Plaza, 1925 | Foto: FHXB-Museum

Eine der ersten kulturellen Umnutzungen in Friedrichshain

Wohnhäuser hinter dem Bahnhof | Postkarte, um 1900
Auf der Postkarte elegant – in Wirklichkeit gehörten die Wohnhäuser hinter dem Bahnhof zu den am schlechtesten ausgestatteten mit Toiletten im Keller. Postkarte, um 1900

Kulturelle Umnutzung

Im Vergleich zum heutigen Ostbahnhof hatten der Wriezener und der alte Ostbahnhof keine besonders lange Lebensdauer. Das repräsentative Gebäude der „Königlichen Preußischen Ostbahn“ wurde 1867 errichtet aber nur 15 Jahre als Bahnhofsgebäude gebraucht. Dann übernahm der heutige Ostbahnhof das ganze Geschäft und wurde mit über 5 Millionen Fahrgästen in den 1890er Jahren der größte Bahnhof der Stadt. Das repräsentative Kopfbahnhofsgebäude des ehemaligen Ostbahnhofs am damaligen Küstriner Platz war nun überflüssig. Dessen Räume wurden knapp 50 Jahre lang vor allem als Werkstatt und Lager genutzt. Während in den Empfangsräumen bereits das Restaurant „Ostbahnhof“ eingezogen war, kam es in den späten 1920ern zu einem Phänomen, das 70 Jahre später im Nachwende-Berlin der 1990er Jahre wichtig werden sollte: Die Umnutzung von ehemaligen Industrieräumen in Kulturräume. Die Veranstalter des Varietés „Scala“ in Schöneberg, mehrere vornehmlich jüdische Teilhaber um den Bankier und Veranstalter Jules Marx, wollten die erschwingliche Variante ihres Modells als Volksvarieté im berüchtigten und wilden Bahnhofsviertel in Friedrichshain umsetzen. Das Konzept des Arbeitervarietés gab es bereits gut funktionierend in anderen europäischen Städten, wie Paris, Wien, oder Budapest. Der alte Bahnhof wurde günstig gepachtet und in nur viereinhalb Monaten zu einem Varieté-Theater umgebaut, und zwar in riesigen Dimensionen: Insgesamt 3000 Plätze, wovon sich über 800 auf ersten, 15 Meter in den Bühnenraum hereinragenden Rang befanden – dem größten Theater-Rang in Europa damals. Zudem gab es einen Tanzsaal und ein Restaurant, passend für die damalige Veranstaltungskultur mit ihren berüchtigten ausschweifenden Partys, die bis heute das Bild der 20er Jahre prägen. Eröffnet wurde das große Haus im Februar 1929. Hier wurden in der Schöneberger „Scala“ abgespielte Aufführungen zu deutlich günstigeren Preisen auf die Bühne gebracht, zu Beginn sogar zwei Mal am Tag.

Aber was ein Geschäft werden sollte, wurde ein Flop. Schon bald nach der Eröffnung wurden statt zwei Aufführungen nur noch eine am Tag gespielt, weil die Zuschauer wegblieben, was auch an der hereingebrochenen Weltwirtschaftskrise gelegen haben mag. Das Haus wurde bereits im Frühjahr 1931 verpachtet. Der Scala-Konzern, der, beginnend mit der Plaza, zahlreiche Häuser in ganz Deutschland und in den Niederlanden eröffnet hatte, ging in Insolvenz.

Pleite und Verfolgung

Bis zur Machtergreifung des NS-Regimes wurden hier durch die bekannten Brüder Rotter, die unter anderem Betreiber des Metropol Theaters waren, erfolgreiche Operetteninszenierungen mit drittklassigen Darstellern aufgeführt, was aber ebenfalls nicht funktionierte. Sowohl das Scala Konsortium um Jules Marx als auch die Rotter-Brüder gingen Anfang der 1930er Jahre spektakulär insolvent, flohen vor ihren Gläubigern und vor allem auch vor dem einsetzenden Naziterror aus Deutschland. Marx wurde steckbrieflich gesucht, 1939 von der französischen Polizei verhaftet und 1943 an die Nazis ausgeliefert. Er starb noch im selben Jahr im KZ Sachsenhausen. Ab 1933 übernahm die Naziunterhaltungsorganisation „Kraft durch Freude“ den Spielbetrieb, der bis 1944 fortgesetzt wurde. Im Krieg zerstört, wurde das Theater und ehemalige Ostbahnhofgebäude 1952 abgerissen.

 

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