Plaza, 1925 | Foto: FHXB-Museum

Eine der ersten kulturellen Umnutzungen in Friedrichshain

Plaza, 1925 | Foto: FHXB-Museum
Das Plaza in voller Pracht um 1925. Foto: FHXB-Museum

Das Varieté Plaza – ein Resultat mehrerer Bahnhöfe.

Von Hajo Toppius.

Zwischen Ostbahnhof und Berghain, auf dem Gelände des Verlagsgebäudes des Neuen Deutschland, befand sich ein Gebäude, das eines der ersten Beispiele für ein heutzutage weit verbreitetes Phänomen in der Kulturlandschaft Friedrichshains ist: die Umnutzung von Industriebauten oder -ensembles in Kulturorte. Andere Friedrichshainer Beispiele dafür sind das Berghain, das RAW-Gelände, das La54 an der Landsberger Allee, das Matrix unter dem U-Bahnhof Warschauer Straße oder das ehemalige Antje Öklesund in der Rigaer Str. 71-73, typische Gewächse der 1990er und 2000er Jahre. Das zuerst genannte Beispiel liegt deutlich länger zurück – in den späten 1920er Jahren.

Plaza | Postkarte, 1920er Jahr
Wie ein UFO: Der große Saal des Plazas. Postkarte, 1920er Jahr

Verwirrende Namen

Die Straßen, die heute zum Berghain führen, heißen: „Am Wriezener Bahnhof“ und: „Wriezener Karre“. Der heutige Ostbahnhof hat zahlreiche Namenswechsel hinter sich. Er hieß mal so, wie jetzt der große Bahnhof in Mitte: Hauptbahnhof. Aber nur von 1987 bis 1998. Bis 1950 hieß er Schlesischer Bahnhof, und zwar seit seiner Anbindung an die Stadtbahn, die 1882 mit einer feierlichen Sonderfahrt von Kaiser Wilhelm I. gefeiert wurde. In den 40 Jahren davor hieß der Bahnhof Frankfurter Bahnhof – seit seiner Eröffnung am 23. Oktober 1842. Und um die Verwirrung ganz groß zu machen: Als der heutige Ostbahnhof Schlesischer Bahnhof hieß, gab es noch einen anderen Bahnhof in der Nähe namens Ostbahnhof. Eigentlich waren es einmal drei Bahnhöfe in dieser Gegend. Diese waren der heutige Ostbahnhof mit den vielen Namenswechseln, der damalige Ostbahnhof am heutigen Franz-Mehring-Platz, der auch Küstriner Bahnhof genannt wurde und zwischen diesen beiden, gleich neben dem Ostbahnhof gab es noch den Wriezener Bahnhof, den Namensgeber für die gleichnamigen Straßen. Dieser Bahnhof gehörte zunächst zum heutigen Ostbahnhof und wurde ab 1924 eigenständig. 1949 stellte man den Personenverkehr ein, während der Güterverkehr noch bis in die 90er Jahre weiterbetrieben wurde.

Wohnhäuser hinter dem Bahnhof | Postkarte, um 1900
Auf der Postkarte elegant – in Wirklichkeit gehörten die Wohnhäuser hinter dem Bahnhof zu den am schlechtesten ausgestatteten mit Toiletten im Keller. Postkarte, um 1900

Kulturelle Umnutzung

Im Vergleich zum heutigen Ostbahnhof hatten der Wriezener und der alte Ostbahnhof keine besonders lange Lebensdauer. Das repräsentative Gebäude der „Königlichen Preußischen Ostbahn“ wurde 1867 errichtet aber nur 15 Jahre als Bahnhofsgebäude gebraucht. Dann übernahm der heutige Ostbahnhof das ganze Geschäft und wurde mit über 5 Millionen Fahrgästen in den 1890er Jahren der größte Bahnhof der Stadt. Das repräsentative Kopfbahnhofsgebäude des ehemaligen Ostbahnhofs am damaligen Küstriner Platz war nun überflüssig. Dessen Räume wurden knapp 50 Jahre lang vor allem als Werkstatt und Lager genutzt. Während in den Empfangsräumen bereits das Restaurant „Ostbahnhof“ eingezogen war, kam es in den späten 1920ern zu einem Phänomen, das 70 Jahre später im Nachwende-Berlin der 1990er Jahre wichtig werden sollte: Die Umnutzung von ehemaligen Industrieräumen in Kulturräume. Die Veranstalter des Varietés „Scala“ in Schöneberg, mehrere vornehmlich jüdische Teilhaber um den Bankier und Veranstalter Jules Marx, wollten die erschwingliche Variante ihres Modells als Volksvarieté im berüchtigten und wilden Bahnhofsviertel in Friedrichshain umsetzen. Das Konzept des Arbeitervarietés gab es bereits gut funktionierend in anderen europäischen Städten, wie Paris, Wien, oder Budapest. Der alte Bahnhof wurde günstig gepachtet und in nur viereinhalb Monaten zu einem Varieté-Theater umgebaut, und zwar in riesigen Dimensionen: Insgesamt 3000 Plätze, wovon sich über 800 auf ersten, 15 Meter in den Bühnenraum hereinragenden Rang befanden – dem größten Theater-Rang in Europa damals. Zudem gab es einen Tanzsaal und ein Restaurant, passend für die damalige Veranstaltungskultur mit ihren berüchtigten ausschweifenden Partys, die bis heute das Bild der 20er Jahre prägen. Eröffnet wurde das große Haus im Februar 1929. Hier wurden in der Schöneberger „Scala“ abgespielte Aufführungen zu deutlich günstigeren Preisen auf die Bühne gebracht, zu Beginn sogar zwei Mal am Tag.

Aber was ein Geschäft werden sollte, wurde ein Flop. Schon bald nach der Eröffnung wurden statt zwei Aufführungen nur noch eine am Tag gespielt, weil die Zuschauer wegblieben, was auch an der hereingebrochenen Weltwirtschaftskrise gelegen haben mag. Das Haus wurde bereits im Frühjahr 1931 verpachtet. Der Scala-Konzern, der, beginnend mit der Plaza, zahlreiche Häuser in ganz Deutschland und in den Niederlanden eröffnet hatte, ging in Insolvenz.

Pleite und Verfolgung

Bis zur Machtergreifung des NS-Regimes wurden hier durch die bekannten Brüder Rotter, die unter anderem Betreiber des Metropol Theaters waren, erfolgreiche Operetteninszenierungen mit drittklassigen Darstellern aufgeführt, was aber ebenfalls nicht funktionierte. Sowohl das Scala Konsortium um Jules Marx als auch die Rotter-Brüder gingen Anfang der 1930er Jahre spektakulär insolvent, flohen vor ihren Gläubigern und vor allem auch vor dem einsetzenden Naziterror aus Deutschland. Marx wurde steckbrieflich gesucht, 1939 von der französischen Polizei verhaftet und 1943 an die Nazis ausgeliefert. Er starb noch im selben Jahr im KZ Sachsenhausen. Ab 1933 übernahm die Naziunterhaltungsorganisation „Kraft durch Freude“ den Spielbetrieb, der bis 1944 fortgesetzt wurde. Im Krieg zerstört, wurde das Theater und ehemalige Ostbahnhofgebäude 1952 abgerissen.

 

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