte KPD-Kneipe. Fünf parteilose, darunter ein beinamputierter Kriegsinvalide, wurden von der SA zusammengeschlagen. Daraufhin erging ein Aufruf an die „Revolutionären Arbeiter des Ostens, mit der braunen Mordpest in der „Nazikaserne Preis Liebigstraße Ecke Weidenweg Schluß zu machen. Haltet eure Knüppel, Äxte usw. bereit“. Auf der Rückseite des Flugblattes standen Adressen von Geschäften, die wegen ihrer NS-Sympathie zu meiden waren.
Kooperationen
Berlin war seinerzeit eine Stadt der Zeitungen. Doch fanden Medienschlachten nicht nur auf dieser Ebene statt. Dank der Rotaprint-Apparate konnten Flugblätter und Stadtteilzeitungen schnell und zeitaktuell gedruckt werden. So rief „Die rote Weberstraße“ auf: „Wir raten und empfehlen den rechtsgesinnten Geschäftsleuten nach dem Westen zu ziehen, denn es haben schon genug in unserer Weberstraße wegen der arbeiterfeindlichen Einstellung ihre Geschäfte schließen müssen, weil die Proleten anderweitig ihre Einkäufer erledigten. Darum, Geschäftsleute, merkt es Euch, haltet mit den Proleten zusammen, kämpft mit uns für eine bessere Zukunft, dann wird eine bessere Zeit kommen. Mit Hakenkreuzfahnen und ,Heil Hitler‘ werden eure Kassen nicht gefüllt und es wird kein Magen davon satt.“ Nach Verhandlungen mit den sozialdemokratischen Gewerkschaften kürzte im November 1932 die BVG die Löhne um zwei Pfennig pro Stunde. Obwohl nur von einem Drittel der Belegschaft unterstützt, rief die KPD zum „wilden Streik“ auf. Anfang November 1932 waren alle öffentlichen Verkehrsmittel blockiert, auch deshalb, weil die Nationalsozialisten in der BVG sich diesem Streik am 3. November 1932 anschlossen. Goebbels schrieb: „In Berlin Revolutionsstimmung. Nur weiter! Unser Apparat funktioniert tadellos. Wir haben jetzt bei den Arbeitern allerbeste Nummer“.
Aktionen
Hungrig waren 800.000 Erwerbslose, davon 600.000 Jugendliche, die ohne Obdach auf den Landstraßen Deutschlands lebten. Während das bürgerliche Publikum der Radiodiskussion „Ente oder Gans, ein edler Wettstreit“, folgte, forderte der politparteilich nicht gebundene „Erwerblosenausschuss Groß-Berlin“ einen „Elendsmarsch“. Die „Revolutionäre Jugend Lichtenberg“ schloss sich der Forderung an und hielt eine Versammlung am 24. Dezember 1932 auf dem Boxhagener Platz ab. Zur gleichen Zeit überfielen bewaffnete Banden Lebensmittelgeschäfte in der Umgebung, so die „Gänseausschlachterei Kellner“ in der Boxhagener Straße 42. Eine Tätergruppe raubte in einer Blitzaktion aus dem Ladenfenster 26 Weihnachtsgänse. Die Firma Goldacker war eine Kette von Butterläden, ihre Filialen in der Andreasstraße 59 und der Kopernikusstraße 17 wurden immer wieder ausgeraubt. „In allen Fällen haben die Plünderer brutal in den Geschäften gehaust, und ein polizeilicher Schutz war nicht vorhanden, oder traf erst so spät ein, daß derselbe nichts mehr erreichen konnte. Alle diese Überfälle sind unseres Erachtens nicht auf Mundraub zurückzuführen, sondern es handelt sich hierbei um planmäßige politische Manöver von radikaler Seite“, schrieb der Firmenchef dem auffiel, das die Überfälle nur den Geschäften jüdischer Eigentümer galten, an den Polizeipräsidenten.
Endzeit
Am 25. Februar 1933 wurde das Verkehrslokal der KPD von Max Zehmisch in der Liebigstraße 40 „nach Waffen und Hetzschriften durchsucht. Außer einem Dolchmesser wurden Hetzschriften, verbotene Zeitungen, Flugblätter ohne Angabe des verantwortlichen Verlegers, Aufforderungen zum Generalstreik, rote Armbinden mit der Aufschrift: Stoßtrupp der KPD beschlagnahmt. Damit ist das Lokal ein Sammelpunkt staatsfeindlicher Elemente. Um weitere Terrorakte zu verhüten, ist das Lokal mit sofortiger Wirkung polizeilich zu schließen“, ordnete der Polizeipräsident nach der Razzia an. Im März 1933 waren alle KPD-Lokale geschlossen.